«Erforderliche Veränderungen gemeinsam angehen»

Führung und Leadership sind mehr als Innovation. Gerade in der zurzeit lahmgelegten Tourismus- und Freizeitbranche sind Umdenken und neue Wege gefragt. Der bekannte Tourismusfachmann Stefan Otz äussert sich dazu – und zu seiner kürzlich erworbenen Tourismusfachschule.

Begriffe wie Führung und Leadership sind eng miteinander verbunden. Denn die Führung von Menschen, Firmen und Organisationen ist in einer immer komplexer werdenden Welt unbestritten ein Schlüsselfaktor. Besonders in dieser Zeit, in der ein aggressives und noch wenig bekanntes Virus beinahe die ganze Welt lahmlegt. Es geht nun wie kaum jemals zuvor um die grossen Herausforderungen des Gestaltens von jenen Rahmenbedingungen, die das Überleben und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen unterstützen und sichern. Die Frage ist schon fast müssig: Wie gelingt die Inspiration von Menschen und Akteuren, damit sie Verantwortung übernehmen und aus eigenem Antrieb mithelfen, wichtige Ziele umzusetzen? Diese und solche Fragen lassen sich mit Leadership bezeichnen. Leadership verlangt ein Denken über das übliche Mass hinaus und ist auch jene Fähigkeit, andere zu besonderen Leistungen zu motivieren.

Unternehmenswerte als Charaktereigenschaften

Dabei ist Leadership viel mehr als Innovation. Um grosse Veränderungen einzuleiten und auch umzusetzen, ist ein Ideenaustausch unumgänglich. Die Ideen und Prozesse müssen aber auch richtig kommuniziert und ihre Umsetzbarkeit stets überprüft und beharrlich vermittelt werden. Es geht bei erfolgreicher Führung und Leadership ebenso um Inhalte. Erfahrung, Mut und Glaubwürdigkeit sind die Grundlagen für erfolgreiches Leadership. Zusammen mit Demut sind dies alles Werte, die erst echte und gute Führungsarbeit ermöglichen. Unternehmenswerte sind quasi die Charaktereigenschaften einer Organisation oder Unternehmung. Sie stiften Identität und erzeugen Wahrnehmbarkeit. So kann eine selbstverpflichtende Haltung aller Führungskräfte und Mitarbeiter entstehen. Unternehmungswerte vermitteln, den Mitarbeitern oder Partnern in Praxis und Netzwerken Identität geben: Das führt zu einem durch die Ansprüche getragenen gemeinsamen Verantwortungsbewusstsein.

Destination Leadership

Gerade in Zeiten von Wertewandel oder grossen Veränderungen in schnellen Zeitzyklen wie heute sind Unternehmenswerte eine gute Orientierung. So kann die Strahlkraft einer Marke entstehen. Im Tourismus spielt genau diese Art von Markendenken eine wesentliche Rolle bei der zukünftigen Ausrichtung der Lebens- und Urlaubsräume. Die Destination Leadership bedeutet insbesondere im Alpenraum, nicht nur mit Mut an die systemverändernden Projekte heranzugehen, sondern ein Mass an Demut mitzubringen. Dies ist dem Respekt vor der Sensibilität des alpinen Raumes und seiner Menschen geschuldet, die sich über Jahrhunderte jene Bergkompetenz angeeignet haben, um in einem ökologisch sensiblen Raum zu überleben.

Wir sprachen mit Stefan Otz, einem anerkannten Schweizer Tourismusfachmann und Destinationsmanager, zum Thema Führung und Leadership. Er machte in seiner langen und erfolgreichen Zeit als Direktor der Tourismusorganisation Interlaken die Region im Berner Oberland zu einer der erfolgreichsten Marken des Landes. Als CEO der Rigi Bahnen leitete er danach eines der wohl traditionsreichsten Tourismusunternehmen der Schweiz, die er in den vergangenen drei Jahren zu Rekordergebnissen führte. Vor knapp drei Monaten übernahm Stefan Otz als neuer Inhaber die Tourismusfachschule BERNOBERLAND in Thun.

Herr Otz, können Sie uns Ihre Tourismusfachschule in Thun kurz vorstellen?

