Fertigungs-IT: Der Weg zur perfekten Produktion

Welchen Auftrag produzieren Sie gerade? Wie weit ist der Auftrag? Und welches Werkzeug benötigen Sie als nächstes? Während sich diese drei Fragen noch relativ leicht beantworten lassen, sieht es hiermit schon anders aus: Welches Potenzial steckt noch in Ihren Anlagen – und zwar nicht nach Gefühl? Kennen Sie die häufigsten Störungsgründe – und zwar aus dem Effeff? Welche Ausweichmöglichkeiten haben Sie bei einer Störung – und zwar zack, zack? Schnelle Antworten sind im heutigen Marktumfeld von entscheidender Bedeutung. Wie Sie aussagefähig werden und die Zielgrössen einer perfekten Produktion erreichen, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Mit dem richtigen Know-how und den richtigen Tools kann jedes Fertigungsunternehmen zur perfekten Produktion transformiert werden. (Bild: Perfect Production GmbH, AdobeStock, industrieblick)

Um immer die richtige Antwort parat zu haben, benötigen Sie in der Fertigung zunächst eins: Transparenz – und zwar auf Knopfdruck. Gemeinsam mit der Reaktionsfähigkeit gehört sie zu den primären Zielgrössen, die ein Unternehmen verfolgen muss. Transparenz und Reaktionsfähigkeit sind wiederum die Voraussetzungen für Wirtschaftlichkeit – die dritte Zielgrösse im magischen Dreieck der perfekten Produktion. Denn erst wenn sich die Prozesse eines Fertigungsunternehmens über schnelle Regelkreise regeln lassen, lässt sich die Wirtschaftlichkeit steigern und somit die Wettbewerbsfähigkeit sichern.

Kleine Ursache, grosse Wirkung

Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht die Zusammenhänge: Ein winziger Metallspan im Öl kann dazu führen, dass eine Ölpumpe versagt. Infolgedessen wird das Lager beschädigt und verursacht den Komplettausfall einer Maschine. Die Maschine steht still, der Auftrag wird nicht rechtzeitig fertig und aufgrund der Überschreitung des Liefertermins kommt es schlimmstenfalls zu einer Konventionalstrafe. So läuft es noch immer in vielen Fabriken.

In der transparenten, reaktionsfähigen und wirtschaftlichen Produktion wäre das Szenario ein anderes. Der Schichtleiter müsste nur einen Blick in seine Fertigungs-IT werfen, um zu sehen, auf welche Maschine er bei einer Störung ausweichen kann (Transparenz). Dank Systemunterstützung könnte er mit wenigen Klicks die Aufträge umplanen (Reaktionsfähigkeit) und den Liefertermin einhalten (Wirtschaftlichkeit). Es geht sogar noch besser: Wenn die Möglichkeiten der modernen Fertigungs-IT genutzt werden, wäre die Maschine gar nicht erst ausgefallen. Predictive Maintenance oder vorausschauende Wartung heisst das Zauberwort. Die lückenlos erfassten Maschinen- und Prozessdaten könnten präzise analysiert werden, um Maschinen proaktiv zu warten und ungeplante Stillstände zu vermeiden.

Vier Bausteine der perfekten Produktion

Der geschilderte Fall zeigt, dass das Ziel einer perfekten Produktion unweigerlich an die Digitalisierung gekoppelt ist. Doch für die erfolgreiche Transformation zur Smart Factory reicht es nicht, die modernsten Produktionsanlagen und ein Manufacturing Execution System (MES) zu installieren. Es müssen auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Fertigungs-IT effektiv zu nutzen. Ein ganzheitlicher Ansatz widmet sich daher den folgenden Aspekten:

  1. Wertstrommanagement 4.0
  2. Schlanke Wertströme
  3. Schlanke Unterstützungsfunktionen
  4. Nachhaltige Prozessverbesserung

Diese vier Bausteine haben sich dabei bewährt, in Unternehmen schrittweise die perfekte Produktion zu erreichen. Sie zielen darauf ab, Schwachstellen zu identifizieren und künftig zu vermeiden.

Baustein 1: Wertstrommanagement 4.0

Der erste Baustein umfasst im Wesentlichen die Wertstromanalyse 4.0 und das Wertstromdesign. Er dient also dazu, die Prozesse aufzunehmen, zu analysieren und neu zu konzipieren. Neben dem Herstellungsprozess und dem Materialfluss gilt den Informationsflüssen und den Planungsabläufen besondere Beachtung. Schliesslich steuern sie die Fertigungsprozesse, bei denen es auf jede Minute ankommt. Die Erkenntnisse der 360-Grad-Analyse werden in einem Wertstromdiagramm dargestellt. Um die so veranschaulichten Informationen schnell bewerten zu können, wird ein Durchlaufzeitdiagramm erstellt und der Prozesswirkungsgrad als Mass für die Wirtschaftlichkeit des Gesamtprozesses errechnet. Für den Bereich der Informationsflüsse und Planungsprozesse wird zum Beispiel die Anzahl der eingesetzten Tools und der Digitalisierungsgrad ermittelt.

