Faktor Reputation im Risikomanagementprozess

Ist Volkswagen (VW) ein Reputationsrisiko bewusst eingegangen oder hat VW die Auswirkung eines operationellen Risikos unterschätzt? Ist das Reputationsrisiko ein Faktor oder die Auswirkung eines eingetretenen Risikos? Experten über unterschiedliche Reputationsrisiken.

Faktor Reputation im Risikomanagementprozess

 

In vielen Unternehmungen findet die Risiko­ kategorisierung in Anlehnung an das COSO-Modell (Committee of Sponsoring Organiza-tions of the Treadway Commission) statt. COSO unterstützt mit den Dimensionen Strategie (Strategy), Betrieb (Operations), Berichterstat-tung (Reporting) und Regeleinhaltung (Com-pliance) die unternehmensweite, risikobasierte Sichtweise eines internen Kontrollsystems (IKS) und stellt somit ein übergeordnetes Bin-deglied zwischen IKS und Risikomanagement dar.

 

Im Gegensatz zum IKS wird im Risiko-management nicht nur die risikobasierte Kon-trolle von negativer Abweichung gegenüber Vorgaben verstanden, sondern implizit auch die Möglichkeit zur Nutzung von Chancen. Dies widerspiegelt sich auch in der gemäss ISO 31000 formulierten Risikodefinition, die ein Risiko als «Auswirkung von Unsicherheit auf ein Ziel» versteht und damit keine Bewer-tung im positiven oder negativen Sinne eines Risikos abgibt.

 

Diesem Faktor wird auch im COSO-Mo-dell Rechnung getragen, indem das ursprüng-liche Modell mit der Dimension Strategie be-wusst um eine Ebene erweitert wurde (COSO II) und so einen unternehmensweiten Ansatz aufnimmt. Aufgrund seines gesetzlichen Ur-sprungs wird die IKS-Ausgestaltung noch zu oft in einem auf die finanzielle Berichterstat-tung bezogenen Rahmen gelebt, ohne die üb-rigen Dimensionen mit einem äquivalenten Framework abzudecken. Diese enge Sichtwei-se kann dazu führen, dass – nur schwierig zu quantifizierende – Risiken wie Reputations­ risiken zu wenig thematisiert und somit zu spät realisiert werden.

Verkehr als finanzielles, operationelles oder Reputationsrisiko?
Ein Beispiel aus dem Alltag: Ein Fussgänger kann eine Strasse ausserhalb der dafür vorge-sehenen Empfehlungen überqueren. Er trägt das Risiko.

 

Es besteht ebenso ein finanzielles Risi-ko, falls er von einem Ordnungshüter aufge-halten und allenfalls gebüsst wird. Ein opera-tionelles Risiko wäre gegeben, falls er dieses falsch eingeschätzt hat und er es vor dessen Eintreten nicht auf die andere Strassenseite geschafft hat.

 

Auch die Auswirkungen des eingetrete-nen operationellen Risikos können finanziell quantifiziert werden; von Beiträgen an die ärztlichen Kosten bis hin zu den Bestattungs-kosten bei einem Worst-Case-Szenario. Aus einer umfassenden Risikomanagementsicht greifen diese Sichtweisen zu kurz.

 

Vielleicht ist es dem Fussgänger bei sei-ner Risikobetrachtung aus Homo-Oecono-micus-Sicht wirklich nur um die Risikoquan- tifizierung seines Ziels «Überqueren der Strasse»­ gegangen. Vielleicht war ihm die Wahrnehmung der Umwelt bezüglich seines Scheiterns unbewusst oder sogar bewusst gleichgültig. Was aber, wenn die Umwelt dies differenzierter wahrnimmt und eine Recht-fertigung für dieses Verhalten verlangt?

Zielsetzung und Vorbildfunktion
Ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung eines möglichen Reputationsschadens ist dabei die Vorbildfunktion. Auch ein Fussgänger mit Vorbildfunktion kann eine Strasse aus­serhalb der dafür vorgesehenen Empfehlungen über-queren. Hingegen nimmt die Wahrscheinlich-keit, für diese Zielsetzung und diesen Weg zur Zielerreichung eine Rechtfertigung abgeben zu müssen, zu. Ein Vorbild trägt Werte mit sich, bewusst oder unbewusst. Einem­ Vorbild trägt man Anerkennung bei.

 

Ein Vorbild hat Verantwortung, für sich, sein Umfeld, seine Umwelt. Was für ein Bild gibt eine Person des öffentlichen Lebens ab, wenn diese das Risiko eingeht, sich im Feierabendverkehr durch die Autoschlangen auf die nächste Strassenseite zu begeben?

 

Liegt dort weiterhin einzig ein finanziell quantifizierbares, operationelles Risiko vor? Oder wird vielmehr eine weitere Dimension des COSO-Frameworks tangiert, die Regeleinhaltung, gemeinhin unter dem Modebegriff Compliance subsummiert? Zu oft wird gerade in dieser Dimension eine zu enge Sichtweise gelebt: ein Fokus auf die Einhaltung von Gesetzen und Vorgaben. Wie in diesem Fall auf die Strassenverkehrsregeln. Zu wenig wird die Einhaltung von gesellschaftli chen Werten und Moralvorstellungen antizipiert, was schlussendlich in einem viel grösseren Verlust mündet.