Stefan Otz: «Wir sind Tourismus», dieser Slogan unserer Schule steht für eine umfassende Weiterbildung für Tourismusprofis von morgen. Aktuell führen wir zwei Klassen mit rund 40 Studierenden aus dem Incoming- wie Outgoingbereich. In zwei Jahren erhalten die Teilnehmer unserer Höheren Fachschule für Tourismus eine praxisbezogene Ausbildung, die sie zur Übernahme von anspruchsvollen Aufgaben und Verantwortung auf Kaderstufe im Tourismus befähigen. Die schweizweit etablierte Ausbildung führt zum geschützten Diplom «dipl. Tourismusfachfrau HF» bzw. «dipl. Tourismusfachmann HF». «Vom Wissen zum Können» steht dabei für uns im Fokus. Mehr als 30 erfahrene Dozenten vermitteln umfassend ihr grosses Praxiswissen.

Wenige Wochen nach Ihrem Kauf der Schule, knapp vor Ende Februar, liegt der gesamte Tourismus praktisch brach. Was bedeutet das für Ihre Schule konkret?

Tatsächlich: was für ein Start! Da übernimmt man eine Schule und drei Wochen später wird sie dicht gemacht. Es waren also sofort Führung und Leadership gefragt. Wir mussten innert kürzester Zeit umstellen und führen nun Distanzunterricht und Online-Prüfungen durch. Dank der Bereitschaft und der grossen Flexibilität der Studierenden wie auch der Dozenten meistern wir die neue, ungewöhnliche Lage ganz gut. Natürlich habe ich mir den Start ganz anders vorgestellt. Andererseits ist es aber auch eine grosse Chance für uns als besondere Schule: Wir bilden zukünftige Tourismusprofis aus, die gut gerüstet den touristischen Wiederaufschwung nach der Pandemie mitgestalten und entsprechend gefragt sein werden. Die Digitalisierung schreitet also noch schneller voran. Es setzen sich demzufolge auch neue Unterrichtsformen durch, und die gilt es zu entwickeln und zu nutzen.

Die Corona-Krise trifft die Tourismus- und Freizeitbranche sozusagen zum dümmsten Zeitpunkt. Kann diese notrechtlich verordnete Lahmlegung einer so wichtigen Branche einen Wertewandel herbeiführen?

Das wird sich zeigen. Tourismusforscher und Wissenschaftler sprechen davon, dass der Tourismus zur Heilung des Schocks viel beitragen und sich dabei selbst heilen kann. Einfühlungsvermögen, Wahrnehmen der Probleme und Weiterdenken können bewirken, dass die Schweiz sogar gestärkt aus der Corona- Krise hervorgeht. Veränderte Gästebedürfnisse bieten Chancen, den Tourismus auch einmal anders zu denken und die Erkenntnisse in neue umweltverträgliche, menschengerechte Angebote umzusetzen. Solche differenzierten Betrachtungsweisen unterstütze ich und wir versuchen dies auch an unserer Schule zu vermitteln.

Es dürfte trotz Ihren positiv-konstruktiven Bewertungen auch im Tourismus zu Veränderungen kommen. Nicht nur Innovationen sind gefragt, sondern auch Leadership. Und: Wer hat die besten Überlebenschancen und wer wird auf der Strecke bleiben?

Krisen sind oft Katalysatoren des Fortschritts. Einige der grössten Errungenschaften der menschlichen Zivilisation sind nach Kriegen und Seuchen entstanden. Krisen zwingen eben dazu, viele Dinge anders zu machen und neu zu denken. Sie fördern vielfach auch den Zusammenhalt und mobilisieren sogar ungeahnte Energien. Krisen sind neben dem gesellschaftlichen Charaktertest auch eine grosse Chance für unsere Persönlichkeit. Jeder und jede kann durch Resignation in Krisen scheitern, oder durch Mut, Tatkraft und Gemeinsinn über sich hinauswachsen. Zudem machen uns erst Krisen so richtig bewusst, was zu bewahren und was veränderungsbedürftig ist. Auch im Tourismus wird zukünftig ein allenfalls veränderter Markt über Erfolg und Misserfolg entscheiden.

