Einblick in das Management in der «Unsicherheitszone»

Viele Führungskräfte weisen fehlende Sicherheit in Sachen Gesundheitsmanagement auf; bezüglich der relevanten Gesundheitsthemen besteht eine grosse Unsicherheit. Die Hochschule Luzern hat in einem Forschungsprojekt Führungskräfte zu dieser «Unsicherheitszone» befragt und zeigt Wege auf, wie damit umgegangen werden kann.

Einblick in das Management in der «Unsicherheitszone»

 

 

Durchschnittlich 6,5 Tage pro Jahr – so lange fehlen Mitarbeitende in der Schweiz wegen Krankheit oder Unfall an der Arbeit. Arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme betreffen laut einer Hochrechnung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) in der Schweiz 1,1 Millionen Arbeitnehmende. Der Job- Stress-Index der Gesundheitsförderung Schweiz zeigt bei knapp 25 Prozent der Erwerbsbevölkerung ein Missverhältnis zwischen Ressourcen und belastenden Arbeitsfaktoren – ein Missverhältnis, das die Gefahr psycho-sozialer Beeinträchtigungen wie Stress oder Burn-out erwiesenermassen erhöht. Laut SECO entstehen durch gesundheitliche Belastungen am Arbeitsplatz jährlich Kosten von mehr als 20 Milliarden Franken. Solchen Zahlen können sich Führungskräfte von Schweizer Betrieben nicht verschliessen. Doch wie genau nähert man sich der Herausforderung «Gesundheitsmanagement » an, nicht zuletzt, wenn insbesondere die psychischen Belastungen der Mitarbeitenden reduziert werden sollen?

Gesundheitsmanagement = Chefsache?

 

Die Hochschule Luzern hat in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Organisation und Management diesbezüglich eine vertiefte Interviewstudie bei 29 Topführungskräften durchgeführt. Die Studie «Betriebliches Gesundheitsmanagement ist Chefsache!?» (www.hslu.ch/bgmchefsache) zeigt, wie in Schweizer Unternehmen, Non-Profit- und Verwaltungsorganisationen mit dieser Managementaufgabe umgegangen wird. Die Antworten der Befragten fielen sehr unterschiedlich aus. Trotzdem kristallisierten sich Gemeinsamkeiten heraus:

 

Gesundheitsmanagement bedeutet für die Befragten «Management in der Unsicherheitszone». Damit wird jener Handlungsbereich beschrieben, in dem sich alle Führungskräfte – ungeachtet ihrer Branche oder ihres Managementstils – weitgehend auf sich alleine gestellt sehen.

 

Gesundheit managen bedeutet auch Grenzen überschreiten, wofür jedoch die Befragten noch über wenig Kompetenzen und Know-how verfügen: Denn Gesundheit wird in den meisten Fällen als «Angelegenheit» verstanden, welcher sich formales Management nicht oder nur sehr beschränkt widmen kann. Die hieraus entstehende Handlungsund Entscheidungsunsicherheit verfestigt Widerstände und Vorbehalte gegenüber systematischen Gesundheitsmassnahmen.

 

Wie in der Grafik auf der folgenden Seite dargestellt, ist die Gesundheit der Mitarbeitenden in der Wahrnehmung der Befragten dann kein Problem, wenn Gesundheit klar gegeben oder Krankheit eindeutig feststellbar ist. Im Idealfall sind die Mitarbeitenden somit entweder gesund und Arbeitgebende und Arbeitnehmende begegnen sich im formell definierten Leistungsvertrag: Für geleistete Arbeit wird ein Entgelt ausgezahlt. Oder die Krankheit der Mitarbeitenden ist offensichtlich, beispielsweise weil der Arm gebrochen ist oder eine fachliche Begutachtung (z. B. Arztzeugnis) vorliegt. Leistungsausfälle und Folgekosten werden in solchen Situationen über institutionalisierte Prozesse abgehandelt (z. B. IVStellen oder Case-Management).

 

Zum Problem wird das Thema Gesundheit erst dann, wenn weder Gesundheit noch Krankheit eindeutig feststellbar ist. Zwischen den beiden Polen «gesund » und «krank» entsteht die «Unsicherheitszone» des Gesundheitsmanagements, in welcher die Befragten kaum über Handlungsorientierung verfügen.