Nun liegen die Fakten zu den Prozessen in der Produktion und dem produktionsnahen Umfeld klar auf der Hand. Fragen nach dem Herstellungsprozess, dem Informationsfluss, dem Planungsprozess und den eingesetzten (IT)-Tools lassen sich beantworten und die nächsten Schritte daraus ableiten: ein Wertstromdesign mit Sollkonzept sowie eine Roadmap, um das Sollkonzept umzusetzen.

Baustein 2: Schlanke Wertströme

Der zweite Baustein zielt darauf ab, schlanke Produktionsprozesse zu etablieren, also das im ersten Baustein erarbeitete Sollkonzept konsequent umzusetzen. Dies geht damit einher, Verschwendung zu eliminieren. Zu den sieben gängigen Arten der Verschwendung in Anlehnung an Taiichi Ohno, den früheren Produktionsleiter von Toyota und Begründer der Lean Production, zählen: Überproduktion, Wartezeiten, Transport, ineffiziente Bearbeitung, Läger, überflüssige Bewegungen und Fehler. Diese können um die mangelnde Mitarbeitereinbindung und -motivation sowie die Verschwendung durch Informationsschnittstellen ergänzt werden. Denn für eine erfolgreiche Umsetzung schlanker Wertströme ist die aktive Einbindung der Mitarbeiter das A und O.

Baustein 3: Schlanke Unterstützungsfunktionen

Der dritte Baustein befasst sich mit den produktionsnahen Unterstützungsfunktionen, also der Grob- und Feinplanung und deren Integration in die Fertigungsprozesse. Ein plakatives Beispiel ist die Optimierung der Planung: Häufig wird die Produktion im ERP-System grob auf Kalenderwochen geplant. Die Feinplanung auf die Arbeitsplätze und Maschinen erfolgt dann tages- oder schichtgenau an der Plantafel im Meisterbüro oder in Excel. Dass dabei die Transparenz, aber auch die Reaktionsfähigkeit im Sinne schneller Regelkreise völlig auf der Strecke bleibt, liegt auf der Hand. Da tatsächliche Kapazitäten und Auftragsrückstände nicht berücksichtigt werden, entstehen Fertigungsaufträge bzw. Termine, die so schlichtweg nicht machbar sind. Ein integriertes Planungstool eines Manufacturing Execution Systems schafft Abhilfe. Es unterstützt dabei, die Transparenz und Reaktionsfähigkeit herzustellen. Schliesslich müssen in der perfekten Produktion nicht nur das Material, sondern auch die Informationen fließen.

Baustein 4: Nachhaltige Prozessverbesserung

Sobald die Prozesse verschlankt und digitalisiert sind, geht es im vierten Baustein darum, die Veränderungen nachhaltig im Unternehmen zu implementieren und sukzessive weitere Verbesserungen zu erzielen. Und das quasi nebenher im Produktionsalltag. Wichtig ist dabei, Ziele nach der SMART-Methode zu definieren und die richtigen Kennzahlen auszuwählen, um die Zielerreichung zu messen. Dann folgt der Aufbau von Regelkreisen und die zyklische Auditierung. Diese stellt sicher, dass Prozesse zeitnah an Veränderungen angepasst werden und die Veränderungsprozesse generell nicht wieder von der Agenda verschwinden, ohne dass die Potenziale ausgeschöpft werden.

In der transparenten, reaktionsfähigen und wirtschaftlichen Produktion genügt dem Schichtleiter wie dem Management ein Blick in die Fertigungs-IT, um genauestens über den aktuellen Zustand der Produktion informiert zu sein. (Bild: Perfect Production GmbH, AdobeStock, Gorodenkoff)

MES als Basis für die Smart Factory

In den vier Bausteinen der perfekten Produktion kommt dem Manufacturing Execution System als Basis für die Smart Factory eine wichtige Rolle zu. Denn wenn die relevanten Lean-Methoden von geeigneten MES-Funktionen flankiert werden, ist das die beste Voraussetzung, um im Projekt gut voranzukommen. Da ein MES die Fertigungsdaten in Echtzeit erfasst, eignet es sich ideal, um kurze Reaktionszeiten und schnelle Regelkreise in der Produktion zu realisieren. Im eingangs genannten Beispiel mit dem Metallspan im Öl und dem daraus resultierenden Maschinenausfall zeigt sich, wie wichtig es ist, Störungen schnell zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern. Voraussetzung dafür ist eine permanente Überwachung der Produktion – von der Terminsituation über den Maschinen- und Werkzeugstatus bis zur Personalverfügbarkeit und der Produktqualität.