Trotz allem: Der Tourismus ist eine dynamische und faszinierende Branche. Nur in wenigen Gebieten sind so umfassende Kompetenzen gefordert und gefragt wie im Tourismus. Besteht nicht gerade in dieser ruhigen und schwierigen Zeit auch eine Chance, sich über Grundsätzliches und Wichtiges zum Thema Gedanken zu machen, sich mit neuen Ideen und Szenarien auseinanderzusetzen?

Tourismus ist eine Querschnittsbranche mit etlichen Verästelungen in verschiedenen Disziplinen. Dies stellt hohe Anforderungen an die Akteure und deshalb sind gute, fundierte Weiterbildungsangebote für diese Branche von zentraler Bedeutung. In der Phase des momentanen «Stillstands» würde ich keineswegs von einer ruhigen Zeit reden. Was nach dem Corona-Lockdown ansteht, besonders punkto Vorbereitungen, so ist die gesamte Tourismusindustrie aktuell sehr gefordert. Es ist opportun, sich den Tourismus auch einmal anders zu denken. Viele beschäftigen sich damit und hinter den Kulissen wird das auch vorangetrieben: Krise als Chance – Globalisierung hinterfragen. Die Digitalisierung gewinnt an Schub und «think global, act local» an Bedeutung. So kann ein Wertewandel stattfinden und das eröffnet auch dem Tourismus etliche neue Möglichkeiten. Die erforderlichen Veränderungen kann man aber nur gemeinsam angehen. Es braucht ein neues Verständnis von Zusammenarbeit. Heute spricht man von integralen Ökosystemen, die für alle Beteiligten offen sind und nicht bloss durch Einzelne mit partikulären Interessen orchestriert werden dürfen.

Sie sind nicht nur Eigentümer der Tourismusfachschule BERN-OBERLAND, sondern auch Direktor und Schulleiter. Werden Sie Ihre Lehrpläne der Schule an die neuen Begebenheiten anpassen? Auch den Bereichen Unternehmenswerte, Führung und Leadership einen noch grösseren Raum beimessen?

Der Vorteil einer kleinen, spezialisierten Schule ist, dass man agil und flexibel auf Trends und Veränderungen reagieren kann. Insofern fliesst bereits heute die aktuelle Situation in den Lehrstoff ein. Auch unsere Dozierenden thematisieren das Thema Covid-19 in ihren Lektionen und begleiten das Vorgesagte in Bezug auf Wertewandel und neue Möglichkeiten. Bereits vor der weltumspannenden Ausbreitung von Covid-19 haben wir Themen wie Globalisierung, Nachhaltigkeit und Digitalisierung thematisiert und berücksichtigt. Ethik, Moral und Wertehaltung sowie Führung und Leadership sind ebenfalls fixer Bestandteil in unseren Lernprogrammen. Dazu gehören auch spezifische Kompetenzseminare unter erschwerten Bedingungen wie Zeitdruck, Gruppendynamik, Nachtarbeit usw. an externen Orten.

Man liess Sie nach über einem Dutzend erfolgreicher Jahre als Tourismusdirektor in Interlaken nur ungern ziehen. Sie waren sehr beliebt und manche trauerten Ihnen noch lange nach. Nun kehren Sie nach vier Jahren wieder ins Berner Oberland zurück. Also so etwas wie ein Heimkommen?

Nach 13 Jahren als Tourismusdirektor in Interlaken baut man ein breites Netzwerk auf. Es entstehen Freundschaften, die auch meine dreieinhalbjährige Tätigkeit auf der Rigi überdauert haben. Ich schätze die Region mit ihren Menschen und der vielfältigen Kultur. Thun als Schulstandort wird nicht zu Unrecht als Tor zum Berner Oberland bezeichnet. Insofern darf man durchaus von einem Heimkommen sprechen.

Zum Schluss ein kurzer, knapper Ausblick.

Ich sehe die Krise durchaus als grosse Chance. Die Globalisierung wird hinterfragt. Die Schweiz als Ferienland wird zukünftig noch attraktiver für Europäer. Auch unsere Schweizer und Schweizerinnen entdecken wieder die Schönheiten unserer alpinen Regionen, des Mittellandes und Juras sowie der Städte und Orte.

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