Die Zukunft in die Gegenwart holen

Innovationsprozesse sind meistens abgeleitet von Abläufen, die man aus dem Projektmanagement kennt. Einen ganz anderen Ansatz bietet die «Theorie U» von Otto Scharmer, die hier kurz vorgestellt wird.

Die Zukunft in die Gegenwart holen

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Die Abläufe in einem Projektmanagement sind linear und unterteilt in einzelne Schritte. So findet man in der Literatur und der Praxis meist eine Abfolge wie: Initiierung, Ideengewinnung, Ideenauswahl, Grobkonzept, Umsetzungskonzept und Realisierung. Obwohl diese Abfolge logisch ist, wird sie auch in der Praxis selten linear durchlaufen. Es sind immer einige Iterationen oder Sprünge vorhanden. Ausserdem werden diese Vorgaben und das Vorgehen an sich eher als hinderlich für die Kreativität empfunden, und so bleibt auch bei der vermehrten Anwendung dieser Struktur immer ein schaler Nachgeschmack, es fehlt die Zündung, das Feuer.

Unterschiede zum linearen Ansatz

 

Die «Theorie U» von Otto Scharmer unterscheidet sich von anderen Methoden, indem sie nur einen Rahmen vorgibt, der den gesamten Veränderungsvorgang – hier eine Innovation – umfasst und bei dem die einzelnen Phasen sehr individuell ausgestaltet werden können. Sie unterscheidet sich von einem linearen Ansatz, indem sie zusätzlich den Mensch und sein Wesen mehr berücksichtigt und ihm den nötigen Raum bereitstellt. Verwendet wird sie vor allem in Situationen, in denen das Ergebnis nicht genau definiert werden kann. Sie lässt den benötigten Freiraum bewusst zu. Die «Theorie U» ist das Ergebnis einer Untersuchung der SoL – (Society for Organizational Learning, MIT). Darin wurden erfolgreiche Projekte oder Vorgehen analysiert, um herauszufinden, was sie so erfolgreich macht. Daher ist die «Theorie U» universell anwendbar, um irgendein Vorhaben zu gestalten und eignet sich gerade für Innovationen sehr gut.

 

Für die praktische Anwendung bei Innovationen wurde das U etwas erweitert, um die Anwendbarkeit zu verbessern, indem es den Einstieg und die Umsetzung mehr detailliert. Diese Vorgehensweise lässt sich wie folgt abbilden:

 

Will man eine Innovation möglich machen, beinhalten die einzelnen Schritte Folgendes:

 

  • Schritt 1: Herausforderung. Man sieht einen Bereich in der Firma, der neue Produkte braucht oder gegenüber der Konkurrenz Marktanteile verliert. Doch es fehlt die richtige Einsicht und eine klare Definition der Lage. Es ist aber nicht immer einfach, solche Situationen zu erkennen; daher ist es wichtig, sich regelmässig mit Kollegen oder Experten auszutauschen und über das Verkaufspersonal den Dialog mit dem Kunden aufrechtzuerhalten. Durch diesen Austausch wird das Anliegen konkreter und klarer. Man kann die heisse Stelle identifizieren.
  • Schritt 2: Kernteam = Mikrokosmos. Nachdem der Bereich des Problems, der Innovationsbereich oder das Suchfeld definiert ist, gilt es nun die richtigen Teilnehmer auszuwählen. Die Teilnehmer werden so ausgewählt, dass sie das ganze System, die betroffene Umgebung und mehr, repräsentieren und ihr Gebiet kompetent vertreten. Zusätzlich wird versucht, sogenannte Lead-User (trendanführender Nutzer) zu finden und sie in das Team zu integrieren. Es können aber auch noch unabhängige Stimmen, also weitere Personen, in den Mikrokosmos eingeladen werden. Dieses Kernteam hat die Aufgabe, in enger Zusammenarbeit das neue, innovative Produkt zu finden.
  • Schritt 3: Erforschen des Problems. Nun macht sich das Kernteam an die Arbeit und erforscht das definierte Suchfeld mit Randgebieten tiefer. Dabei ist es wichtig, breit und offen vorzugehen und folgende Begriffe umzusetzen: Entdecken, Ausprobieren, Plätze besuchen, Eintauchen, Lernen, Fühlen, Inspirieren etc. Durch regelmässigen Austausch werden diese Erkenntnisse untereinander geteilt und dadurch erweitert. Dabei sind nicht Lösungen gefragt, sondern es geht um eine reine Aufnahme der «Lage».

 

Die «Theorie U» lässt Freiraum bewusst zu.

 

