Die Rolle von Grossunternehmen im Menschenhandel
Wenn beispielsweise ein Abendessen mit anschließendem Besuch einer Karaoke-Bar mit Unterhalterinnen als Entertainment Budget von der Firma selbst bezahlt wird, beteiligt sie sich bereits am Menschenhandel. In Ländern wie China, Taiwan, Korea und Japan kann man davon ausgehen, dass mindestens 80 Prozent der Unterhalterinnen und je nach Kategorie der Lokalität in Bars, Karaoke-Bars oder Massagegeschäften durch ein künstlich aufgebautes und mit äusserster Gewalt kontrolliertes Schuldenverhältnis gezwungen werden, ihre Tätigkeiten auszuführen.
20 Millionen Menschen sind versklavt
Zu jeder Zeit befinden sich 20 Millionen Menschen in dieser modernen Form der Sklaverei. Ein Mensch unter 400 Menschen. Der überwiegende Teil davon wird durch Menschenhandel in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gezwungen, die oftmals auch das Sexgewerbe betreffen. Ein Land wie zum Beispiel die Schweiz oder Deutschland kann gleichzeitig Quellenland, Transitland und Zielland sein. Woher und wohin ein Opfer transportiert wird, hängt alleine vom Marktsegment des Menschenhandels ab, in welches sie oder er verkauft wird und wo der Endkunde wartet. Es gibt unter anderem folgende Märkte für den Menschenhandel unabhängig von Menschenschmuggel, der hier nicht angesprochen sind.
- Sexgewerbe: illegale Prostitution, gewerbliche private sexuelle Ausbeutung
- Arbeitsausbeutung (Bau, Industrie und Fertigung)
- Ausbeutung für kriminelle Zwecke: Betteln, Stehlen, Einbrechen, Drogenkriminalität
Das Delikt «Menschenhandel» muss mindestens je eine der Komponenten innerhalb der folgenden drei Elemente erfüllen:
- Element der Handlung: Anwerbung, Transport, Transfer, Unterbringung, Empfang von Personen
- Element der Mittel: Drohung oder Anwendung von Gewalt, Nötigung, Entführung und Freiheitsberaubung, Betrug, Täuschung, Machtmissbrauch oder Missbrauch einer Vulnerabilität, finanzielle Anreize oder Güter
- Element des Zwecks: Ausbeutung, Prostituieren anderer, sexuelle Ausbeutung, Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit, Sklaverei, Organentnahme und alle anderen Arten der Ausbeutung
Die Sklavin sitzt im Flugzeug
Um die enorme Anzahl von Opfern anzuwerben, zu ihrem Zielmarkt zu transportieren, während der ganzen Zeit zu kontrollieren und auszubeuten, benötigt das Geschäftsmodell extrem flexible globale Netzwerke und eine Logistik, durch die man jeden Markt bedienen kann. Hier entstehen weitere Berührungspunkte mit westlichen Firmen. Die Händler nutzen mit den Opfern die gleichen Reiserouten und Transportmittel, die wir auf unseren Geschäftsreisen benutzen, wie zum Beispiel Flüge.
Die Zielmärkte für die Ware Mensch befinden sich entweder innerhalb der legitimen Supply Chains wie Rohmaterialabbau, Fabrikation oder an der Peripherie wie beispielsweise beim Entertainment für Kunden. Menschenhandel kann aber auch innerhalb der Organisation stattfinden, zum Beispiel im Produktionsbereich, wie nachfolgendes Beispiel zeigt.
Internationale Firmen sind Keyplayer, was Menschenhandel betrifft.
Beispiel Firma W. (Name geändert)
Die lokale Geschäftsführung einer Tochtergesellschaft von W. in einem ostasiatischen Land eines Mandanten entwickelte eine kreative Idee, um Produktionskosten zu senken. Sie schlug der Geschäftsleitung in Europa vor, Philippinen für die Produktion einzustellen, da sie viel kostengünstiger arbeiten würden.
Der Geschäftsleitung in Europa wurde erzählt, dass es spezielle Regelungen für ausländische Arbeiter mit temporärem Arbeitsvertrag möglich machte, die Arbeiter unter den normalen gesetzlichen minimalen Anforderungen des lokalen Arbeitsgesetzes einzustellen. Die einzige Bedingung wäre, dass die Anstellung nicht über die Niederlassung der Firma in den Philippinen, sondern über einen Agenten abgewickelt würde, damit die spezielle Ausnahmeregelung genutzt werden könne.
