Hannes führt das Mitarbeitergespräch

D ie Zeit ist reif, das Verhalten eines seiner Mitarbeiter gefällt Hannes schon lange nicht mehr. Die Leistungen von Mustermann sind alles andere als mustergültig, Termine werden so knapp eingehalten, dass es oft unsicher ist, ob es klappt. Ansonsten fällt Mustermann vor allem durch Unauffälligkeit auf. Krankentage am Montag nach Heimspielen des LieblingsFussballclubs häufen sich.

Immer wieder hat Hannes sich eingeredet, dass es besser werde und Mustermann nicht damit konfrontiert. Im Grunde aber ist es so, dass Hannes das entscheidende Gespräch seit Monaten vor sich herschiebt. Jetzt ist es soweit. Hannes’ Vorgesetzter hat Wind davon erhalten und ihn unter Druck gesetzt. «Eigentlich müsste der sich gar nicht einmischen», denkt Hannes. Aber auch Hannes ist – obwohl Vorgesetzter – für seinen Chef ein Mitarbeiter. «Das ist die Hierarchie, es sitzt immer noch einer weiter oben.»

 

Hannes hat Fakten gesammelt und bastelt sich einen Leitfaden für das Gespräch mit Mustermann. Wie soll er beginnen? Etwas Small Talk? Das schafft Atmosphäre. Allerdings ist zu viel davon auch nicht gut, das hat er in der Ausbildung gelernt. Man soll nicht zu kollegial wirken, wenn es hart auf hart geht. Stichwortartig notiert Hannes: «Kurzer Small Talk: Wetter passt immer, fragen ob er Skifahren geht.» Dieser Schuss kann allerdings in den Ofen gehen. Was, wenn der Mitarbeiter gleich einhängt und nach Ski-Urlaub fragt? Also muss ein unverfänglicheres Thema her. «Wie geht’s?» Nicht sehr kreativ und es interessiert ihn auch nicht, aber sein Chef fragt ihn das auch immer.

 

Dann zum Problem: «Ich bin heute da, um mit Ihnen…»; ‹das hört sich zu sehr nach Verhör an, zu dramatisch. Also direkter: «Herr Mustermann» – das ist etwas förmlich, distanziert›, schiesst es Hannes durch den Kopf. «Geschätzter Herr Mustermann.» Genau, das drückt Wertschätzung aus, so steht es im Leitbild. Also: «Geschätzter Herr Mustermann, ich bin grundsätzlich zufrieden mit Ihnen.» Nein, das gefällt Hannes nicht. «Grundsätzlich zufrieden» hört sich negativ an. Dann kann er gleich sagen: «Ich bin unzufrieden mit Ihnen.» Aber das ist doch recht hart, wie ein Schlag ins Gesicht

 

Hannes überlegt, wie er es denn selbst gern hätte? Ehrlich, offen, aber ohne zu verletzen, konfrontieren, aber eine gute Stimmung halten? Hannes ist am Verzweifeln. Soll er sein Harmoniebedürfnis aufgeben, um seinem Chef zu

 

Hannes ist am Verzweifeln. Soll er sein Harmoniebedürfnis aufgeben, um seinem Chef zu gefallen?

 

gefallen? Seinen Mitarbeiter verstimmen, um danach noch mehr Probleme zu haben? Aber wenns so weitergeht, gehts auch nicht

 

Er sucht in den Seminarunterlagen der Führungsausbildung nach Leitfaden und Gesprächsmodellen. Glasl, die sieben Eskalationsstufen. Diese helfen, ein Problem anzugehen, bevor es eskaliert. So schlimm ist es nun auch nicht, von Eskalation zu reden, wäre übertrieben. HarvardModell, Integration in der Konfliktlösung. Damit werden die beidseitigen Bedürfnisse erfasst, um sie zu erfüllen. Das ist für Hannes dann doch zu konsensund kompromissorientiert. Von Bedürfnissen kann keine Rede sein, Mustermann muss einfach besser arbeiten. Dann findet Hannes noch GROW als CoachingModell. Coaching tönt gut und solide Fragetechniken faszinieren Hannes. Zirkuläre Fragen, Fragen nach der inneren Landkarte, hypothetische Fragen – das ist die Theorie. Das im GROW zu verknüpfen, ist dann doch zu kompliziert und erscheint dem Tatbestand nicht angemessen. Schliesslich braucht Hannes keine Fragen zu stellen, sondern Mustermann zu sagen, was ihm wichtig ist. Da fällt Hannes noch etwas ein: Die Kommunikation. In seinen Unterlagen stösst Hannes beim Wort «gewaltfrei» an die Grenzen seiner Vorstellung. Von Gewalt kann keine Rede sein. Und was, wenn das Gegenüber die Feedbackregeln nicht mehr kennt?.

 

Es ist zum Verrücktwerden. Nach zwei Stunden Vorbereitung holt sich Hannes einen Kaffee. Beim Automaten steht Mustermann. Er telefoniert privat. Hannes schaut ihn verdattert an, Mustermann schaut zurück und fragt: «Passt Ihnen etwas nicht?». Hannes ist sauer und spontan entwischt ihm «Ja, dass Sie privat telefonieren und nicht arbeiten». Hannes muss gerade sehr glaubwürdig gewirkt haben. Mustermann unterbricht das Gespräch und geht an den Arbeitsplatz. Hannes ist stolz, einen solch tollen Gesprächseinstieg gefunden zu haben. Mit gesundem Menschenverstand lässt sich vieles erreichen.

 

Jetzt kann Hannes weiter vorbereiten. Den Einstieg hat er schon. Doch wie soll es weitergehen? Hannes’ Pragmatismus kommt zum Vorschein: «Es kann ja sein, dass diese Bemerkung gereicht hat, damit Mustermann sich bessert. Geben wir ihm doch noch eine Chance.» Zufrieden wendet sich Hannes dem Tagesgeschäft zu im Wissen, ein Mitarbeiterproblem angegangen zu haben.

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