Gastechnologien mit Zukunft
Die Firma Messer Schweiz AG feiert dieses Jahr das 125-jährige Bestehen des Standorts in Lenzburg. Industriegase sind heute aus vielen Prozessen nicht mehr wegzudenken. Und mit Innovationen – etwa dem Recycling von CO2 – ist der Gashersteller gerüstet für die Zukunft.
Das Firmengelände von Messer Schweiz AG liegt etwas ausserhalb des Städtchens Lenzburg, leicht versteckt zwischen Hauptstrasse und Wald in einer idyllischen Senke, die vom Aabach durchflossen wird. Dort war es auch, wo 1891 die Cartonfabrik Lenzburg gegründet wurde. Diese begann 1911 mit der Herstellung von Sauerstoff, was dann 1961 zur Umfirmierung in «Sauerstoffwerk Lenzburg AG» führte. Die Firma Messer kam 1971 ins Spiel; die Kooperation mit diesem deutschen Familienunternehmen – dem grössten eigentümergeführten Industriegase- Unternehmen weltweit notabene – gipfelte schliesslich 2003 in der kompletten Übernahme der Firmenanteile und der erneuten Umfirmierung in Messer Schweiz AG im Jahr 2005. Unter diesem Namen ist das Unternehmen einer der führenden Lieferanten für Industriegase in der Schweiz. Abnehmer sind Industrieunternehmen, Spitäler wie auch Forschungsinstitute. Geliefert werden hauptsächlich Stickstoff, Sauerstoff, Argon, Wasserstoff, Helium und Gasgemische. Heute beschäftigt die Messer Schweiz AG über 100 Mitarbeitende.
CO2-Recycling für Mineralwasser
Ein eher jüngeres «Steckenpferd» von Messer Schweiz ist das Recycling des Treibhausgases CO2. In Zusammenarbeit mit dem Tochterunternehmen Asco Kohlensäure AG in Romanshorn wurde eine Pilotanlage entwickelt, mit welcher sich das Kohlendioxid aus Verbrennungsprozessen zurückgewinnen lässt. Dieses Verfahren sei viel wirtschaftlicher als die Beschaffung von CO2 aus dem Ausland, erläutert Dr. Hans Michael Kellner, Geschäftsführer von Messer Schweiz AG. «Der CO2-Markt ist interessant: Gerade im Sommer besteht eine grosse Nachfrage nach diesem Gas – just in der Saison, in der die Raffinerien ihre Anlagen warten». Die hohe Nachfrage im Sommer kommt von der Getränkeindustrie, welche das CO2 für ihre Getränke benötigt. So entstehen regelmässig Lieferengpässe – «das schlaucht jeweils uns und unsere Kunden», fährt Kellner fort. Die Pilotanlage läuft inzwischen mit Produktionskapazität, Messer Schweiz AG beliefert bereits namhafte Kunden mit dem darauf erzeugten CO2. «Geliefert wird in Nahrungsmittel-Qualität, gemäss der bekannten «Coca- Cola-Spezifikation». Und damit können wir das erwähnte Sommerloch gut schliessen. Die Pilotanlage vermag auch unseren Eigenbedarf in dieser Zeit zu decken. Gleichwohl sind Überlegungen im Gange für den Bau einer grösseren Anlage», so Hans Michael Kellner.
Und immer wieder: Regulierungen wohin man schaut
Wann immer eine Neuentwick-lung in die Praxis umgesetzt wer-den soll, müssen Regeln und Vor-schriften erfüllt sein. Davon kann Hans Michael Kellner ebenfalls ein Lied singen. Er erzählt: «Erst wollten wir ja die Pilotanlage hier auf dem Gelände in Lenzburg einrichten, weil wir hier eine An-lage für die Erzeugung von Was-serstoff betreiben, die viel CO2 abwirft in einer Reinheit, die man gut nutzen könnte. Die behördli-chen Auflagen waren aber so gross, dass diese den Wert der Anlage überstiegen. Wir sitzen im Grünen; wir haben Wälder sowie einen Fluss; da müssen die Abstände eingehalten werden. Während der Abklärungen wur-de das Gesetz dazu dreimal geän-dert! Wir haben zudem Hoch-spannungsleitungen in nächster Nähe, Abwasserleitungen etc. Dies alles führte dazu, dass wir die Anlage derart hätten zerstü-ckeln müssen und sich ihr Be-trieb deshalb nie gelohnt hätte. Glücklicherweise hat sich ein Partner finden lassen, bei dem wir die Anlage doch noch instal-lieren konnten – und dies gleich in der Nähe der grössten Abneh-mer, sodass sich Transportkosten einsparen lassen.»
Grundsätzlich erlebt der Ge-schäftsführer von Messer Schweiz AG die Zusammenarbeit mit den Behörden als positiv. Doch er stellt auch fest, dass die Koordination unter den Ämtern nicht immer vorhanden ist. Es gebe Regelun-gen, die sich zum Teil widerspre-chen, weiss er aus Erfahrung. «Manche Gesetze überlappen sich. Gemäss der einen Vorschrift darf man etwas genau nicht ma-chen, was in einer anderen Rege-lung aber sogar gefordert wird. Da sitzt man dann irgendwann mal zwischen Stuhl und Bank, denn wir möchten ja alles richtig ma-chen.» Aber für ein Unternehmen, das sich mit einer Vielzahl von ver-schiedenen Gasen beschäftigt – manche davon völlig ungefähr-lich, andere wiederum brennbar – ist der Umgang mit Vorschriften und Regulierungen gleichsam tägliches Brot.
