Effektivitätssteigerung des Qualitätssystems durch Förderung der Qualitätskultur

Christian Mänder wurde für seine Dissertation mit dem diesjährigen Seghezzi-Preis ausgezeichnet. Seine Arbeit bedeutet einen wichtigen Forschungsbeitrag zum Thema der Qualitätssicherung in der Pharmaindustrie. Der folgende Artikel fasst ein paar Eckpunkte zusammen.

Effektivitätssteigerung des Qualitätssystems durch Förderung der Qualitätskultur

 

 

Der kontinuierliche medizinische Fortschritt und der demografische Wandel in vielen in-dustrialisierten Ländern sind Treiber eines stetig steigenden Bedarfs an Medikamenten. Darüber hinaus werden Wertschöpfungsket-ten in der pharmazeutischen Industrie durch Auslagerung der Produktion an Lohnherstel-ler zunehmend fragmentierter. Beide Trends führen zu einer steigenden Zahl an Produkti-onsstandorten für pharmazeutische Produkte weltweit. Die personellen Ressourcen der Re-gulierungsbehörden wie der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) können mit diesem Wachstum nicht mithalten. Um dennoch weiterhin eine hohe Qualität der von der FDA zugelassenen Medikamente zu gewährleisten, arbeitet die Behörde derzeit unter dem Namen Quality Metrics Program an einem risikobasierten Ansatz zur Inspekti-onsplanung. Produktionsstandorte mit einem höheren Risiko werden weiterhin regelmässig kontrolliert, Standorte mit geringem Risiko jedoch weniger häufig. Ausgewählte Quali-tätskennzahlen sollen bei der Einschätzung dieses Risikos eine Rolle spielen. Im Rahmen eines von der US FDA finanzierten For-schungsprojektes wird an den wissenschaftli-chen Grundlagen für die Risikoeinschätzung gearbeitet. Auf Basis der Ergebnisse des ersten Jahres wurde das Projekt im Sommer 2017 um ein weiteres Jahr verlängert.

Datengrundlage
Seit 2004 führt das Institut für Technologie-management der Universität St.Gallen ein Benchmarking zur operativen Leistungs­ fähigkeit («Operational Excellence») der Pro-duktion pharmazeutischer Unternehmen durch. Die Datenbank umfasst heute mehr als 350 Standorte und ist damit weltweit die zweitgrösste Datenbank für Pharmaproduk-tion. Seit 2016 werden zusätzlich Kennzahlen der Leistungsfähigkeit von Qualitätskontroll-laboren pharmazeutischer Produktionss-tandorte erhoben. Diese Datenbank wird En-de 2017 über 50 Labore umfassen. Beide Da-tenbanken bildeten die Basis, um pharma-zeutische Qualitätssysteme zu analysieren.

Das Pharmaceutical Production System Model (PPSM)
Die Grundlage für die Analysen bildet ein wäh-rend des Forschungsprojekts entwickeltes Mo-dell, welches die Grundelemente eines phar-mazeutischen Produktionssystems nachbildet. Das Modell erlaubt dem Forschungsteam eine strukturierte Zuordnung der verfügbaren Kennzahlen der Datenbanken zu den einzel-nen Elementen des pharmazeutischen Pro-duktionssystems. Die von der FDA vorgeschla-genen Risikoabschätzungs-Indikatoren (veröf-fentlicht in 2016 in der Quality Metrics Draft Guidance) Lot Acceptance Rate (1), Customer Complaint Rate (2) und Invalidated OOS Rate (3) lassen sich anhand des entwickelten Mo-dells im Gesamtkontext des pharmazeutischen Qualitätssystems analysieren.

 

Wissenschaftlich wurde das Modell im Wesentlichen von zwei Exzellenzmodellen inspiriert. Wie das Sand Cone Model von Fer-dows und DeMeyer (1990), folgt das entwi-ckelte Model einem hierarchisch sequentiel-len Ansatz der Wettbewerbsfaktoren Qualität, Flexibilität, Geschwindigkeit und Kosteneffi-zienz. Zudem kombiniert das entwickelte Mo-dell zwei Schlüsselperspektiven eines jeden Verbesserungsprogramms im Kontext von Ex-zellenz. Ähnlich wie das European Foundation for Quality Management (EFQM) Model um-fasst das innerhalb des Forschungsprojekts entwickelte Modell eine Fähigkeitendimen­ sion (sogenannte Enabler) sowie eine Ergeb-nisdimension (Performance Indikatoren).

 

Das Forschungsteam hat bereits zahlrei-che statistische Verfahren angewendet, um das System und dessen Komponenten detailliert zu untersuchen und allgemeingültige Aussa-gen ableiten zu können. Das Fundament des Modells bildet dabei die Qualitätskultur des Managements und der Mitarbeiter. Zur Bewer-tung der Exzellenz wurde einerseits Effektivi-tät, d.h. die Bereitstellung der richtigen Medi-kamente, in der richtigen Qualität, der richti-gen Menge und zur richtigen Zeit und anderer-seits Effizienz, d.h. der dazu betriebene Mittel­ einsatz operationalisiert. Weitere Elemente des Modells sind die Stabilität der Produktion, die Verlässlichkeit der Zulieferer sowie die Ro-bustheit der Labore, welche die fertigen Pro-dukte vor der Marktfreigabe testen. In der Ab-bildung 1 ist das während des Forschungspro-jekts entwickelte Modell dargestellt.

