Ein Scheitern droht
Mitte Februar hat der Bundesrat die Botschaft zum revidierten Beschaffungsrecht verabschiedet. Die Forderungen der Bauwirtschaft fanden darin wenig Beachtung. Vielmehr wird der Versuch des Bundes, das neue Beschaffungsrecht dem Öffentlich-keitsprinzip zu entziehen, scharf gerügt.
Seit 1996 gilt auch für die Schweiz das GATT/ WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA). Seither entwickelte sich das Vergaberecht zu einer eigenständigen Rechtsdisziplin. Für die Verwaltungsbehörden bedeutete das neue Recht: Einschränkung ih-res Handlungsspielraumes. Und die Politik war gefordert, weil sie für die Umsetzung des GPA für Marktöffnung und wirksamen Rechtschutz zu sorgen hatte. Für viele ist das öffentliche Be-schaffungswesen zu kompliziert, zersplittert, und die Vergabekriterien sind oft falsch und intransparent. Zudem ist das Beschaffungs-recht für Bund und Kantone separat geregelt. Schon 2008 scheiterte ein Versuch, das Schwei zer Beschaffungsrecht zu vereinheitlichen, am Widerstand der Kantone.
Die öffentlichen Beschaffungen betru-gen im Jahre 2016 gut 40 Milliarden Franken, der Anteil des Bundes belief sich auf 5,6 Mia. Franken, derjenige der Kantone und Gemein-den auf 34,4 Mia. Franken. Diese 40 Mia. Franken sind 6,1 % des Bruttoinlandproduktes (BIP) 2016. Davon entfallen bis zu 20 % für in-tellektuelle Dienstleistungen, sie haben also eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung.
Notwendige Revision
Das überarbeitete WTO-GPA-Abkommen trat 2012 in Kraft und macht nun unweigerlich auch eine Anpassung des Bundesgesetzes über das öf-fentliche Beschaffungswesens (BöB) notwen dig. Im Rahmen dieser Revision versuchen Bund und Kantone das Beschaffungsrecht zu überarbeiten. Die Vernehmlassung des revi-dierten BöB dauerte vom 1. April bis 1. Juli 2015. Am 15. Februar 2017 hat der Bundesrat die Bot-schaft dazu verabschiedet. Darin steht auf Seite 27 unter Ziffer 1.3 Ergebnisse des Vernehmlas-sungsverfahrens, Untertitel ‹Weitere Rückmel-dungen›: «Zahlreiche Wirtschafts- und Indust-rieverbände bemängeln, dass den komplexen Beschaffungen zu wenig Rechnung getragen und das Preiskriterium allgemein zu hoch ge-wichtet werde.» Mit Ausnahme des Transfers des flexiblen Instruments Dialog von der Ver-ordnungsstufe ins Gesetz und dem Verbot von sogenannten Abgebotsrunden wurde keine ein-zige Forderung der Bauverbände berücksichtigt.
Einen Tag nach Bekanntgabe der Verab-schiedung der BöB-Botschaft trat der eidgenös-sische Datenschützer mit folgender Mitteilung an die Öffentlichkeit: «Öffentlichkeitsprinzip: Das Beschaffungswesen muss transparent blei-ben». Adrian Lobsinger kritisiert, dass der Bun-desrat sämtliche Dokumente in Verbindung mit Beschaffungsverfahren des Bundes dem Gel-tungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes ent-ziehen will. Das deklarierte Transparenzziel des revidierten BöB würde durch diese Aushöhlung des Öffentlichkeitsgesetzes ins Gegenteil ver-kehrt. «Gerade im besonders sensiblen Bereich des Beschaffungswesens ist es unumgänglich, die uneingeschränkte Geltung des Öffentlich-keitsgesetzes beizubehalten», bekräftigt Daten-schützer Adrian Lobsinger.
Transparenz soll ausgehebelt werden
In einem Kommentar des Tages-Anzeigers meint Christian Brönnimann mit dem Titel: ‹Vertrauen aufs Spiel gesetzt› zum Plan, Be-schaffungen zur Geheimsache zu erklären, dass diese Woche die goldene Rauchpetarde an den Bundesrat gehe. Da rede der Bundesrat davon, dass das neue Beschaffungsrecht von Beginn weg auf Transparenz ausgerichtet sei und schmuggle gleichzeitig einen Passus ins Gesetz, der generell alle Unterlagen zu Be-schaffungen vom Öffentlichkeitsprinzip aus-nimmt. «Da fühlt sich der Bürger zu Recht ver-schaukelt», schreibt der TA-Kommentator. Nur dank dem Öffentlichkeitsprinzip seien immer wieder grosse Beschaffungsskandale aufgeflo-gen, so etwa die Korruptionsaffäre im Staatsse-kretariat für Wirtschaft SECO. Und: Damit ha-be der Kampf um Transparenz in der Verwal-tung eine neue Eskalationsstufe erreicht. Bis-her versuchten etliche Amtsstellen, mit hohen Gebühren unliebsame Einsichtsgesuche abzu-wimmeln. Und nun wolle der Bundesrat den korruptionsanfälligsten Bereich gleich ganz in die Dunkelkammer verschieben.