Die drei Aspekte der «Unsicherheitszone»

 

Inhaltlich beschrieben besteht die «Unsicherheitszone» aus drei Aspekten: der Umgang mit Intimität in der Führungsbeziehung, die Ab- und Eingrenzung von Privatheit und Arbeit sowie der Konflikt zwischen Mitarbeitendengesundheit und ökonomischer Leistungserbringung.

 

1. Intimität in der Führungsbeziehung:

Den Nennungen der Gesprächspartner folgend meint Intimität den Zustand von Nähe und Vertrautheit, welcher für die Mitarbeitendenführung in bestimmten Situationen und Problemlagen von zentraler Bedeutung ist. So kann es beispielsweise wichtig sein, dass eine Führungskraft nahe genug bei den Mitarbeitenden ist, um zu erfahren, ob nebst der Arbeitsbelastung auch zu hause persönliche Beanspruchungen vorliegen, welche die Gesundheit und LeistungsfähigDr keit beeinträchtigen könnten. Dies setzt eine Form von Nähe und beidseitigem Vertrauen voraus, die beim Thema Gesundheit sorgfältig und achtsam gestaltet werden muss. Eine solche Intimität herzustellen, ist für die interviewten Führungskräfte meist ungewohnt und daher eine grosse Herausforderung. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um psychische Beschwerden geht.

 

2. Privatheit und Arbeit:

«Privatheit» bezeichnet einen personalen Aspekt der Unsicherheitszone: Gesundheit gilt am Arbeitsplatz als privat, und deren Thematisierung wird oft als Eingriff in die Privatsphäre der Mitarbeitenden verstanden. Während es den meisten Führungskräften noch relativ leicht fällt, ein offensichtliches Alkoholproblem einer untergebenen Person anzusprechen, wird dies bei Verhaltensweisen wie exzessivem Rauchen, ungewöhnlicher Gewichtszunahme oder -abnahme oder Zeichen von Erschöpfung schon schwieriger. Führungskräfte brauchen somit viel Fingerspitzengefühl. Wird aus Angst vor einer Verletzung der Privatsphäre das Gespräch nicht gesucht, besteht die Gefahr, dass z. B. Überlastungen von Mitarbeitenden erst dann erkannt werden, wenn bereits ein Arbeitsausfall vorliegt und entsprechende Kosten anfallen.

 

3. Wertekonflikte annehmen:

Die «Unsicherheitszone» ist schliesslich durch Wertekonflikte geprägt. Im Kern dieses Konfliktes geht es um die ökonomische Leistungserbringung einerseits und die Mitarbeitendengesundheit andererseits. Dem Thema Gesundheit wird aus Sicht der Befragten oft noch eine quasi religiöse oder dogmatische Konnotation zugeschrieben, von welcher sie sich bewusst distanzieren müssen, um nicht als «Gesundheitsapostel » wahrgenommen zu werden. Vor diesem Hintergrund wird das Gesundheitsmanagement auch ein unternehmenspolitisches Thema, welches zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen (z. B. Mitarbeitende, Geschäftsleitungsmitglieder, Human Resources etc.) sorgfältig thematisiert werden muss.

Qualifizierte Selbstverantwortung

 

Im Zuge der oben beschriebenen Aspekte der «Unsicherheitszone» gilt es einen Weg zu finden, intime und sich im Bereich des Privaten befindende Themen aufzugreifen und ansprechbar zu machen. Führungskräfte können dies beispielsweise in Führungskursen lernen. Gleichzeitig ist es zentral, dass nicht nur die Führungspersonen, sondern auch die Mitarbeitenden Verantwortung für die Gesundheit im Betrieb übernehmen: Im Rahmen einer Team- sowie Kulturentwicklung können alle zusammen über gemeinsame Werte diskutieren und solche definieren. Dies führt zu einer verstärkten Übernahme der Verantwortung für Gesundheit durch die Mitarbeitenden. Gleichzeitig bedeutet das aber auch eine Veränderung bezüglich der Führungsrolle. Diese fokussiert stärker auf die Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Perspektiven, auf nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten für die einzelnen Mitarbeitenden sowie das Schaffen von Austauschräumen (z. B. Qualitätszirkel oder wöchentliche Teamsitzungen), welche eine qualifizierte Selbstverantwortung der Mitarbeitenden fördern.

 

Arbeit findet heute und in Zukunft nicht mehr nur am klassischen Arbeitsplatz statt, sondern verlagert sich in die unterschiedlichen Lebenssphären der Menschen. Das Management der Gesundheit dürfte in dieser Entwicklung ein wichtiges Handlungsfeld bleiben.

 

 

 

 

 

 

 

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