Im Schatten des Überflusses
«Food Waste» – die Verschwendung von Lebensmitteln in der Überflussgesellschaft ist ein grosses Thema. Management & Qualität hat diesbezüglich ein Interview mit Markus Hurschler, Co-Geschäftsleiter von Foodways Consulting, über das richtige Handling gegen Abfallberge mit Lebensmitteln durchgeführt.
Im Alltag von Markus Hurschler dreht sich alles ums Essen. Dies jedoch jeden Tag etwas anders. Er führt das Kleinunternehmen Foodways mit 6 Mitarbeitenden in Bern und Zürich, ist Projektleiter und versucht, sich selbst genügend Zeit frei zu halten, um neue Ideen entstehen lassen zu können. Am Lebensmitteltag sprach er zum Thema «Food Waste».
Beratungsleistungen rund um Lebensmittel sind Ihr Geschäft. Können Sie uns Ihr Geschäftsmodell kurz erläutern?
Markus Hurschler: Wir sind ein Beratungsunternehmen mit speziellem Fokus auf Nachhaltigkeitsprojekte in der Ernährungswirtschaft. In dieser sehr zukunftsorientierten Nische arbeiten wir mit Unternehmen, NGOs und Behörden zusammen. Unser Ziel ist es, dass jedes Projekt, das wir umsetzen, einen innovativen Beitrag für eine nachhaltige Ernährungswirtschaft leistet. Wir arbeiten dafür sowohl in klassischen Mandatsverhältnissen für einzelne Kunden, stossen aber auch eigene Projektideen an.
Wie hat sich denn Ihr spezialisiertes Unternehmen seit der Gründung entwickelt?
Im Winter 2012 haben wir im Dachboden meines Geschäftspartners mit einfachen Mitteln (ohne Heizung) angefangen. Heute sind wir ein wachsendes Team von sechs Mitarbeitenden an der Spitalgasse in Bern und in einem Teilzeit-Büro in Zürich.
Was hat Sie bewogen, sich gerade diesem Problem besonders zu widmen?
Wir hatten in unserem Team die Autoren der bisher einzigen wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Lebensmittelabfälle. Aus dieser Konstellation heraus entstand unser erstes Projekt: die Plattform foodwaste.ch. Mehr und mehr hat sich gezeigt, dass diese Thematik eben viel mehr ist als ein Abfallproblem. Deshalb haben wir uns entschieden, mit Foodways Ansätze zu finden, um viel breiter an der Nachhaltigkeit des Sektors und am Konsumverhalten der Bevölkerung zu arbeiten.
Sagen Sie uns kurz, inwieweit Lebensmittelabfälle unvermeidbar sind, und ab wann die Fachwelt von Verschwendung – «Food Waste» – spricht!
Definitorisch entstehen Lebensmittelabfälle aus für den Menschen produzierten Lebensmitteln, die nie konsumiert in einer unkonventionellen Form verbraucht werden. Einen gewissen Anteil davon wird es immer geben, sei es aus Produktionsfehlern in einem Herstellungsprozess oder weil die Kids daheim den Teller auf den Boden kippen. Die Abfälle und Verluste sollten jedoch so gering wie möglich gehalten werden, um knappe natürliche Ressourcen nicht unnötig zu verschwenden. Und die hohen Zahlen zeigen, dass Potenzial vorhanden ist.
Können Sie uns mit einigen Zahlen Aufschluss geben, wie sich Food Waste heute manifestiert?
Aktuellste Schätzungen für die Schweiz gehen davon aus, dass vom Feld bis zum Teller jährlich rund 2 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle anfallen. Rund die Hälfte davon kommt aus der Ernährungswirtschaft (Landwirtschaft bis Einzelhandel), und die andere Hälfte fällt auf der Stufe Konsum an. Unsere privaten Kehrichtsäcke stecken somit voller Leckereien. Eine Erhebung des BAFU bestätigt, dass rund 30 Prozent des Hauskehrichts organisch ist. Und die Hälfte davon sind perfekt essbare Lebensmittel. Eine Erklärung dafür ist sicher, dass die durchschnittlichen Ausgaben für Lebensmittel nur rund 6 Prozent des Haushaltseinkommens ausmachen und das Weggeworfene somit nicht ins Gewicht fällt. Die Ernährung ist für rund 30 Prozent aller Umweltbelastungen unseres Privatkonsums verantwortlich.
Das sind Zahlen aus der Schweiz. Wie sieht das in andern Ländern aus?