Die fünf wichtigsten MES-Aufgaben, um schnelle Regelkreise zu realisieren sind:

  • Überwachung der Produktion in Echtzeit: Um die Daten automatisch zu erfassen, werden Maschinen und weitere Peripherie über Schnittstellen direkt ans MES angebunden. Doch auch eine manuelle Datenerfassung ist möglich. Die Betriebsdatenerfassung liefert den schnellen Überblick über die aktuelle Terminsituation, die Maschinendatenerfassung steuert Informationen zum Status von Maschinen und Anlagen bei. Der Operator sieht im System auf einen Blick, ob die Maschine läuft (grün) oder nicht (rot), und kann ohne Zeitverlust auf einen Stillstand reagieren. Für die Planung sind zum Beispiel auch Personalkapazitäten und die Qualifikation der Mitarbeitenden sofort ersichtlich
  • Kurzfristige Reaktion auf Ereignisse: Ein Eskalationsmanagement ermöglicht es, kurzfristig auf Ereignisse zu reagieren. Neben der bereits genannten Maschinenstörung kann auch das Über- oder Unterschreiten des Grenzwerts eines Qualitätsmerkmals dazu führen, dass der Qualitätsbeauftragte benachrichtigt wird. Oder der Einrichter wird informiert, sobald die Toleranzgrenze eines Prozesswerts verletzt wird. Im Falle eines Maschinenstillstands können mit einem MES schnell die Handlungsalternativen simuliert werden und die Aufträge per Drag-and-drop neu eingeplant werden. Gleiches gilt für die Personalplanung.
  • Berechnung und Visualisierung von Kennzahlen: Ohne Kennzahlen keine Prozessverbesserung: Ein Manufacturing Execution System ist das ideale Tool, um Kennzahlen zu berechnen und zu visualisieren. Es kann nicht nur die Standardkennzahlen wie Nutzgrad, OEE-Index oder Termintreue darstellen. Aus den erfassten Daten können zum Beispiel auch der Prozesswirkungsgrad und die Durchlaufzeit ermittelt werden. Darüber hinaus können Daten über verschiedene Zeiträume miteinander verglichen werden. Jede Unternehmensebene erhält die Informationen, die sie benötigt.
  • Unterstützung des KVP: An der Vermeidung von Störungen oder der Verbesserung instabiler Prozesse kann am besten mit Hilfe eines MES gearbeitet werden, ganz im Sinne des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP). Der PDCA-Zyklus kann erheblich beschleunigt werden, da die Daten auf Knopfdruck zur Verfügung stehen. Dank des grösseren Detailgrads der Informationen lassen sich mehr Potenziale aufdecken und Verbesserungen schneller realisieren.
  • Datenbereitstellung für ERP-Systeme: Ein MES meldet die relevanten Daten aus der Produktion in definierten Zeitintervallen an das übergeordnete ERP-System – und schliesst somit den Regelkreis. Anhand solcher Daten wie der tatsächlichen Kapazitätsauslastung wird die Fertigung mittel- bis langfristig geregelt. Die Informationen dienen zudem der kaufmännischen Nachkalkulation und Pflege der Stammdaten.

Wenn alle vier Bausteine der perfekten Produktion umgesetzt sind und ein Manufacturing Execution System schnelle Regelkreise realisiert und organisiert, haben Sie es geschafft: Sie sind den drei Zieldimensionen Transparenz, Reaktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit in der Produktion ein ganzes Stück näher. Sie nutzen das Potenzial Ihrer Anlagen optimal, kennen die häufigsten Störgründe und wissen, auf welche Maschine Sie ausweichen können, wenn ein kleiner Metallspan im Getriebeöl Ihre Produktionsplanung durcheinanderwirbelt.

 

Autor:
Jürgen Rieger ist Mitglied der Geschäftsleitung der Perfect Production GmbH und Autor des Fachbuchs „Die perfekte Produktion. Manufacturing Excellence in der Smart Factory.“ Perfect Production GmbH begleitet als Beratungsunternehmen produzierende Unternehmen auf dem Weg zur perfekten Produktion und gehört zur MPDV Gruppe

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