Digitalisierte Branchen nicht immer widerstandsfähiger als nicht digitalisierte

Weit verbreitet ist die Annahme, dass die Digitalisierung Unternehmen und Branchen bei der Bewältigung von Krisen helfen kann. Doch inwiefern haben sich stark digitalisierte Sektoren in der Covid-19-Krise als widerstandsfähiger herausgestellt? Dieser Frage hat sich ein Team vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) in Potsdam anhand von sozioökonomischen Parametern vor und nach der Corona-Krise gewidmet. Die Studie ergab überraschende Ergebnisse.

Digitalisierte Branchen erwiesen sich während der Pandemie nicht unbedingt als krisenresistenter als andere Sektoren. (Symbolbild; Pixabay.com)

Die globale Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus im Jahr 2020 hat zu einem Rückgang der globalen Wirtschaftsleistung um 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr geführt. Im Zuge unterschiedlicher Widerstandsfähigkeit von Sektoren wurden vermehrt die Chancen der Digitalisierung für die Wirtschaft, etwa durch Homeoffice und Automatisierung, diskutiert und Rufe nach mehr Digitalisierung laut. Dies werfe jedoch die Frage auf, so das Autorenteam der neuen Studie am RIFS in Potsdam, ob der Grad der Digitalisierung tatsächlich mit der wirtschaftlichen Leistung von Wirtschaftssektoren während der Krise in Verbindung gebracht werden könne. Denn es gebe nur wenig Belege für den Zusammenhang der sozioökonomischen Leistung von Branchen und deren Digitalisierungsgrad. Die Studie bezieht sich zwar auf die Situation in Deutschland, lässt aber durchaus auch Rückschlüsse auf die Schweizer Wirtschaft zu, die mit ähnlichen Bedingungen während der Pandemie zu kämpfen hatte.

Staatliche Unterstützung hat womöglich Resilienz erhöht

Die Forscherinnen und Forscher analysierten anhand von Aktienmarktperformance, Bruttowertschöpfung (BWS) und Beschäftigungsdaten die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) und verglichen sie mit dem Grad der Digitalisierung von Wirtschaftssektoren in Deutschland im Pandemiejahr 2020. Ihre Frage: Welche Unterschiede lassen sich in der sozioökonomischen Widerstandsfähigkeit zwischen mehr und weniger digitalisierten Wirtschaftszweigen in der der Covid-19-Krise in Deutschland feststellen?

Die Studienergebnisse können nicht bestätigen, dass stark digitalisierte Sektoren in der Covid-19-Krise durchweg resilienter waren als weniger digitalisierte Sektoren, so das RIFS-Team. Branchen mit hoher und mittelhoher digitaler Intensität wiesen zwar eine bessere Aktienmarktperformance auf als solche mit geringer und mittlerer Digitalisierungsintensität. Jedoch sei die hohe Fluktuation und Unsicherheit auf dem Aktienmarkt nachteilig für die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft. Branchen mit geringer digitaler Intensität schnitten hingegen in Bezug auf Bruttowertschöpfung und Beschäftigung besser ab als diejenigen mit hoher und mittlerer digitaler Intensität, mit Ausnahme des Informations- und Kommunikationssektors. Insbesondere zeigten die Daten, dass Branchen mit geringer und mittlerer digitaler Intensität – wie etwa öffentliche Verwaltung, Bildung, Verteidigung, Gesundheit, Sozialarbeit und Baugewerbe – mit Ausnahme der Informations- und Kommunikationsbranche, die einzigen waren, bei denen die Beschäftigung während der Pandemie zugenommen habe.

„Die Beobachtungen führten schliesslich zu der These, dass Digitalisierung möglicherweise kein Allheilmittel ist, um die soziale und wirtschaftliche Resilienz der Wirtschaft in Krisenzeiten zu erreichen“, sagt Erstautorin Stefanie Kunkel. Ein positiver Zusammenhang der Digitalisierung mit Aktienmarktwerten sei für Investorinnen und Investoren relevant. Jedoch schienen gerade ‚menschennahe‘, öffentliche Sektoren wie etwa Gesundheit und Bildung – mit niedrigeren Digitalisierungsgraden – stabiler zur Wertschöpfung und Beschäftigung in der Krise beizutragen. Die Autoren um Kunkel wiesen in der Studie jedoch darauf hin, dass es sich nicht um eine Analyse von kausalen Zusammenhängen handle. Eine ihrer Schlussfolgerungen: Eine erhebliche Rolle für die Resilienz von Sektoren in der Krise spiele staatliche Unterstützung – einige Studien gehen weiter und folgern, dass staatliche Unterstützung womöglich der Hauptgrund für Resilienz in der Krise sei.

Empfehlungen für die Wirtschaft

Eine Politik, die sich nur auf die Förderung der Digitalisierung konzentriert, um künftige Krisen abzumildern, könnte sich als fehlgeleitet erweisen. Die Digitalisierung führt nicht nur zu veränderten Berufsprofilen, die möglicherweise besser qualifizierte Arbeitskräfte begünstigen und zu einer größeren Lohnungleichheit führen, sondern birgt auch ökologische Risiken wie einen erhöhten Energie- und Ressourcenverbrauch. Stattdessen sollten sich politische Maßnahmen zur Förderung der Widerstandsfähigkeit und finanzielle Unterstützungsprogramme in Krisenzeiten auf die Stärkung der sozialen und ökologischen Widerstandsfähigkeit konzentrieren, indem sie auf Sektoren abzielen, die die Stabilität fördern und eine umfassendere sozial-ökologische Transformation im Einklang mit internationalen Nachhaltigkeitszielen unterstützen, wie etwa an den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen.

Empfehlungen für Unternehmen

Für Unternehmen wiederum empfiehlt das Team, dass Führungskräfte Arbeitsumgebungen schaffen sollten, in denen Fern- und Vor-Ort-Aufgaben gleichmäßig auf die Mitarbeitenden verteilt sind, um zu vermeiden, dass sich die digitale Kluft zwischen der Belegschaft in Krisenzeiten vergrößere. In Hinblick auf ökologische Ziele sollten digitale Technologien genutzt werden, um Umweltparameter zu messen, Energie- und Materialverbräuche entlang der Lieferkette zu senken, und umweltfreundlichere Geschäftsmodelle beispielsweise im Rahmen der Kreislaufwirtschaft zu identifizieren. Auf diese Weise könnten Beschäftigte in künftigen Krisen gleichmäßiger von der Digitalisierung profitieren, ihre digitalen Kompetenzen verbessern und soziale, wirtschaftliche und ökologische Ziele miteinander in Einklang gebracht werden.

Mit dieser Analyse könnte bereits heute die Frage für künftige Krisen gestellt werden: Welche Faktoren ermöglichen es, dass die Digitalisierung von Branchen das Erreichen von Zielen wie Wohlbefinden und Umweltschutz unterstützt? Jetzt und künftig sollte  letztendlich ein Wandel zu höheren ökologischen Standards eingeleitet werden, denn die vergangene Krise allein habe nicht dazu geführt.

Quelle: RIFS

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