Was Bundesrat Ueli Maurer zurzeit an-fasst, geht schief. Eben noch hat der Finanzmi-nister trotzig seine Niederlage bei der Abstim-mung zur Unternehmenssteuerreform III zu erklären versucht, so folgt bereits die nächste Krise. Der neue Anti-Transparenzartikel des Finanzdepartementes im neuen BöB kommt ausserhalb des Bundesrats schlecht an. Medi-en, Politiker aller Parteien und selbst der Ge-werbeverband halten nichts von Maurers Ge-heimpolitik. «Wir sehen das sehr kritisch», sagt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Gewerbever-bandes. Auch Alfred Heer, Präsident der Ge-schäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK), kritisiert die Vorschläge des Bundesrats zum Beschaffungsrecht. Er hält nichts davon, Unterlagen zur Geheimsache zu erklären. «Bei Beschaffungen läuft vieles schief», sagt der Zür cher SVP-Nationalrat. Der Geheimhaltungsar-tikel im neuen Beschaffungsrecht des Finanz-ministers wird von links bis rechts zerzaust und dürfte die parlamentarische Beratung nicht überstehen.
Vieles ist umstritten
Für zwei Hauptdifferenzen zum neuen BöB war ein nicht unumstrittener Deal vorgese-hen. Die Kantone führen neu Angebotsver-handlungen ein, wie sie der Bund bereits kennt. Im Gegenzug erweitert der Bund seinen Rechtsschutz. Ein benachteiligter Unterneh-mer könnte also neu in mehr Fällen Beschwer-de einreichen. Heute ist das nur bei Vergaben des Bundes von Lieferungen und Dienstleis-tungen von über 230 000 Franken und bei Bauwerken von über 8,7 Millionen Franken möglich. Doch der Bund tut sich äusserst schwer damit, seinen Teil des Deals einzulösen. Im verabschiedeten Gesetzesentwurf soll dabei ein Gericht nur feststellen können, ob der Zuschlag rechtswidrig war. Im Beja-hungsfall kann es solche Zuschläge jedoch nicht aufheben. Ein weiterer umstrittener Punkt ist die Frage nach der Befangenheit von an Ausschreibungsverfahren beteiligten Per-sonen. Heute reicht dazu der Anschein von Be-fangenheit – neu müsste vor Gericht bewiesen werden, dass eine Person tatsächlich befangen ist. Dazu Baurechtsprofessor Martin Beyeler von der Universität Freiburg: «Anstatt eine ein-fache Ausnahmeregelung zu schaffen, schüttet der Bundesrat das Kind mit dem Bade aus.»
In einem Standpunkt-Beitrag rekla-miert der frühere usic-Präsident und CEO ei-ner grossen Ingenieurunternehmung, Flavio Casanova, ob das öffentliche Beschaffungs-wesen nicht gar die Schweizer Ingenieurkul-tur gefährde. Es ist unbestritten, dass unser Land vor grossen Herausforderungen steht: Die Infrastruktur muss erweitert und saniert werden. Und es stehen zudem wichtige Fragen zu Energie und Energiestrategie an. Casanova bemerkt zu Recht, dass der Beruf des Ingeni-eurs in den letzten Jahrzehnten an Attraktivi-tät verloren habe und sich die Baukultur sowie das Innovations- und Leistungsverhalten der Ingenieur- und Planungsbüros einem unvor-teilhaften Wandel unterworfen hätten. Er un-terstreicht dies mit folgenden drei Thesen: 1. Von hoher Qualität zum Mittelmass, 2. Von der Innovation zur Demotivation und 3. Von der Vielfalt zur Einseitigkeit. Er fordert eine Rück-kehr zu einer guten Ingenieurkultur: «Zusam-menfassend ist festzuhalten, dass Qualität, In-novation und Vielseitigkeit von Tiefpreispoli-tik und demotivierender Vergabelogik ver-drängt wurden. Kurzfristig mag eine solche Philosophie profitabel erscheinen. Langfristig hingegen hat die Gesellschaft die teuren volks-wirtschaftlichen Folgen zu tragen.»