Digitalisierung der Wertschöpfungskette als Grundlage
Ursprünglich bezeichnet Digitalisierung einen rein technischen Vorgang der Um-wandlung analoger Signale in diskrete Zahlenwerte. Durch den vielschichtigen Gebrauch des Begriffes hat dieser zwischenzeitlich mehrere, unterschiedliche Bedeutungen. Um Strategien im Rahmen der Digitalisierung formulieren und im (Qualitäts-)Managementsystem integrieren zu können, sind eine differenzierte Betrachtung sowie Expertenwissen unerlässlich. Erst mit digitalisierten Wertschöp-fungsketten ist die Grundlage für Transformation und neue Geschäftsmodelle geschaffen. Das Qualitätsmanagement muss sich über diese verschiedenen Ent-wicklungsstufen der Digitalisierung mitentwickeln.
Noch vor nicht allzu langer Zeit beschäftigten sich ausschliesslich Ingenieure mit «Digitali-sierung». Inzwischen machte der Begriff Kar-riere und «Digitalisierung» ist überall anzu-treffen. Durch den vielschichtigen Gebrauch des Begriffes hat dieser auch mehrere, unter-schiedliche Bedeutungen. Um Strategien im Rahmen der Digitalisierung formulieren zu können, ist eine differenzierte Betrachtung deshalb unerlässlich.
Ursprünglich bezeichnet Digitalisie rung einen rein technischen Vorgang der Umwandlung analoger Signale in diskrete Zahlenwerte. Diese Zahlenwerte werden elektronisch in binärer Form – Einsen und Nullen – elektronisch transportiert, gespei- chert oder verarbeitet. Die Compact Disc für Musik war das erste weit verbreitete digitale Medium. Davor wurde Musik mehrheitlich analog aufgenommen, gespeichert und abge- spielt. Die Digitalisierung von beliebigen Sig- nalen und Messwerten (Englisch: digitization) ist heute in allen Bereichen möglich und üb- lich und die Grundvoraussetzung für alle wei- terführenden Formen der «Digitalisierung».
Aufbauend auf dieser technischen Mög-lichkeit der digitalen Abbildung von Signalen erfolgt die erste Stufe der Digitalisierung: die vollständige Digitalisierung aller Da ten. Durch digitale vorliegende Daten kön-nen in der Regel Abläufe und Prozesse auto-matisiert und kostengünstiger gestaltet wer-den. Dabei sollte zwischen Effizienzgewin-nen durch Vereinfachung in Transport und Lagerung und Gewinnen durch automati-sierte Verarbeitung unterschieden werden. Der Telefax oder gescannte Dokumente wa-ren anfängliche Beispiele für einfache Effizi-enzgewinne: Aufbewahrung, Zugriff und Transport können beschleunigt und verein-facht werden. Die Verarbeitung hingegen, die Abläufe und Prozesse bleiben erhalten. Wer-den hingegen die ursprünglichen Informatio-nen direkt digitalisiert, können zusätzlich einzelne Arbeitsschritte automatisiert wer-den. Der Austausch von Zahlungsaufträgen und Buchungen mit Banken ist ein Beispiel für den Austausch und die direkte Verarbei-tung von Daten. Erst diese Form der elektro-nischen Verarbeitung von Daten kann die Au-tomatisierung voll ausschöpfen. Sie kann mehrheitlich durch technische Massnahmen erreicht werden und bedingt in der Regel In-vestitionen in IT: Systeme, Prozesse, Kompe-tenzen. Sie bildet die Grundlage für die nächste Stufe.
Liegen alle benötigten und anfallenden Daten in einem Ablauf digital vor, kann dieser neugestaltet werden. Diese zweite Stufe wird als Digitalisierung von Wertschöp fungsketten bezeichnet (Englisch: digitali-zation). Dabei können folgende Treiber un-terschieden werden:
- Parallelisierung von Abläufen: Im Gegensatz zu physischen Dossiers können digitale Daten mühelos gleichzeitig beliebig genutzt und verarbeitet werden. Aus Sicht der Informationen können Abläufe beliebig parallelisiert werden. Prozesse können aus einer Datensicht neu entworfen werden.
- Verarbeitung grosser Datenmengen: Ein Geschäft kann in unvorstellbare Dimensio- nen skaliert werden. Unternehmen wie Amazon können dank elektronischer Ver- arbeitung in digitalen Wertschöpfungsket- ten riesige Märkte bedienen, die bis vor Kurzem unvorstellbar waren.