Sicherheit und Qualität dank hoher Fachkenntnis
Qualität und Sicherheit werden in Lenzburg grossgeschrieben. Zusätzlich bietet die Messer Schweiz AG für die Kunden auch Seminare an, wo der richtige Umgang mit Gasen geschult wird. Diese Sicherheitsseminare sind inzwischen gut besucht – von Vertretern aus allen Industrien, zumal diese ebenfalls grossen Wert auf die Sicherheit legen. «Wenn Mitarbeitende praktisch geschult sind – Bilder und Live- Erfahrungen prägen sich bekanntermassen besser ein, dann ist dies auch sicherer für sie. Wir geben auch den Nachweis durch ein Zertifikat, dass Mitarbeitende entsprechend im Umgang mit Gasen geschult sind – das fordert ja nicht zuletzt auch die ISO- 9001-Norm,» so Hans Michael Kellner. Selbstredend ist auch die Messer Schweiz AG nach ISO 9001 zertifiziert. Und wenn man sich auf dem Firmengelände umschaut, erhält man nie den Eindruck, dass überall eine latente Gefahr bestehen würde. Das hängt eng mit der hohen Fachkenntnis des Personals zusammen – der ganze Stolz des Unternehmens. Die dienstältesten Mitarbeitenden sind schon mehrere Jahrzehnte für das Unternehmen tätig. Und wenn mal gespart werden müsste, dann sicher nicht beim Personal, betont Hans Michael Kellner. «Wir machen keine betriebsbedingten Entlassungen, weil unsere Leute sehr spezialisiert sind. Unsere Branche ist eben sehr speziell. Wir setzen alles daran, Mitarbeitende zu fördern und zu entwickeln, Knowhow zu vermitteln. Es wäre eine grosse Verschwendung, Leute in wirtschaftlich schweren Zeiten zu entlassen, und wenn es wieder aufwärts geht, neue Leute einzustellen, für deren Schulung wir rund zwei Jahre benötigen, bis sie auf dem nötigen Wissensstand sind. Deshalb prüfen wir immer zuerst andere Möglichkeiten.»
Der Treibstoff aus Abgas
Auch wenn Industriegase als Produkte nicht besonders «sexy» sein mögen, bilden sie dennoch die Basis für verschiedene Innovationen. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist etwa der Wasserstoff, den die Messer Schweiz AG in einem eigenen Cracker in Lenzburg selbst herstellt. Zusammen mit der EMPA und dem Paul- Scherrer-Institut arbeitet das Unternehmen an der Weiterentwicklung von Wasserstoff-Motoren. Den Wasserstoff-Antrieb sieht Hans Michael Kellner als eine Alternative unter vielen – wie auch den Elektroantrieb. Er weist darauf hin, dass das Thema «Wasserstoff » in einem grösseren Zusammenhang gesehen werden sollte. Noch einmal kommt er dabei auf das CO2 zu sprechen: «Mit CO2 kann man methanisieren, mit Methan hat man praktisch Erdgas und damit den Treibstoff. Mit anderen Worten: Aus Kehricht entsteht letztlich ein betanktes Fahrzeug. Ganz Europa ist nun auf diesen Zug aufgesprungen. Wenn das funktioniert wie beim Elektro- Auto, dann wird auch der Wasserstoff zu einem ganz interessanten Medium», glaubt Hans Michael Kellner. Und auch sonst beurteilt er die wirtschaftlichen Aussichten des Unternehmens als nicht schlecht. Denn grundsätzlich würde ohne Industriegase vieles in der Schweiz stillstehen. Man denke dabei nur schon an die Spitäler und deren Versorgung mit Sauerstoff. Viele Krankenhäuser investieren derzeit in die Erneuerung ihrer Versorgungssysteme. Auch da kann Messer Schweiz ein gewichtiges Wort mitreden. «Wir liefern Gase, aber auch alles rund ums Gas. Wir sind also auch für die ganze «Hardware» und deren Installation besorgt. Bei uns befindet sich deshalb auch eine eigene Ingenieurabteilung », erklärt Hans Michael Kellner. Dass gerade jetzt eine Art Investitionsboom herrscht, kommt nicht von ungefähr. «Viele Materialien, die wir verwenden, kommen aus Deutschland. Da profitieren wir natürlich von einem tiefen Einkaufspreis, den wir unseren Kunden auch weitergeben.» Aber auf der anderen Seite spürte auch Messer Schweiz die Auswirkungen der Aufhebung des fixen Euro- Franken-Kurses. Denn exportorientierte Unternehmen haben ihre Produktion zum Teil zurückfahren müssen, und damit sank auch der Bedarf an Industriegasen. Aber insgesamt ist die Messer Schweiz AG so aufgestellt, dass es immer einen Bereich gibt, indem genügend Nachfrage besteht und damit auch für Profit gesorgt ist.