«Es gibt gemeinsam viel zu tun!»

Im Februar fand in Bern zum ersten Mal der Swiss Global Compact Dialogue statt – mit grossem Andrang. Nachhaltigkeit ist definitiv zu einem Wirtschaftsthema ge­ worden, nicht nur bei Grossunternehmen, die unter spezieller Beobachtung stehen.

«Es gibt gemeinsam viel zu tun!»

 

 

 

Seit 2006 besteht das Global Compact Net-work in der Schweiz, die offizielle Plattform für die United Nations Global Compact (UNGC) Initiative. Diese Nachhaltigkeitsiniti-ative, die im Jahr 2000 von der UNO verab-schiedet wurde, setzt sich zum Ziel, Unter-nehmen in «unternehmerischer Sozialver-antwortung» zu sensibilisieren. Dazu dienen u.a. die zehn Prinzipien des UN Global Com-pact und die im Rahmen der UNO-Agenda 2030 festgeschriebenen 17 Nachhaltigkeits-ziele (Sustainable Development Goals, SDGs). Anlässlich des ersten Swiss Global Compact Dialogue on responsible business (CSR) von Anfang Februar in Bern unterhielten wir uns mit Antonio Hautle, Senior Programme Lea-der des Global Compact Netzwerk Schweiz.

 

Herr Hautle, waren Sie überrascht von der Resonanz des ersten Swiss Global Compact Dialogue?
Antonio Hautle: Ja, wir sind überwältigt vom Ansturm. Wir hatten nie mit so vielen Leuten gerechnet. Wir haben Platz vorgesehen für 180 Personen und dachten, wenn 100 kom-men, dann können wir schon zufrieden sein … Aber jetzt sind es 240. Das freut uns natür-lich, und es ist ein guter Start.

 

Worauf führen Sie diese derart positive Resonanz zurück?
Sicher ist: Das Netzwerk wird allmählich bekannter, weil wir seit gut zwei Jahren recht aktiv sind. Aber ich denke, auch das Thema ist gerade sehr aktuell. Die Unsi-cherheit weltweit nimmt zu, und die Frage stellt sich, was denn Nachhaltigkeit in die-ser Situation überhaupt noch bringt. Meine Position ist: Es muss darum gehen, die willi-gen Akteure zusammenzubringen. Damit kann uns viel gelingen. Denn es bestehen mit den Nachhaltigkeitszielen immense Chancen, die aktuelle Situation zu korrigie-ren, aber es kann genau so gut in die andere Richtung kippen.

 

Stehen wir gleichsam an einem «tipping point»?
Die Frage ist in der Tat, wohin es geht. Wir wollen alles daran setzen, eine Welt zu schaf-fen, die menschenwürdig für alle ist und in der die Wirtschaft ein wichtiger Faktor ist. Diese ist es ja, die Wert schafft. Den Terminus «Wert» gibt es – philosophisch – ja erst seit dem 19. Jahrhundert. Vorher sprach man nur von Wert in der Wirtschaft. Die Begriffe «sozi-aler Wert» und «ökologischer Wert» sind neue Erfindungen. Das zeigt auch die Wichtigkeit dieser Themen.

 

Es besteht ja inzwischen auch ein gewisser «Leidensdruck», die Sensibilität für katastrophale Grossereignisse nimmt zu, nicht zuletzt auch wegen der neuen, schnelleren Kommunikationskanäle.
Ja. Nicht nur die neuen Medien, sondern alle neuen Technologien werden das Zusammen-leben der Menschen massiv verändern. Auch die Märkte werden sich mehr bewegen. Die Mobilität wird sich ungeheuer verändern. Darin besteht aber eine gewaltige Chance, wenn wir sie richtig packen. Aber es kann auch eine riesige Bedrohung sein.

 

Das sieht man ja etwa daran, wie gewisse politische Akteure versuchen, das Rad wieder zurückzudrehen.
Das ist so.

 

Da könnte es einem ja auch schon fast angst und bange werden, um die Erreichung der 17 Nachhaltigkeitsziele?
Warum?

