Erfolg ist der grösste Feind des Wandels
Rascher technologischer Wandel, entsprechend kurze Innovationszyklen und ein hoher Internationalisierungsgrad der Wirtschaft verlangen bis hinein in kleine Unternehmen die fortlaufende Beschäftigung mit der Frage, wie die sich daraus ergebenden Anforderungen erfüllt werden können. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon, Gründer und Chairman von SIMON-KUCHER & PARTNERS Strategy & Marketing Consultants, Bonn, zeigt im Interview Schlüsselpunkte für die betriebliche Behauptung auf
MQ: Professor Simon, was ist für Unternehmen unter den heutigen Handlungsbedingungen aus grundsätzlicher Sicht der sicherste Weg, sich selbst aus dem Rennen zu werfen?
Hermann Simon: Überheblichkeit, zu grosse Selbstsicherheit und daraus folgend Arroganz. Es ist immer wieder erstaunlich, dass der Marktführer von gestern nicht der Marktführer von morgen ist. Im Jahre 2004 besuchte ich Nokia. Die finnische Mobilfunkfirma stand damals auf dem Höhepunkt ihres Erfolges, hatte rund 40 Prozent Weltmarktanteil und hielt sich selbst für unschlagbar. Selten habe ich so arrogante Führungskräfte erlebt. Nokia hatte damals 19 000 Beschäftigte in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Auch das hat offensichtlich nichts genutzt, da man sich für unschlagbar hielt. Erfolg ist der grösste Feind des Wandels. Eine Person, die eine gegenteilige Einstellung ausdrückt, war mein alter Freund Gerhard Neumann, der langjährige CEO von General Electric Aircraft Engines, dem Weltmarktführer bei Düsentriebwerken. Er hat in dieser Branche mehrere der wichtigsten Innovationen geliefert und zu seiner Zeit sowohl das meistverkaufte militärische als auch das meist verkaufte private Triebwerk entwickelt. Hinter seinem Schreibtisch hing stets ein Schild mit den Worten «Fühle dich unsicher». Selbst wenn man Marktführer ist, wenn man unschlagbar erscheint, sollte man sich unsicher fühlen, denn nur dann ist man offen für Wandel und Innovation.
Und das heisst in der praktischen Konsequenz?
Ohren und Augen gegenüber dem Markt und den Kunden offen zu halten. Nokia hat es nicht an internen Kompetenzen gefehlt. Sie hätten sicherlich technologisch alles zustande gebracht, was Steve Jobs später bei Apple an Innovationen zustande brachte. Aber offensichtlich hat Nokia die wirklichen Bedürfnisse der Kunden und die Kompetenzen der Wettbewerber nicht verstanden oder nicht richtig interpretiert. Die Konsequenz daraus heisst: sich nicht auf die Technologie und die internen Kompetenzen alleine verlassen, sondern das Ohr am Kunden und am Markt haben. Nur der besitzt die besten Chancen, auch die nächste Innovationswelle nicht nur zu überleben, sondern sie aktiv mitzugestalten.
Damit wären wir bei der Angebotsgestaltung!?
Richtig. Und hier ist es entscheidend, die Kundenbedürfnisse und die technologischen Kompetenzen in Einklang zu bringen beziehungsweise als Antriebskräfte gleich zu gewichten. Interessanterweise schaffen das 65 Prozent der Hidden Champions, der mittelständischen Weltmarktführer. Dagegen sagen nur 19 Prozent der Grossunternehmen, dass es ihnen gelingt, diese beiden Antriebskräfte von Innovation in der Balance zu halten. Die weit überwiegende Mehrheit der Grossunternehmen ist entweder einseitig technologie- oder einseitig marktgetrieben, schafft aber nicht die Integration. Hinter diesen Gewichtungen steht als ganz entscheidendes Thema die Kundennähe. Um es einmal quantitativ auszudrücken: Bei den Hidden Champions haben 38 Prozent der Mitarbeiter regelmässig Kundenkontakt, bei Grossunternehmen sind es nur acht Prozent. Das ist ein gravierender Unterschied, der auf das interne Verhalten und die Einstellung der Mitarbeiter direkt durchschlägt.
Zu einem Angebot gehört ein Preis. Was gibt es bezüglich der Preisgestaltung zu bedenken?
Das Wichtigste am Preis, das kann ich immer wieder nur betonen, ist nicht der Preis als solcher, sondern der «Value-to-customer», der Wert oder Nutzen, der dem Kunden geboten wird. Wir reden hier selbstverständlich vom wahrgenommenen Nutzen des Kunden, nicht von einem technisch-objektiven Wert, den vielleicht ein Experte sieht. Es muss also in erster Linie darum gehen, Kundennutzen zunächst im Produkt zu schaffen, ihn wirksam zu kommunizieren, und dann bei dauerhaften Produkten auch nachhaltig zu gestalten. Bei der Kommunikation tun sich viele Unternehmen schwer. Sie glauben, dass ein gutes Produkt sich mehr oder minder von selbst verkauft. Das mag in Zeiten der Knappheit gelten. Aber heute haben wir in fast allen Märkten Überkapazitäten, die Produkte sind technisch sehr ähnlich, und der Unterschied besteht oft nur in der Kommunikation und nicht zuletzt in der Marke. Kommunikation und Marke sind, wenn man einmal von der Automobilindustrie absieht, zumeist nicht die Stärken der Unternehmen. Hier müssen sie einfach besser werden, vor allem im globalen Massstab. Im speziellen Blick auf Deutschland beispielsweise zeigt sich überdies, dass es zudem wichtig ist, dass die Produkte einen hohen Restwert haben. So wissen wir aus der Autoindustrie, dass der Gebrauchtwagenpreis eine sehr starke Wirkung auf die Preisbereitschaft beim Neukauf hat. Zu häufige Innovationen und Modellwechsel können in dieser Hinsicht sogar schädlich sein.
