ESG-Berichterstattung: The Good, The Bad and The Ugly
Wie steht es um die ESG-Berichterstattung bei globalen Grosskonzernen? Dieser Frage geht jeweils der Global ESG Monitor (GEM) nach, eine Forschungsinitiative zur Untersuchung der Transparenz in der nichtfinanziellen Berichterstattung der grössten Unternehmen der Welt. Eben wurde die neueste Ausgabe publiziert..
In seinem eben veröffentlichten Bericht 2022 beleuchtet der Global ESG Monitor (GEM) die Umwelt-, Sozial- und Governance-Berichterstattung von 350 der wichtigsten Unternehmen weltweit. Der GEM ist international führend bei der Analyse der Transparenz der ESG-Berichterstattung und veröffentlicht jährlich einen umfassenden Bericht, der die nichtfinanzielle Berichterstattung in Europa, Nordamerika, Asien und Australien analysiert. „2022 war ein Jahr, in dem die Bedeutung von ESG-Themen dramatisch zugenommen hat“, sagte Michael Diegelmann, Mitbegründer des GEM. „Umwelt- und Sozialkrisen füllen täglich die Nachrichten, und die Unternehmen müssen klar kommunizieren, was sie tun und wie sie ihre Bemühungen steuern. Es werden zwar Fortschritte gemacht, aber unterm Strich sind noch zu viele grosse multinationale Unternehmen in ihrer ESG-Berichterstattung ungenügend. Dies wird Investoren und der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben.“
Weltweite ESG-Berichterstattung im Fokus
Für den GEM 2022 wurden 625 ESG-Berichte von 350 Unternehmen analysiert, die in Indizes von zehn grossen Börsenplätzen vertreten sind. Im Laufe der kommenden Wochen werden umfassende Berichte über die einzelnen Regionen veröffentlicht werden. Ende November wurde der globale GEM-Bericht veröffentlicht, der die vier wichtigsten kontinentalen Börsenindizes aus Europa, den USA, Asien und Australien abdeckt, etwa EuroSTOXX), S&P 50 oderASX 50 (Australien).
Nur wenige Unternehmen kamen in die Nähe des Spitzenwertes von 100 auf der Bewertungsskala des sog. GEM Assay, dem eigenentwickelten Analysemodell des Global ESG Monitor. Die weltweit höchste Punktzahl für Transparenz in der nichtfinanziellen Berichterstattung lag bei 90, die niedrigste bei 7 Punkten. Der GEM Assay analysiert anhand von 184 Kriterien die ESG-Berichterstattung von Unternehmen. ESG-Berichte werden auf vielfältige Weise genutzt, unter anderem als Faktor für ESG-Scores von Ratingagenturen, die von Investoren als Richtschnur für Anlageentscheidungen verwendet werden.
Vergleicht man die Transparenz der ESG-Berichterstattung über die Kontinente hinweg, so liegt die durchschnittliche Bewertung der Unternehmen in Europa bei 66 von 100 Punkten, gefolgt von 56 Punkten in Asien und 53 Punkten jeweils in den USA und Australien.
Europäische Unternehmen führend
„Es ist keine Überraschung, dass der GEM so grosse Unterschiede in der Transparenz der Berichterstattung in den verschiedenen Ländern und Regionen feststellt. Es gibt immer noch keinen einheitlichen, international anerkannten Standard in der ESG-Berichterstattung, und das stellt die Unternehmen vor Herausforderungen“, sagte Ariane Hofstetter, Mitbegründerin und Leiterin Research und Data Science des GEM. „Auch wenn wichtige Analyseinstrumente wie die Wesentlichkeitsanalyse weit verbreitet sind, ist das Ergebnis doch oft überschattet von Schönfärberei und einem geringen Mass Nachvollziehbarkeit und Verbindlichkeit.“
Die Untersuchung zeigt deutlich, dass europäische Unternehmen weltweit das Tempo bei der ESG-Transparenz vorgeben; so stammen acht der zehn besten Unternehmen aus Europa und zwei aus Asien. Das Unternehmen mit der höchsten Gesamtpunktzahl und somit dem transparentesten ESG-Bericht war das italienische Energieunternehmen Enel SpA.