 

Eben, weil man das, was mal war, als «besser» erachtet als das, was man vielleicht anpacken sollte?
Da bin ich doch optimistischer als Sie. In der Weltgeschichte kam es noch nie vor, dass die Weltgemeinschaft sich gemeinsam auf 17 glo-bale Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele verständigen konnte. Dass diese in den politi-schen Prozessen wieder verwässert werden, wissen wir alle. Aber für mich sind die SDGs in etwa gleichbedeutend wie die Erklärung der Menschenrechte von 1848 und die Paris Agenda. Das sind Meilensteine in der Ent-wicklung einer globalen Gemeinschaft, die realisiert: Wir gehören zusammen. Alles hängt zusammen: die Wirtschaft, die Tech-nologie, alles. Also kommen wir gar nicht drum herum, gemeinsam Lösungen zu fin-den. Andernfalls würden wir im Chaos ver-sinken, und das will niemand. Die SDGs stim-men mich äusserst optimistisch, und wir ver-suchen, dies den Firmen auch als grosse Chance zu verkaufen.

 

Wenn wir diese 17 SDGs nun auf unser Land anwenden, scheint mir vieles davon erreicht, ja selbstverständlich zu sein. Wo sehen Sie denn für ein hoch entwickeltes Land wie die Schweiz noch Nachholbedarf?
Die Schweiz hat noch sehr viele Herausfor-derungen betreffend SDGs. Im Land selbst haben wir es im Griff. Nehmen wir etwa das Beispiel Wasserverbrauch. 83 Prozent unse-res Wasserbrauchs importieren wir, z.B. in Form von Kleidern oder Agrarprodukten. Mit jeder Cashewnuss aus dem Iran, die Sie essen, zapfen Sie fossile Wasserreserven an, die sich nicht mehr regenerieren. Oder ein anderes Beispiel: die Armut. Diese ist auch bei uns in der Schweiz ein Thema, etwa durch die Zuwanderung, durch Leute über 50, die nicht mehr im Arbeitsprozess sind. Mit anderen Worten: Die Wirtschaft ist Ar-beitgeberin, Wertschöpfung und Lebens-grundlage für alle, die in unserem Land le-ben. Das entsteht nicht einfach so, sondern wir müssen dies weiterpflegen. Anderseits sind wir in den Märkten stark verlinkt. Fra-gen, was für Gold wir in unseren Handys ha-ben, welche Düngemittel unsere Nahrungs-mittel benötigen oder wie das Palmöl produ-ziert wird, haben direkt mit unserem Alltag zu tun. Wenn also unsere Grossverteiler ein-kaufen, hat dies unmittelbare Relevanz für die SDGs. Unser Vorschlag seitens Global Compact Dialogue an die Firmen ist: Nehmt mal die 17 SDGs und schaut, wo euer Poten-zial liegt und wo die Risiken, welche diese Ziele negativ beeinflussen, also: Wo produ-zieren wir Armut? Wo übernutzen wir Res-sourcen?

 

Geht es also darum, die gesamte Supply Chain zu durchleuchten?
Es geht um die Wertschöpfungskette, nicht um die Supply Chain. Ein wichtiges Thema sind die Investitionen. So spielt der Finanz-markt eine wesentliche Rolle bei der Umset-zung der SDGs. Auch ein lokales KMU, z.B. die Dorfbäckerei, muss sich die Fragen stellen: Woher kommt das Mehl für das Brot? Wie wird die Hefe, der Zucker etc. produziert? Wie behandle ich meine Mitarbeitenden? Bin ich fair? Kurz: Jede Firma, sei sie noch so klein, kann sich diese Fragen stellen und soll sich damit positionieren. Wichtig ist, dabei klein zu beginnen und sich zuerst auf die Kern-kompetenzen zu besinnen. Und in den SDGs stecken auch viele neue Geschäftsmöglich-keiten.

 

Aber gerade KMU stehen derzeit unter mas-sivem Druck – ich denke da an die sinkenden Margen, Währungsdruck, neuen Regulie-rungen etc. Und jetzt sollen sie noch Vorbild-funktion in Sustainability übernehmen? Überfordert das die Unternehmen nicht ir-gendwann einmal?
Dass Schweizer Unternehmen damit über-fordert wären, sehe ich nicht so. Unsere Fir-men sind sehr innovativ. Aber sie sind her-ausgefordert, ja. Wir sagen den Firmen klar: Ihr könnt durchaus sagen: «Das interessiert mich nicht.» Ihr setzt euch damit aber dem Risiko aus, in ein paar Jahren auf dem fal-schen Fuss erwischt zu werden, weil der Markt vorwärts macht. Wenn ich als Firma meine Supply Chain und meine Vertriebs­ kanäle im Griff habe, meine Risiken kenne, dann bin ich gut aufgestellt. Wenn ich zu-dem auf die sich bietetenden Möglichkeiten schaue, dann bedeutet dies Innovation. Es geht also darum, den Blick dorthin zu rich-ten, wo man etwas beitragen kann. Und zu-rück kommt Mehrwert.