Qualitätskultur als Basis
Die Schlüsselrolle der Qualitätskultur wird so-wohl in der Industrie als auch in der Literatur umfassend diskutiert. Es besteht Konsens dar-über, dass eine hohe Qualitätskultur eine ent-scheidende Grundlage für Unternehmenser-folg darstellt (Barney, 1986; Digalwar & Sang-wan, 2011; Jochimsen & Napier, 2013; Yu & Kopcha, 2017). Innerhalb des Forschungspro-jekts war eines der Hauptziele, die Rolle der Qualitätskultur innerhalb des pharmazeuti-schen Qualitätssystems zu analysieren und das qualitative Vorverständnis mit quantitativen Analysen zu ergänzen.

 

Aus dem Hauptziel leitete sich die kon-krete Absicht des Forschungsteams ab, den Zu-sammenhang von Qualitätskultur und der Ef-fektivität des Qualitätssystems von pharma-zeutischen Produktionsstandorten zu analysie-ren (s. Abbildung). Um zu identifizieren, ob ein signifikanter Zusammenhang zwischen den beiden Dimensionen des PPSM besteht, wur-den die Standorte der St.Gallen OPEX Bench-marking Datenbank in zwei Vergleichsgruppen aufgeteilt und ein statistischer t-Test durchge-führt. Für die Zuordnung der Standorte in die Vergleichsgruppen wurde die Kennzahl Service Level Delivery (OTIF) als Stellvertretergrösse für die Effektivität benutzt (4). Die erste Gruppe beinhaltet alle Standorte, die zu den besten 10 % hinsichtlich dieser Grösse gehören. Die zweite Gruppe beinhaltet alle Standorte, die zu den schlechtesten 10 % gehören.

 

Für die Analyse wurde Qualitätskultur als aggregierte Grösse aus Qualitätsverhalten und -reifegrad sowie «Engagement Kennzahlen» be-trachtet. Sowohl das Qualitätsverhalten als auch der Qualitätsreifegrad stellen eine Grup-pierung einer Vielzahl an Attributen dar. Die Unterkategorie «Engagement Kennzahlen» stellt eine Gruppe von Indikatoren dar, die eine Aussage darüber zulassen, wie stark sich die Mitarbeiter an ihrem Standort einbringen (z.B. Anzahl Verbesserungsvorschläge). Das Quali-tätsverhalten beschreibt Eigenschaften des ein-zelnen Mitarbeiters innerhalb einer Organisa­ tion, die von aussenstehenden Personen beob-achtet werden können. Unter anderem sind Aspekte wie Engagement und aktive Unterstüt-zung durch Vorgesetzte beim Problemlösen in dieser Kategorie zusammengefasst. Die Katego-rie Qualitätsreifegrad bezieht sich auf Ansätze und Methoden sowie Systemcharakteristiken, die implementiert werden können, bspw. die Einführung eines standardisierten Prozesses zur Problemursachenanalyse (z.B. DMAIC Zir-kel).

 

Basierend auf der statistischen Analyse konnte das Forschungsteam quantitativ nach-weisen, dass die Standorte mit einer hohen Ef-fektivität des Qualitätssystems einen signifi-kant höheren Grad an Qualitätskultur aufwie-sen als die Standorte mit einer niedrigen Effek-tivität des Qualitätssystems. Dieses Ergebnis konnte zusätzlich für jede einzelne Unterkate-gorie von Qualitätskultur nachgewiesen wer-den. Sowohl in den Bereichen Qualitätsverhal-ten und -reifegrad als auch für die «Engage-ment Kennzahlen» besteht dieser Zusammen-hang. Auch unter Berücksichtigung weiterer Faktoren, welche die Effektivität des pharma-zeutischen Qualitätssystems beeinflussen (z.B. Stabilität der Prozesse oder Zuverlässigkeit der Lieferanten), zeigt das Forschungsergebnis ei-nen signifikanten Zusammenhang zwischen Qualitätskultur und Effektivität des Qualitäts-systems. Dieser vielfach diskutierte Zusam-menhang konnte somit anhand der Daten der St.Gallen Operational Excellence Benchmar-king Datenbank empirisch belegt werden.

 

Diese und weitere Analysen helfen dem Forschungsteam, der Industrie und der FDA, ein besseres Verständnis über die Zusammen-hänge des Qualitätssystems zu bekommen. In 2018 plant die FDA eine erste Datenerhebung in der Industrie, die Universität St.Gallen wird die Weiterentwicklung des risikobasierten An-satzes ein weiteres Jahr begleiten. Weiterfüh-rende Informationen zu den zahlreichen Ana-lysen des Forschungsteams sind in einem Be-richt über das 1. Forschungsjahr zusammenge-fasst. Dieser wurde auf dem ISPE Annual Mee-ting in San Diego im Oktober 2017 vorgestellt und ist seitdem frei zugänglich und auf der Website des Instituts verfügbar.

 

 

 

 

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