Herausforderung: in hybriden Kulturen leben

Das Topmanagement vieler Unternehmen steht aktuell vor folgendem Dilemma: Einerseits muss es die Agilität und Eigenverantwortlichkeit in der Organisation erhöhen, andererseits eine Reihe von Top-down-Entscheidungen treffen, um den künftigen Erfolg zu sichern.

 

Agilität – so lautete das Buzz-Word in der Managementdiskussion in den zurückliegenden Jahren. Zu Recht! Denn in der von raschen Veränderungen und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt müssen die Unternehmen schneller und flexibler auf Marktveränderungen reagieren und nicht selten ganz neue Strategien und Problemlösungen entwerfen.

Das haben die meisten Unternehmen erkannt. Entsprechend viele Initiativen zum Erhöhen der Agilität ihrer Organisation und zum Schaffen eines entsprechenden Mindsets bei ihren Mitarbeitern haben sie ergriffen. Dahinter stand oft keine ausgetüftelte Strategie, vielmehr hatten die Veränderungsinitiativen den Charakter von Versuchsballons – auch weil das Topmanagement vieler Unternehmen aufgrund der fundamentalen Transformationen in der Wirtschaft und Gesellschaft oft selbst nicht wusste, wohin die Reise in ihrer Branche mittel- und langfristig geht. Als Beispiele seien die Finanz- und die Automobilbranche genannt.

Die «DNA» der Agilität

Agilität basiert auf der Idee, die Mitarbeiter auf der operativen Ebene, also dort wo die Arbeit geschieht, in die Steuerung zu integrieren und in die Verantwortung zu nehmen. Entscheidungen werden somit «bottom-up» statt «top-down» getroffen. Begriffe wie Eigenverantwortung und Selbstführung zählen in agilen Organisationen zum fundamentalen Gedankengut. Damit soll erreicht werden, dass die Teams sich schnell auf Veränderungen einstellen und hierauf reagieren. Führung bekommt in diesem Kontext eine andere Bedeutung. Sie entwickelt sich zu einer Begleitung der Teams. Der Chef ist mehr «Coach» als «Anweiser».

Agile Strukturen entwickeln ihr volles Potenzial in Umgebungen, in denen Neues geschaffen werden soll. So kommen zum Beispiel agile Teams bei der Produktentwicklung zu ihrer vollen Entfaltung.

Die Grenzen der Agilität

Doch wie gehen agile Teams mit einem Downsizing um? Was geschieht, wenn nicht mehr alle Teams «finanzierbar» sind? Was, wenn sich ein Team wirtschaftlich nicht mehr trägt und aufgelöst werden müsste? In solchen Situationen zeigt sich: Selbstorganisierte Teams haben eine natürliche Hemmung, auf den «Selbstzerstörungsknopf» zu drücken. In Phasen des Wachstums oder Umbaus ist das auch nicht nötig. In einer Phase von Einsparungen zuweilen wohl. Dann ist es eine typische Aufgabe von Führung, Prioritäten zu setzen und auch unangenehme Entscheidungen zu treffen zum «Wohl des Ganzen », aber eben auch mit Konsequenzen für den Einzelnen.

Das Führungsdilemma

In dieser Situation befinden sich zurzeit nicht wenige Unternehmen: Ihre Umsätze und Erträge sowie Auftragseingänge stagnieren, wenn sie nicht sogar sinken. Also ist eine höhere Finanzdisziplin angesagt. Es muss wieder schärfer gefragt werden: Was ist für den Erfolg des Unternehmens unabdingbar, und worauf können wir verzichten? Und nicht selten ist ein Cost-Cutting bei allen Initiativen, deren Relevanz für den Unternehmenserfolg eher niedrig ist, angesagt. Selbst das Thema Personalabbau steht bei einer wachsenden Zahl von Unternehmen wieder auf der Agenda.

Das heisst, das Topmanagement muss wieder stärker steuern, denn

  • kein Bereich kürzt eigeninitiativ sein Budget und
  • kein agiles (Projekt-)Team beschliesst von sich aus: «Wir lösen uns auf» – zum Beispiel, weil andere Dinge aktuell dringlicher sind.

Solche Entscheidungen muss das Topmanagement treffen, und sie werden von ihm aktuell oft getroffen. Dies führt insbesondere in den Unternehmen, die in den zurückliegenden Jahren stark die Themen Agilität und Eigenverantwortlichkeit forcierten, nicht selten zu Konflikten und dazu, dass die Betroffenen monieren: «In den letzten Jahren wurde von uns stets gefordert, wir müssten eigenständiger entscheiden und agieren, und nun erhalten wir wieder strikte Vorgaben.» Das macht es für das Topmanagement schwer, die Betroffenen als Mitstreiter zum Beispiel in Turnaround-Projekten zu gewinnen.

In «Sowohl-als-auch»-Kategorien denken

Das Topmanagement nicht weniger (Gross-) Unternehmen steckt aktuell in folgendem Dilemma:

  • Einerseits müssen die Unternehmen in der von rascher Veränderung geprägten VUKAWelt agiler werden und deshalb mehr Entscheidungsbefugnisse auf die operative Ebene verlagern. Und: Andererseits müssen vom Management Top-down-Entscheidungen getroffen werden – unter anderem, um sicherzustellen, dass sich alle Initiativen im Unternehmen an den gemeinsamen übergeordneten Zielen orientieren und dass die stets begrenzten Ressourcen effektiv genutzt werden.

Die Unternehmen müssen sozusagen eine hybride Kultur entwickeln, in der statt eines dogmatischen «Entweder-oder» ein pragmatisches «Sowohl-als-auch» gilt, denn anders lassen sich zumindest grössere Organisationen in der VUKA-Welt nicht erfolgreich führen.

Dieses Bewusstsein den Mitarbeitern zu vermitteln, ist nicht leicht – auch weil in der VUKA-Welt häufiger sogenannte «schwarze Schwäne», also unvorhersehbare oder nur schwer vorhersehbare Ereignisse, die Planungen des Topmanagements obsolet machen. Also muss es seine Entscheidungen häufiger überdenken und korrigieren. Das vermittelt den Betroffenen oft das Gefühl: «Die da oben wissen selbst nicht, wohin die Reise geht.» Hieraus kann rasch Demotivation resultieren.

Die Führungskräfte stärken statt verunsichern

Eine solche Entwicklung können Unternehmen nur mit starken Führungskräften vermeiden, die ihren Mitarbeitern im Arbeitsalltag immer wieder vermitteln, warum gewisse Dinge nötig sind. Deshalb sollten die Unternehmen ihre Führungskräfteentwicklung, die sie in den letzten Jahren nicht selten auf Eis legten, wieder forcieren – auch damit die Führungskräfte lernen, mit dem Führungsparadoxon von Top-down und Bottomup im Betriebsalltag gut umzugehen.

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