Die schwierige Rede und das Motto
Lustlos sitzt Hannes vor dem Computer. Die Zeit drängt. Als CEO eines internationalen Industriekonzerns muss er die Belegschaft heute Nachmittag über die missliche finanzielle Lage des Unternehmens orientieren. Diese keineswegs frohe Botschaft übertrifft die nackte Ankündigung, dass ein beträchtlicher Teil der Produktion nach Asien verlegt wird.
«Meine Damen und Herren, ich trete heute vor Sie, um Sie über eine einschneidende Massnahme zu orientieren», beginnt nun Hannes zu tippen. Hannes hält inne: «Treten » – das hört sich doch zu sehr nach «vor die Schmitte treten» an – klingt dabei zu dramatisch. Also, denkt er, lieber direkter:
«Meine Damen und Herren» – dies ist wohl etwas förmlich, distanziert, schiesst es Hannes durch den Kopf. «Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ». Genau, das drückt Wertschätzung aus, das steht so im Leitbild. Also: «Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ich informiere Sie heute über eine einschneidende …» – Nein, das gefällt Hannes nicht. «Einschneidende Massnahme» klingt, als ob wir den Betrieb gleich schliessen müssten. Dabei verlagern wir nur dahin, wo die Märkte sind. Im Grunde gehen wir näher zum Kunden. Genau (!), «Kundennähe» möchten wir eigentlich. Hannes: «Das hört sich nicht nach Abbau, sondern nach Aufbau neuer Distributionskanäle an.»
«Kundennähe» möchten wir eigentlich.
Hannes gerät über der Tastatur in Fahrt.
«Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ich freue mich, Sie über unsere neue Strategie für mehr Kundennähe zu orientieren. Annäherung der Distributionskanäle ist das Rezept, das allerdings auch Opfer fordert.» Nein, «Opfer» geht gar nicht. Change-Projekte sind «Chancen». «Wir haben die einmalige Chance, uns mit der Neuausrichtung im Markt besser zu positionieren.» Ja, das passt. Es soll positiv daherkommen. Nichts von «gesundschrumpfen », das würde bedeuten, dass wir vorher «krank-gewachsen» sind!
«Fokussierung auf die zentralen Kerngeschäfte» – ja, das muss rein. «Die Gründe für diese Neuausrichtungen sind vor allem Markteinflüsse aus Billiglohnländern.» «Markteinflüsse » – Hannes streicht das Wort, es erweckt den Eindruck von Fremdbestimmung. «Wir passen uns dem technologisch-demagogischen Wandel an und sind in der Globalisierung ein aktiver Player.» Das ist gut. Hannes spürt, dass es richtig ist, solche frohe Botschaften persönlich zu kommunizieren. Die Rede soll noch angereichert werden mit ein paar wohlklingenden Adjektiven wie «nachhaltig», «ergebnisorientiert», «stufengerecht», «win-win», «optimiert », «schlank» und unverzichtbaren Substantiven wie «State-of-the- Art», «Streitkultur», «Denkanstoss».
Wenn wir noch ein stimmiges Rahmenmotto setzen, denkt sich Hannes, wird die Stimmung heute Nachmittag diejenige des Jubiläumsevents toppen. Hannes denkt nach. «Fit-for-future», das klingt gut. Abgekürzt mit «fi-fo-fu» wirkt es weltoffen mit passendem Asia-Touch. Als Häppchen schweben Hannes «fi-fofu »-Spiesse vor, die den Zusammenhalt der Mitarbeitenden nicht nur fördern, sondern auch symbolisieren. Wir kämpfen alle am gleichen Spiess, dachte er, stolz darauf, eine Redewendung gefunden zu haben. Mit diesen stand er nämlich normalerweise auf Kriegsfuss. Wir schlagen punktgenau zu, dass es den anderen schmerzt und die fettesten Stücke hängen bleiben. Hannes ist überzeugt, dass er einen rhetorischen Joke landet. Mit Fisch für «fi», Fohlen für «fo» und Fuchs für «fu» findet er nicht nur die passenden Fleisch-Ingredienzen zu dieser kulinarischpsychologischen Metapher, sondern auch den Symbolgehalt für die Neuausrichtung: Fisch für Anpassung, Fohlen für dynamisch, energievoll und schnell, Fuchs für schlau. Hannes ist mit sich zufrieden.
Hannes schaut auf die Uhr – er muss noch den Fisch bestellen.
Auf dem Bildschirm steht nun: «Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich freue mich, Sie über unsere neue nachhaltige Strategie für mehr ergebnisorientierte Kundennähe zu orientieren. Wir haben die einmalige Chance, uns mit einer stufengerechten Neuausrichtung im schlanken und optimierten Markt zu positionieren. Wir passen uns dem technologisch-demagogischen Wandel an und sind in der Globalisierung ein aktiver Player. Dabei fokussieren wir vermehrt auf unsere Stärken und die zentralen Kerngeschäfte und schaffen mit dieser State- of-the-Art eine Win-win-Streitkultur, die uns eine Kultur der permanenten Denkanstösse verschafft. Deshalb freut es mich, Sie getreu unserem neuen Motto ‹Fi-Fo- Fu› (fit-for-future) zu Fisch-Fohlenund- Fuchs-Spiessen einzuladen.»
Hannes schaut auf die Uhr – die Orientierung geht bald los und er muss noch den Fisch bestellen. Hoffentlich bekommt das Essen auch allen.