- Nutzung von Daten zur Beeinflussung der Wertschöpfungskette: in digitalisier- ten Wertschöpfungsketten können Un- mengen von Zusatzdaten wie Kundenver- halten abgegriffen werden. Diese Daten können aufbereitet und zur Beeinflussung oder Steuerung von Wertschöpfungsketten herangezogen werden. Dies wird oft als Big Data oder Business Intelligence (BI) be- zeichnet.
Überschätzt wird der Aspekt von Business Intelligence
Die drei Treiber sind als aufbauende Ent-wicklung von Kompetenzen zu verstehen. Die Vorteile der einzelnen Kompetenzen sind je nach Branche und Unternehmen sehr un- terschiedlich. Überschätzt wird oft der As-pekt der Business Intelligence, verfügen doch die wenigsten Unternehmen in der Schweiz über genügend Daten, um in der Liga von «Big Data» statistisch relevante Aussagen treffen zu können. Zusätzlich zu den IT-Kompeten-zen braucht eine erfolgreiche Digitalisierung von Wertschöpfungsketten Kompetenz in Unternehmensentwicklung (Change) und in der Software-Entwicklung.
Mit der Kompetenz, Wertschöpfungs-ketten digital gestalten zu können, folgt mit der dritten Stufe die digitale Transforma tion von Unternehmen. Dabei werden neu-artige Geschäftsmodelle entworfen – Ge-schäftsmodelle, die ohne digitalisierte Wert-schöpfungsketten unmöglich wären. Beispie-le sind Airbnb oder Uber, welche nur voll automatisiert effektiv und effizient betrieben werden können. Dabei pflügen diese «digita-len» Player bestehende Branchen mittels hocheffizienter Marktplätze komplett um. Im Kern sind folgende digitalen Geschäftsmodelle auszumachen:
- Marktplätze aller Art sind die ältesten, of-fensichtlichsten und sichtbarsten digitalen Geschäftsmodelle. Über eine Plattform wird eine grosse Zahl von Anbietern und Nach-fragern zusammengeführt. Die eigentliche Wertschöpfung besteht oft nur aus dem Matchmaking, dem Zusammenführen von zwei Parteien für ein Geschäft. Die eigentli-che Transaktion läuft ausserhalb an. Ebay oder Airbnb sind typische Beispiele.
- Über eine vertiefte vertikale Integration werden die Marktplätze zu virtuellen Dienstleistungen ausgebaut. Der Leistungs-erbringer wird vom Endkunden entkop-pelt. Der Mittler führt Teile der Transaktio-nen aus. Der digitale Versicherungsbroker Knip fährt ein solches Modell in der Schweiz. Knip bündelt verschiedene Versi-cherungen zu Gesamtangeboten und im-plementiert auch Geschäftsprozesse, wie zum Beispiel Schadensmeldungen. Versi-cherter und Versicherung haben keinen di-rekten und expliziten Austausch mehr.
- Schliesslich folgt über Reduktion der Grenzkosten die effiziente Herstellung in Losgrösse Eins. Digitale Wertschöpfungs-ketten, ausgeklügelte Logistik und Techni-ken zur effizienten Herstellung von Einzel-stücken oder Kleinstserien, wie die additive Fertigung, ermöglichen die Herstellung in-dividueller Produkte oder auch die Pro-duktion vor Ort beim Kunden. So will Adidas ab 2018 Schuhe mittels 3D-Druck individuell und trotzdem kostengünstig fertigen.
Qualitätsmanagement für die Digitalisierung
Über die verschiedenen Entwicklungsstufen der Digitalisierung eines Unternehmens hin-weg muss sich das Qualitätsmanagement mitentwickeln. Das Qualitätsmanagement wird sich dabei im Sinne einer digitalisierten Wertschöpfungskette selber digitalisieren müssen. Und um die unsichtbaren und teils komplexen Abläufe in einer digitalen Wert-schöpfungskette sichern zu können, muss sich das Qualitätsmanagement noch stärker in die Wertschöpfung integrieren. Dazu braucht es unter anderem neue Fertigkeiten in Qualitätsmanagement und insbesondere in der Qualitätssicherung (mehr dazu siehe Teil 4 in der letzten Ausgabe).