Die GEM Top Ten
Rang | Unternehmen | Index | GEM ASSAY WERTUNG |
1 | Enel SpA | EUROSTOXX | 90 |
2 | Iberdrola SA | EUROSTOXX | 87 |
3 | CRH PLC | EUROSTOXX | 84 |
4 | Vonovia SE | EUROSTOXX | 84 |
5 | Industria de Diseno Textil SA | EUROSTOXX | 81 |
6 | Deutsche Post AG | EUROSTOXX | 80 |
7 | TotalEnergies SE | EUROSTOXX | 78 |
8 | Banco Santander SA | EUROSTOXX | 77 |
9 | Anta Sports Products Ltd | S&P 50 (Asia) | 77 |
10 | Fubon Financial Holding | S&P 50 (Asia) | 77 |
Die grössten Defizite in der ESG-Berichterstattung
Der GEM ortet Defizite bei der ESG-Berichterstattung in verschiedenen Bereichen. Dazu gehört etwa die Geschlechtervielfalt in Vorständen und Aufsichtsräten. Hier zeigte sich, dass z.B. in den USA die grösste geschlechtsspezifische Vielfalt herrscht. Dort haben 90 Prozent der Unternehmen gemischte Boards. Das durchschnittliche Verhältnis von Frauen und Männern in Führungsgremien ist in Europa mit jeweils 50 Prozent am ausgewogendsten, während etwa in den USA und in Australien nur ein Drittel der Vorstandsmitglieder Frauen sind.
Auch die Klimaziele werden von den globalen Unternehmen unterschiedlich erreicht: Viele der im GEM analysierten Unternehmen haben sich zwar mit den CO2-Emissionen befasst. Aber nur eine begrenzte Anzahl der analysierten Unternehmen ist bereits CO2-neutral. Die meisten Unternehmen haben sich Ziele für die Kohlenstoffneutralität gesetzt und streben an, in der Zukunft Netto-Null zu erreichen. Der grösste Anteil von Unternehmen, die von sich behaupten, CO2-neutral zu sein, findet sich unter den S&P 50 in Asien, die niedrigste in Europa.
Weitere Problemfelder, die weltweit unterschiedlich bewertet werden: Viele ESG-Berichte lassen die Lieferketten noch im Dunkeln. In Europa legt etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen zumindest den geografischen Standort ihrer Zulieferer offen, in Asien, den USA und in Australien ist es zum Teil weniger als ein Drittel der börsennotierten Unternehmen, die dies tun. Und auch Aussagen zu Kinder- und Zwangsarbeit werfen immer noch Fragen auf. Während 72 % der EuroSTOXX-Unternehmen das Risiko für Kinder-, Zwangs- oder Pflichtarbeit in ihrer ESG-Berichterstattung offenlegen, tun dies nur 54 % aus den USA, 51 % aus Asien und 36 % aus Australien. Und es wird noch schlimmer: In Europa legen 60 % der Unternehmen Strategien zur Unterbindung von Zwangs- und Kinderarbeit sowie anderer Formen der Ausbeutung offen. In den USA (27 %), Asien (27 %) und Australien (26 %) ist es jeweils weniger als ein Drittel.
Fehlende internationale Standards bei der ESG-Berichterstattung
Laut GEM 2022 beziehen sich 96 % der Unternehmen in der globalen Stichprobe in ihren Berichten auf Rahmenwerke und Standards, wobei durchschnittlich 9,1 Rahmenwerke erwähnt werden. Im EuroSTOXX werden im Durchschnitt 12,3 Rahmenwerke erwähnt. Einige Unternehmen legen zu viel Wert auf Rahmenwerke und veröffentlichen separate Berichte, die speziell auf einzelne Standards zugeschnitten sind. Für Investoren und andere Stakeholder ist die Orientierung schwierig, und es besteht die Gefahr, dass die Unternehmen die Rahmenwerke mit den für sie günstigsten Anforderungen auswählen.
Auch Abschlussprüfungen sind noch nicht obligatorisch oder üblich. Solche Prüfungen sollten eigentlich Vertrauen und Zuverlässigkeit fördern. Aber nur 68 % der Unternehmen geben freiwillig eine Versicherung ihrer Angaben durch eine Abschlussprüfung ab. Eine Prüfung mit begrenzter Sicherheit ist immer noch am häufigsten (88 der 353 geprüften Berichte geben die Prüfungstiefe an).
Die europäischen Unternehmen bereiten sich zunehmend auf eine externe Abschlussprüfung vor. Mit ihrem Gesetzesvorschlag der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) führt die Europäische Kommission EU-weit eine Pflicht ein, nach der Nachhaltigkeitsinformationen mit begrenzter Sicherheit geprüft werden müssen. Perspektivisch soll dies zu einer Prüfpflicht mit hinreichender Sicherheit übergehen.
Quelle: Global ESG Monitor