Grob gesehen kann man sagen, dass westliche Länder mit vergleichbaren Wertschöpfungsketten und Wohlstandsverhältnissen etwa die gleichen Abfallraten haben. Natürlich gibt es in einzelnen Bereichen Unterschiede. Entwicklungs- und Schwellenländer haben ebenfalls ähnlich hohe Abfallraten – jedoch in einer komplett anderen Struktur. In diesen Ländern geht – relativ betrachtet – viel mehr in der Wertschöpfungskette verloren, zum Beispiel wegen fehlender Kühlketten oder Lagertechnologien. Aber auf der Stufe Konsum wird so gut wie nichts entsorgt. In diesem Kontext ist es wichtig, dass diese Länder im Zuge des Wachstums nicht eine ähnlich verschwenderische Kultur entwickeln, wie sie bei uns vorherrscht.
Zurück zur Schweiz: Aus welchen Sektoren in der Lebensmittelkette kommen die grössten Verursacher von Food Waste?
Jedes Unternehmen hat seine eigenen Herausforderungen. Ausschüsse können saisonal, einmalig oder wiederkehrend oder strukturell bedingt sein. Diese Fälle muss man deshalb entsprechend individuell angehen. Meines Erachtens liegt eines der grössten Potenziale in der Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Kunden. Oft sind etablierte Regelwerke in der Zusammenarbeit Ursache dafür, ob ein Produkt in die Regale kommt oder nicht. Hier braucht es Innovation und offene Köpfe, um Veränderungen anzustossen. Dies gilt auch für gewisse rechtliche Rahmenwerke oder Handelsus anzen. Und hier noch zwei Erfahrungswerte aus der Praxis: Um die 13 Prozent können direkt aus der Landwirtschaft nicht als Lebensmittel vermarktet werden, und um die 30 Prozent sind Verluste in der Verarbeitung. Der Handel glänzt nach eigenen Zahlen mit sehr tiefen Ausschussraten.
Fachleute wie Sie und die Medien bringen uns die Problematik näher. Was unternimmt denn die Praxis dagegen?
Niemand – weder ein gewerblicher Bäcker, noch ein gros ses Handelsunterhemen – will die eigene Ware entsorgen. Innovative Beispiele, wie man das Problem an der Wurzel packen kann, gibt es mehr und mehr in der Branche. Die Brancheninitiative «United Against Waste» hat beispielsweise Beratungsangebote und Weiterbildungen für gewerbliche Gastronomen und Bäcker angestossen. Die Bundesämter prüfen aktuell, ob eine Informationskampagne die Konsumkultur nachhaltiger machen könnte. Und dann kommt viel Innovatives aus der Nische: der Koch von «Mein Küchenchef » beispielsweise macht Gourmet-Fertigmenüs aus landwirtschaftlichen Überschüssen direkt für den Privatkonsum. Die «Äss-Bar» verkauft Brot «frisch von gestern» und das amerikanische Start-up «LeanPath» bietet eine Software zur Erhebung und Reduktion von Abfällen in Gastronomieunternehmen.
Können wir als Gesellschaft damit zufrieden sein oder braucht es mehr – etwa eine stärkere Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema?
Unsere Abfälle sind ein Spiegel des Konsumverhaltens. Und das zeigt klar, dass es hier enorme Potenziale gibt. Sensibilisierung ist hier sicher wichtig, denn Umfragen belegen, dass die Mehrheit der Bevölkerung denkt, sie selber werfe fast nichts weg, die andern jedoch seien sehr verschwenderisch. Diese Einstellung muss man drehen können, damit jede und jeder auch bei sich selbst im Privatkonsum ansetzt.
Wie könnte man Food Waste als Teil einer unternehmerischen Nachhaltigkeitsstrategie aufgleisen?
Grundsätzlich ist in jeder unternehmerischen Nachhaltigkeitsstrategie zu unterscheiden zwischen Massnahmen gegenüber den Mitarbeitenden als Privatpersonen und solchen in der Geschäftstätigkeit. Gegen innen kann also jedes Unternehmen (auch Non-Food) viel anstossen. Im Kerngeschäft gilt es, erstens die eigenen Prozesse weiter zu optimieren und zweitens mit den Kunden und Lieferanten vertieft über das Thema zu sprechen. Im Dialog können gemeinsame Potenziale identifiziert und angegangen werden. Über den Tellerrand zu blicken, zahlt sich meist aus. Ich rate jeweils etwas visionär zu sein: Nachhaltigkeitsmassnahmen sind immer nur ein Start. Das wirkliche Ziel ist das nachhaltige Geschäftsmodell.
Was ist Ihre Prognose: Wo stehen wir in 5 Jahren beim Problem Food Waste?
Der Food-Sektor ist in grossen Teilen noch stark KMU-geprägt, und da werden diese Themen ernst genommen. Grössere Unternehmen haben gute Vordenker, die auch die gesellschaftlichen Vorteile von Abfallreduktionen sehen. In dieser Kombination bin ich zuversichtlich, dass hier auch in Zukunft einiges möglich ist. Ich sehe gerade in unserer jungen Generation viele Menschen, die dieses Gedankengut in sich tragen. Insofern bin ich optimistisch, dass da etwas in Bewegung kommt.