  • Schritt 4: Synthetisieren. Die gesammelten Informationen und Erfahrungen werden zusammengesetzt, damit ein ganzes Bild entsteht. Dazu kommt das Kernteam zusammen, erstellt ein gemeinsames Bild, schält die Muster heraus und bestimmt die Schwerpunkte. Dabei zeigen sich die Zusammenhänge und Leerstellen. Das Suchfeld wird nun sehr eng und hilft dem Kernteam, sich zu fokussieren. 
  • Schritt 5: Das Ganze sehen – Presencing. Das Handlungsfeld liegt nun offen da und alles ist klar ersichtlich. Jetzt ist es wichtig, nicht in Aktionismus zu verfallen und sofort eine Lösung zu präsentieren, wie man dies von Beratungsunternehmen gewohnt ist. In diesem Schritt wird zuerst versucht tiefer zu blicken und zu fühlen, um den Kern klar erfassen zu können. Jeder einzelne Teilnehmer versucht, sich mit der Quelle1 zu verbinden und voll anwesend zu sein. Dadurch wird das «Feld»2 klar sichtbar. Das Bestehende, auch Denkzwänge, können losgelassen werden, und die zukünftigen Möglichkeiten zeichnen sich ab. Meist ist dies eine sehr ruhige Phase, man geht in die Stille, macht Meditation oder ist in tiefem Dialog.
  • Schritt 6: Herauskristallisieren. Die Erfahrungen und Gedanken des vorhergehenden Schrittes werden zusammengetragen und durch kreative Prozesse und Methoden werden mögliche Lösungen und Initiativen skizziert. Diese werden weiter verdichtet und konkretisiert, so dass man eine Liste von konkreten Innovationsideen hat.
  • Schritt 7: Rapid Prototyping. Die Ideen aus dem vorhergehenden Schritt werden mittels eines Rapid Prototyping ausprobiert. Dabei werden diese Lösungs- und Konzeptansätze vereinfacht durchgespielt und auf ihre Machbarkeit und ihren Nutzen überprüft. Das Ziel dieses Schrittes ist, die optimale Lösung zu finden, die in die Realität übertragen werden kann. Zusätzlich werden die Randbedingungen überprüft und ein Grobkonzept erstellt.
  • Schritt 8: Test-Piloten. Die besten Innovation-Ideen werden in die reale Umgebung gebracht und in einem Pilotbetrieb getestet. Diese Tests dienen zur Verifikation der gefundenen Innovation und verfeinern sie so, dass sie grösstmöglichen Nutzen bringen und gut in die reale Umgebung passen. Die strategischen Akteure und Nutzer, das Kernteam, sind die Botschafter der Innovation in der Firma und nach aussen. Sie begleiten den Vorgang und machen aufgrund der bisher gesammelten Erfahrung die nötigen Korrekturen.
  • Schritt 9: Ausbreitung. Aus dem Pilotbetrieb entsteht das Produkt, die Innovation, das auf den Markt gebracht werden kann. Bei der Anwendung der Innovation, sei es ein Produkt oder eine Dienstleistung, bleibt man mit dem Abnehmer laufend im Dialog und kann das Produkt so in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess weiter entwickeln.

In verschiedene Dimensionen eintauchen

 

Wie aus der Abbildung zu ersehen ist, taucht der Teilnehmer beim Durchlaufen des Us in verschiedene menschliche Dimensionen ein. Dieses Eintauchen geschieht fast automatisch, wenn beim Design des Vorgehens darauf Rücksicht genommen wird und im jeweiligen Schritt darauf geachtet wird. Diese 3 Ebenen sind:

 

  • Öffnung des Denkens: Die Fähigkeit, Beurteilung aussetzen und sich zu informieren und erkundigen, um etwas mit neuen Augen zu sehen, das heisst, auf unsere Quellen von IQ (Intellektueller Intelligenz) zuzugreifen.
  • Öffnung des Fühlens: Die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit umzuleiten und das Herz als Organ der Wahrnehmung zu verwenden («Sehen mit dem Herzen »). Wir verschieben den Ort, wo die Wahrnehmung passiert, zu etwas Anderem oder dem Feld bzw. dem Ganzen, um auf unsere Quellen von EQ (Emotionale Intelligenz) zuzugreifen.
  • Öffnung des Willens: Die Fähigkeit, sich von alten Identitäten und Absichten zu verabschieden und die Melodie der Zukunft, die bestrebt ist, durch mich oder uns aufzutauchen, erklingen zu lassen. Unser altes Selbst gehen zu lassen und unser neues, authentisches Selbst kommen zu lassen, den Zugang zu unseren Quellen von SQ (Spirituelle Intelligenz) zu finden.

 

Erst durch das bewusste Durchlaufen dieser Ebenen mittels der geeigneten Methoden kann Neues entstehen. Darauf ist zu achten, indem das Interventionsdesign basierend auf dem beschriebenen Vorgehen sorgfältig entworfen wird. Im Design wird festgelegt, welche konkreten Umsetzungsmethoden in den einzelnen Schritten angewandt werden und wie sie aufeinander abgestimmt sind. Denn dadurch entsteht in diesem Innovationsprozess ein automatisches Fliessen, das wirklich Neues entstehen lässt. Also ein beglückend erlebtes Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit, die wie von selbst vor sich geht. Und das ist der Moment, indem die Zukunft in die Gegenwart geholt wird.

Emotionen als Treiber des Neuen

 

Die Anwendung der Theorie U bewirkt einen guten, nachhaltigen Innovationsprozess und integriert die stattfindenden Emotionen. Lassen Sie diese Vorgehensweise zu, werden Sie einen vollkommen neuen und qualitativ hochwertigeren Innovationsprozess erleben, als Sie ihn bisher gekannt haben. Die Innovation wird besser, ja sogar eher eine Durchbruch-Innovation sein. Die Stimmen der Abwehr, die es in jeder Phase der Veränderung, hier Innovation, gibt, werden nicht unterdrückt oder weggewischt, sondern integriert und als wertvoll erachtet. Es sind emotionale Beiträge, die zeigen, dass sich der jeweilige Beteiligte sehr weit in diesen Innovationsprozess eingebracht hat und anderen schon voraus ist. Der sachlich Argumentierende hat möglicherweise noch einen längeren Weg vor sich. Daher entstehen hier die häufigsten Missverständnisse im Innovationsprozess: Die Beteiligten, die am stärksten emotional reagieren, werden ausgetauscht, dabei sind sie die Träger und später auch Treiber des Neuen. Das setzt voraus, dass die Führungskraft dieses Potenzial erkennt und diese Menschen entsprechend führt. Diese Art der Führung und der Wahrnehmung der Beteiligten ist ein zentrales Element bei der Durchführung erfolgreicher Innovationen und kann mit dem Hilfsmittel «Theorie U» optimal umgesetzt werden.

 

 

 

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