Wird ein Risiko einzig nach finanziellen Risikobeurteilungen bewirtschaftet?
«Das Undenkbare ist geschehen und wir müssen damit umgehen», wurde Prof. Dr. Martin Winterkorn, abtretender Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, nach dem VW-Skandal zitiert. Dabei wurde zuerst etwas grosses Ganzes übersehen: die Reputation der Unternehmung.

 

Es ist mit dem Boxkampf vergleichbar: die Unterschätzung der unbekannten Linken. Sie schlägt dann zu, wenn es nicht erwartet wird. Man kann noch so gut vorbereitet sein, sie haut einen – da unerwartet, nicht antizipiert – sofort zu Boden. Eine vergleichbare Wirkung hat das Eintreten eines unvorhergesehenen Reputationsrisikos: Operationelle Risiken können getragen werden, solange es die finanzielle Stärke des Unternehmens erlaubt. Die Reputation wird einmal verloren und die Geschichte zeigt, dass ein Reputationsrisiko auch finanziell starke Unternehmen bezwingt bzw. deren wirtschaftlichen Erfolg beendet oder zumindest stark gefährdet.

Wird der COSO-Würfel mit seinen Dimensionen dem Thema gerecht?
Das COSO-Modell unterstützt das RisikoFramework mit seinen Dimensionen. Reputationsrisiken sind als ein weiteres Element im COSO-Framework zu sehen. Dadurch wird das Reputationsrisiko zu einem eigenständigen, wesentlichen Faktor aller Dimensionen. Es legt sich um den COSO-Würfel und durchdringt jede einzelne Stufe (vgl. Abbildung 1).

 

Reputationsrisiken bilden damit im gesamten Risikomanagementprozess eine zu oft unterschätzte Auswirkung, einen unberechenbaren, nicht quantifizierbaren Faktor. In jedem Teilschritt des COSO-Modells ist die

 

«Es ist mit dem Boxkampf ver-gleichbar: die Unterschätzung der unbekannten Linken. »

 

Frage zu stellen: Was, wenn die Öffentlichkeit zu diesem Thema sich eine Meinung bildet und diese Meinung im Widerspruch zu dem ist, was auf unserer Fahne steht? Was dann, Erklärungsnot?

 

Kommt danach noch eine halbherzige Stellungnahme, ein fehlendes Risikoma-nagement mit unangemessener spezifischer Kommunikation, kann durch ein simples Re­ putationsrisiko­ das Geschäft der Unterneh-mung gefährdet werden.

Dimension «Mitarbeitende»
Und die Mitarbeitenden? Jene, die täglich ge-gen das Reputationsrisiko ankämpfen? Ein Reputationsrisiko auszuklammern und einer operationellen oder finanziellen Risikokate-gorie unterzuordnen, ist einzig und allein fahrlässig. Reputationsrisiken sind in allen Risikokategorien­ und allen Komponenten des Risikomanagementprozesses zu finden. Die Vermeidung einer katalysierenden Wirkung beginnt (nicht nur in der Autoindustrie) da-mit, die Mitarbeitenden regelmässig punktu-ell dafür zu sensibilisieren.

 

Hinter einer Unternehmung stehen im-mer Menschen. Menschen mit Werten und Vorbildfunktionen. Wasser predigen und Wein trinken fängt zuoberst in der Kommunikati-onsleiter an. Dabei müssen sich alle Organisati-onselemente und -stufen der Unternehmung stets die Frage stellen: «Was, wenn das Unmög-liche morgen in der Zeitung steht?»

 

Ein solcher in der Unternehmenskultur verankerter Prozess kann die Auswirkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit des Re-putationsrisiko nachhaltig senken. VW be-zahlt Milliarden an Bussen für das eingegan-gene operationelle Risiko. Der Reputations-schaden gilt für die gesamte Automobilindu-strie, dem Dieselfahrzeug, den Mitarbeiten-den, ja sogar dem Endkunden.

Fazit!
Das Reputationsrisiko ist und bleibt ein nicht zu unterschätzender Faktor in einer gesamt-heitlichen Risikobetrachtung. Es kann weder quantitativ bewertet werden, noch ist es planbar oder buchbar. Es hat einen einzigarti-gen Stellenwert innerhalb des Risikomanage-ments jedes Unternehmens inne und einzig die stetige Sensibilisierung und das Wissen «Ah, da war ja noch etwas, die Reputation!» verhindert Ungemach und erleichtert die Ar-beit jedes Compliance Managers im Risiko-managementprozess.

 

In diesem Sinne ist der Faktor Reputati-on das «Schmiermittel im Getriebe» eines gut funktionierenden COSO-Modells – bei unge-nügender Beachtung eben dann leider der «Sand im Getriebe».

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