Die europäische Geschäftsleitung willigte ein, ohne die Sachlage zu überprüfen. Hätte sie das getan, wäre sofort klargeworden, dass das lokale Arbeitsrecht weder eine solche Regelung vorsieht, noch, dass es Ausnahmen gibt bezüglich Lohn und Sozialversicherungen. Das führte zu folgender Situation:
Die philippinischen Fabrikarbeiter wurden durch einen Agenten in den Philippinen rekrutiert. Die Bewerber mussten eine hohe Rekrutierungsgebühr bezahlen. Sie unterschrieben einen Vertrag, der einen attraktiven Lohn versprach, freie Unterkunft, freie Verpflegung und die (obligatorischen) lokalen Sozialabgaben sowie Krankenversicherungen. Nach der Ankunft wurden ihnen die Dokumente und der Pass abgenommen. Sie wurden in unzumutbaren Unterkünften (Eis an der Decke im Winter, Regen und Schimmel im Sommer) untergebracht. Dafür wurde ihnen ein beträchtlicher Teil des Lohns abgezogen. Die Mahlzeiten wurden ihnen im Gegensatz zu ihren Kollegen vor Ort verrechnet. Die Sozialabgaben wurden nicht in die Kasse einbezahlt und das lokale Management teilte die Beträge unter sich auf.
Es gab unterschiedliche Berichte von Gewalt der Vorarbeiter gegen die philippinischen Angestellten. Ihnen wurde gesagt, dass sie sich nicht an die Behörden wenden könnten, da sie nicht im Besitz ihrer Papiere waren. Sie könnten damit als illegal Anwesende verhaftet werden und die Polizei würde ihnen sowieso nicht glauben. Alle drei Delikte des Menschenhandels waren erfüllt.
Die Crux mit dem Entertainment Budget
Thomas Roth berät seit 20 Jahren europäische Firmen in Asien und hat bis jetzt – mit Ausnahme von Kleinstfirmen – keine westliche Firma angetroffen, die ohne sogenanntes Entertainment Budget für ihr lokales Verkaufsteam auskommen würde. Selbst, wenn das Budget offiziell genehmigt ist, stimuliert es direkt den Markt für die Ware Mensch. Das entspricht nicht den Corporate Guiding Principles, sie zu ändern löst allerdings interne Konflikte aus. Die eigenen Verkäufer protestieren vehement, dass man ohne Entertainment nichts mehr verkaufen könne. Ob das stimmt, bleibt offen. Weil Manager aus dem Westen das Risiko nicht abschätzen können oder wollen, wird nichts verändert.
Interessanterweise ist es vielen asiatischen Firmen gelungen, ohne Verkaufsverlust und sogar mit wachsendem Erfolg, Entertainment effektiv zu minimieren. Nicht ganz freiwillig, denn die Compliance-Anforderungen in verschiedenen Ländern werden von den Behörden immer strenger umgesetzt, und das rechtliche Risiko wurde einfach zu gross. Westliche Firmen haben diesbezüglich einiges nachzuholen.
Schwarze Löcher als Risikofaktor
Die genannten Beispiele zeigen Situationen, die durch sogenannte schwarze Löcher (Distanz, Kontext, Transparenz, Kommunikation, Routine) in den Organisationen entstehen. Ein Auditor kann sie nicht erkennen. Es ist einleuchtend, dass viele Deliktbeteiligungen einer Geschäftsleitung völlig unbeabsichtigt entstehen und aus moralischen und rechtlichen Gründen niemals toleriert würden. Trotzdem sind solche Situationen häufig und stellen ein enormes Compliance-Risiko dar.
Zu jeder Zeit befinden sich 20 Millionen Menschen in einer modernen Form der Sklaverei.
Interpol benötigt die Zusammenarbeit mit globalen Firmen
Im November 2014 fand in Lyon, Frankreich, die dritte Interpol-Konferenz zum Thema Menschenhandel statt. Eingeladen zur Konferenz wurden die verschiedenen Polizeiorganisationen aus Europa, Amerika, Asien und Afrika. Es waren auch die Vertreter verschiedenster Nonprofit-Organisationen und unter anderem die International Organisation for Migration (IOM) eingeladen. Es ging um die Zusammenarbeit der unterschiedlichsten Player, um auf globaler Ebene den Menschenhandel zu bekämpfen. Die global tätigen Firmen fehlten auf der Konferenz. Nur eine amerikanische Bank hatte zugesagt. Internationale Firmen sind Keyplayer, was Menschenhandel betrifft. Ihre Abwesenheit lässt verschiedene Schlüsse zu. Entweder ist das Thema Menschenhandel latent gefürchtet und wird deshalb gemieden, oder es wird als inexistent betrachtet, weil das Wissen darüber fehlt.
Unwissenheit schützt nicht vor Schaden
Anscheinend ist noch nicht bekannt, dass die Gesetzgeber weltweit neue Regulatorien bezüglich Menschenhandel erarbeiten, die von den Firmen umgesetzt werden müssen. Damit würden sie sogar zu einer Grundvoraussetzung für den Erhalt eines ISO-9001 Zertifikats.
Aufklärung zu Menschenhandel würde die Nachhaltigkeit ohne grossen Aufwand massiv verbessern. Menschenhandel findet nämlich in der Organisation überall dort statt, wo noch Löcher bezüglich interner und externer Compli ance bestehen. Damit wäre eigentlich klar, dass globale Firmen ohne ein ISO 26 000 nicht mehr auskommen können – und es muss ein Weg gefunden werden, wie dies überprüft werden kann.
bb-com GmbH http://www.bb-com.ch
International Organization for Migration https://www.iom.int/
Humanrights http://www.humanrights.ch/de/
Interpol http://www.interpol.int/