 

Der Druck durch «Nicht-Nachhaltigkeit» ist inzwischen also viel grösser?
Ja. Es gibt Studien, die klar aufzeigen, dass nachhaltige Firmen erfolgreicher sind. Die grossen Player sind es eh. Sie sind dem Kon-kurrenzdruck massiv ausgesetzt. Und wer will schon in einer Firma arbeiten, die Men-schenrechte verletzt und die Umwelt zer-stört? Die Sensibilität für Nachhaltigkeitsthe-men steigt gerade bei jungen Leuten, also Stu-dien- und Lehrabgängern. Und wir tun natür-lich alles, dass dieses Bewusstsein weiter steigt. Firmen, die bei uns oder auch bei ande-ren, ähnlichen Organisationen­ mitmachen, erzeugen auch einen Marktdruck, sodass man es sich gar nicht mehr erlauben kann, unethisch, unökologisch oder nicht nachhal-tig zu sein.

 

Wir reden jetzt von der kleinen Schweiz, es geht aber um globale Zusammenhänge. Kann denn eine kleine Volkswirtschaft wie die unsrige in Sachen Nachhaltigkeit weltweite Strahlkraft entwickeln?
Sicher! Es gibt keine potentere Volkwirtschaft als die Schweiz in Relation zu ihrer Grösse. Ich bin immer selbst erstaunt: In vielen Berei-chen sind wir absolute Top-Leader! Die ETH etwa gehört zu den 100 besten Universitäten der Welt, die Schweiz ist der grösste Goldraf-fineur der Welt, 60 Prozent des weltweiten Rohölhandels läuft über die Schweiz, und, und, und. Wir sind ein Gigant – gemessen in Relation zur Bevölkerung – was den ökono-mischen Einfluss betrifft. KMU mögen jetzt sagen: Davon bin ich gar nicht betroffen. Das stimmt nur bedingt. Denn sie sind Zulieferer und Dienstleister. Ein Bäcker in Genf kann seine Brötchen nur ausliefern, weil dort so viele Trading-Firmen sitzen. Wenn diese alle weg sind, ist er es auch. Deshalb hat er ein In-teresse, dass diese Firmen fair und anständig wirtschaften, denn sonst sind diese schnell weg vom Markt – und damit auch die Arbeits-plätze. Der Bäcker kann zudem sagen: Ihr seid nachhaltig, aber unsere Brötchen stammen auch aus nachhaltiger Produktion. Nachhal-tigkeit ist eben auch ein Marketingargument. Das ist der Anfang. Und irgendwann sollte dies auch eine Selbstverständlichkeit sein, so wie es heute selbstverständlich ist, keine verschmutz­ ten Abwässer mehr in unsere Seen zu leiten. Das Ziel muss sein, dass Nachhaltigkeit zur DNA der Weltwirtschaft wird.

 

Wie weit weg von diesem Ziel sind wir noch?
Es gibt gemeinsam viel zu tun, denn wir sind noch weit davon entfernt. Das stimmt mich zuweilen nachdenklich. Es gibt Firmen, die sehr engagiert sind, andere wiederum sagen: Wir müssen unser zweifelhaftes Geschäft in Afrika halt machen, sonst machen es die Chi-nesen. Das mag eine Haltung sein, aber eine, die nicht weiterführt. Denn die Chinesen sind dabei, umzustellen, ökologisch und sozial.

 

Nun gut, dort wird es halt vom Staat so dik-tiert und mehr gelenkt als in einer demokra-tisch organisierten Schweiz …
Schon. Aber Corporate Responsibility, Nach-haltigkeit und SDGs sind nicht gratis. Es ist eine Investition für die erfolgreiche Zukunft. So wie ich etwa in die Ausbildung investiere, so muss ich eben auch ins Nachhaltigkeits-­Management investieren.

 

 

 

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