Für die erste Stufe der Digitalisierung von Daten wird ein umfassendes Datenquali tätsmanagement notwendig: Sicherstellung der Korrektheit, Integrität und Schutz der Da-ten gegen Verlust, Manipulation und vor un-berechtigtem Zugriff. Dabei müssen sowohl im Rahmen der eigentlichen technischen Di-gitalisierung als auch für die betriebliche Nut-zung und Pflege der Daten umfassende Mass-nahmen getroffen werden. Um Daten nach-haltig und umfassend zu sichern, ist eine Inte-gration des Datenqualitätsmanagements in die Wertschöpfungskette unabdingbar. Die Korrektheit der Daten zum Beispiel muss am Eingang sichergestellt werden. Der Schutz von Daten zum Beispiel muss bei jeder Inter-aktion sichergestellt werden.
Für die zweite Stufe der Digitalisierung von Wertschöpfungsketten werden Kompe tenzen in der Software-Entwicklung unab-dingbar sein. Ohne massgeschneiderte Soft-ware werden sich Wertschöpfungsketten nur bedingt digitalisieren lassen. Auch ist davon auszugehen, dass für viele Dienstleis-tungen und Produkte Software integraler Be-standteil wird. Umfassendes Qualitätsma nagement von Software wird zu einer Schlüsseldisziplin für die erfolgreiche Digita-lisierung von Wertschöpfungsketten. Soft-ware in diesem Bereich wird mit agilen Me-thoden entwickelt werden, sodass der Fähig-keit des Qualitätsmanagements von empiri-schen Prozessen eine entscheidende Rolle zukommen wird. Dies wird über das Integ-rierte Qualitätsmanagementsystem gesche-hen müssen.
Die Königsdisziplin schliesslich wird die Qualitätssicherung von Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle für die drit-te Stufe der digitalen Transformation sein. Analog der Softwareentwicklung wird sich Qualitätsmanagement in den Strategie-Pro-zess integrieren und auf empirische Prozesse konzentrieren müssen. Die Qualitätssiche-rung von Softfaktoren wie Kultur und Füh-rung sowie der Anspruch der Generation Y auf Sinn und Werte werden den Beitrag zum Erfolg der Transformation liefern.
Fazit
Die Digitalisierung von Wertschöpfungsket-ten, die digitalen Transformationen von Un-ternehmen und das Eindringen der Techno-logie-Unternehmungen wie Amazon, Goo gle, Facebook, Apple etc. in klassische Märkte führt zu unvorhersehbaren Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft, und zwar global. Planungshorizonte schwinden, Re aktionsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit gewinnen an Bedeutung. Die Fähigkeit, auf diese Veränderung zu reagieren, wird als «Agilität» bezeichnet. Agile Unternehmen pflegen eine agile Kultur, bedienen sich agi-ler Methoden, Prozesse, Frameworks und Tools und bauen Dienstleistungen und Pro-dukte nach agilen Entwurfsmustern und Konstruktionsprinzipien.
«Überschätzt wird oft der Aspekt der Business Intelligence.»
Um ein Unternehmen einer digitalen Transformation zu unterwerfen, sind Strate-gie-Entwicklung, Unternehmensentwick-lung und Leadership die unabdingbaren Kompetenzen. Eine grosse Herausforde-rung, da zeitgleich das Führungsverständnis im Wandel ist. Teams werden zu Chefs und Chefs zu Coaches. Diese multi-komplexe Ausgangslage fordert schrittweises Vorge-hen und Planung, agile Strategien und eine angemessene Risikokultur, damit trotz aller Dynamiken der Arbeitswelt 4.0 und der Marktwirtschaft die Ziele erfolgreich und konform erreicht werden können.
Mit dem Anspruch, allgemeingültig zu sein, bietet insbesondere die ISO in seiner letzten Version 9001:2015 nicht nur ein unter-nehmungsspezifisches schlankes Vorgehen. Es stellt für agile Unternehmungen einen idealen, ergänzenden Systemrahmen dar. Al-les, was Digitalisierung mit sich zieht, dürfte die bisherigen durch neue Qualitätsmetho-den beeinflussen – ob stärken oder ablösen.
So oder so bleibt Qualität ein Differen-zierungsmerkmal und bietet dem Qualitäts-management sowie der Rolle des Qualitäts-managers neue Chancen und Perspektiven. Die Frage heute ist nicht mehr ob, sondern wann. Das «Wann» wiederum ist getrieben durch den Digitalisierungsgrad einzelner Branchen und dem Reifegrad des Manage-mentsystems des eigenen Unternehmens.