Professor Simon, inwieweit muss in einer sich rasch wandelnden Wirtschaftswelt auch das Geschäftsmodell regelmässig überprüft werden?
Das Geschäftsmodell muss natürlich fortlaufend überprüft werden. Aber man sollte auch realistisch sein, denn es gibt grosse Unterschiede zwischen Märkten. Nehmen wir einmal den Möbeleinzelhandel. Ist dieser Handelssektor vom Internet betroffen? Zunächst würden die meisten Menschen sagen: Nicht so sehr. Das könnte sich jedoch als grosser Irrtum erweisen, wie ein Beispiel zeigt: Ein lokaler Möbelhändler macht mit seinem stationären Geschäft 4,5 Mio. Euro Umsatz. Zudem betreibt er seit einigen Jahren eine Homepage mit einem sehr guten Namen. Über diesen Kanal setzt er mittlerweile 45 Mio. Euro um. Wenn wir andererseits das Geschäft mit frischen Brötchen am Morgen nehmen, so scheint es vom Internet eher nicht betroffen. Allerdings hat sich dort ein Wandel vom selbstständigen Bäcker zum Filialmodell ergeben, also auch eine Änderung des Geschäftsmodells. Oder nehmen wir SMS, die durch Whatsapp verdrängt werden. Wer hätte das vor zwei oder drei Jahren gedacht?
Unternehmenserfolg ergibt sich aus dem effizienten Zusammenspiel der unterschiedlichen betrieblichen Aufgabenbereiche. Aus dem Versagen welchen Bereichs erwächst die grösste betriebliche Existenzbedrohung?
Hierzu eine ganz klare Antwort: Der Engpass ist fast immer der Vertrieb. Es ist erstaunlich, wie viele Unternehmer und insbesondere auch Neugründer die Schwierigkeiten des Vertriebs unterschätzen. Es ist ja nicht so, dass es heute viele unbefriedigte Bedürfnisse gibt. Vielmehr gibt es für fast alle Probleme schon recht gute Angebote. Gegen diese muss man sich durchsetzen. Das erfordert hohen Aufwand. Diese Aussage gilt in ausländischen Märkten noch stärker als im Heimatmarkt, wo man häufig schon einen guten Bekanntheitsgrad hat. Ein anderer Engpass ist natürlich das Personal, gerade bei der Internationalisierung. Man kann nie zu viele Leute haben, die international einsetzbar sind und die Globalisierung vorantreiben.
Erläutern Sie das bitte noch etwas.
Ich habe mir den Mund nicht selten fusselig geredet und zu stärkeren Vertriebsaktivitäten geraten. Aber wenn ein Unternehmer dermassen von seinem Produkt überzeugt ist und glaubt, dass es sich quasi von selbst verkauft, dann hilft oft nur die Konfrontation mit der Realität. Das heisst, der Markt muss ihm zeigen, dass es ohne einen sehr guten Vertrieb nicht geht. Leider wird bei diesem Verfahren oft wertvolle Zeit verloren. Hinsichtlich des Engpasses «international einsetzbares Personal» kann man nur zu einer entsprechenden Personalentwicklung raten. Das heisst, junge Leute systematisch ins Ausland schicken, damit sie die notwendigen Erfahrungen erwerben, und zusätzlich Nachwuchskräfte aus dem Ausland einstellen. Selbst wenn man sie heute nicht unbedingt braucht, werden sie in Zukunft notwendig und sehr wertvoll sein.
Professor Simon, als Gründer und Chairman einer international ebenso angesehenen wie erfolgreichen Unternehmensberatung, bitte, Ihr ganz persönlicher Rat an Inhaber und Führungskräfte!
Hier zitiere ich meinen Lieblingsspruch von Seneca «Per aspera ad astra», frei übersetzt: «Auf rauen Pfaden zu den Sternen». Der Erfolg fällt einem nicht in den Schoss, man muss hart arbeiten und vor allem sehr viel Ausdauer besitzen. Es wird nie ohne Rückschläge gehen. Kürzlich sprach ich mit Gerlinde Kaltenbrunner, der ersten Frau, die alle 14 Achttausender bestiegen hat. Sie hat über einen Zeitraum von sieben Jahren siebenmal versucht, den 8611 m hohen K2 zu bezwingen, den zweithöchsten Berg der Welt auf der Grenze zwischen Pakistan und China. Trotz unvorstellbarer, tragischer Rückschläge hat sie niemals aufgegeben und es 2011 dann endlich geschafft. So ähnlich ist es mit dauerhaftem Erfolg in der Wirtschaft und insbesondere mit der Globalisierung