Die Königsdiszplin

Der Hamburger Diplomvolkswirt Olaf Hinz coacht und trainiert neben Führungskräften vor allem Projektleiter. Seine Erfahrungen hat er in einem Buch zusammengefasst. Der Titel «Der Projekt-Kapitän» ist nicht zufällig gewählt. Projekte müssen oft durch Stürme gesteuert werden. Im MQ-Gespräch erläutert Olaf Hinz, wie der Kurs zu halten ist.

Die Königsdiszplin

 

 

 

 

 

 

Herr Hinz, öffentliche Grossprojekte wie der neue Berliner Flughafen bergen einfach eine «Logik des Misslingens». Was meinen Sie damit?

Bei öffentlichen Grossprojekten wird immer noch eins erwartet: dass der Kosten- und Terminplan genauso eintrifft, wie er zum Zeitpunkt der Ausschreibung abgegeben wurde. Die Logik der öffentlichen Ausschreibungsverfahren stammt aus dem letzten Jahrhundert, also aus einer Zeit, in der man überwiegend berechenbare, technisch standardisierte Projekte mit Haushaltsmitteln vergab – kameralistische Planwirtschaft eben.

 

Und mit dieser «Planwirtschaft» kommt man heute auf keinen grünen Zweig mehr?

In einer Zeit, in der die Komplexität zunimmt, braucht es keine planwirtschaftlichen Prozesse der Bürokratie. Denn es ist eine Binsenweisheit, gerade bei Vorhaben der öffentlichen Hand herrscht ein kongeniales «mismatch», wenn Ausschreibungsrecht, politisch motivierte Billigpreise und das geschickte «Nachtragsmanagement» der ausführenden Firmen zusammentreffen. Da ergänzt sich das Verhalten von Auftraggeber und Auftragnehmer wunderbar in eine Richtung: Es dauert länger und wird teurer, als am Anfang veröffentlicht. Weil die notwendigen Puffer für Ungewissheit eben nicht sein durften!

 

Welche Alternativen gibt es für ein effektives öffentliches Projektmanagement?

Solange Projektmanager nicht begreifen, dass Pläne nur ein Lineal sind, an dem die Realität gemessen werden kann, und zweitens glauben, dass zentrale Projektdaten objektiv berechnet werden können, wird die Planwirtschaft ihre bekannten, mässigen Ergebnisse erzeugen. Ich fordere eine gänzlich neue Haltung: Realistische Puffer, die echte Möglichkeit eines Projektabbruchs und ein Vergaberecht, das kontinuierliche Nachverhandlungen parallel zum Projektfortschritt möglich macht, wären Eckpunkte dieser modernen Version öffentlichen Projektmanagements.

 

«Führung unter Unsicherheit» gehört zum Anforderungsprofil eines Projektmanagers, sagen Sie. Dazu muss er heute Softwaretools und Methoden beherrschen …

Den Eindruck könnte man bekommen, wenn man sich ansieht, was sich so alles unter dem Begriff Projektmanagement tummelt. Da ist viel Etikettenschwindel am Werk: kühne Versprechungen, zertifizierte Standards und jede Menge Tools und Methoden. Klar ist: Jeder Projekt-Kapitän, der Erfolg haben will, muss die methodischen Grundlagen kennen und beherrschen. Ein gefüllter Werkzeugkoffer ist die notwendige Bedingung guten Projektmanagements.

 

Und wo setzt da Ihre Kritik an?

Bei einer blauäugigen und mechanistischen Anwendung. Nur wer auch den Schritt hin zur wirklichen Führung und nicht nur zur Verwaltung von Projekten macht, erfüllt auch die hinreichende Bedingung, um ein erfolgreicher Projektlenker zu sein. Das Beherrschen von Instrumenten und Werkzeugen muss durch die innere Haltung eines Projekt-Kapitäns ergänzt werden – durch einen wirksamen Umgang mit Konflikten, Demotivation, Planänderungen und Teamdynamik. Es geht um die Faktoren, die wirksames Führen und effektives Entscheiden unter Ungewissheit ermöglichen.

 

Der Titel Ihres Buches lautet «Der Projekt-Kapitän». Und was kann ein Projektleiter von einem Kapitän auf hoher See lernen?

Erfolgreiche Projektmanager gehen mit seemännischer Gelassenheit hinaus in die Organisation. Wach und kooperationsbereit bilden sie Koalitionen, jonglieren mit unterschiedlichen Interessen und kümmern sich um den Fortgang des Projektes. Als Mann auf der Brücke profitiert ein Projekt-Kapitän von seinem Erfahrungs- und Methodenschatz. Er weiss, dass er aufkommende Probleme aus der Situation selbst herauslösen wird und nicht vorab regeln kann; daher redet ein erfahrener Seebär seiner Mannschaft niemals einen aufziehenden Sturm schön, beordert aber auch nicht gleich alle Mann an Deck und verteilt vorsorglich Schwimmwesten. Vielmehr rechnet er mit schlechtem wie gutem Wetter und hat die Lage und Funktionsfähigkeit der Schwimmwesten bereits vorab überprüft.

 

Der Begriff «seemännische Gelassenheit » beschreibt also eine besondere innere Haltung?

Genau, es gilt anzuerkennen, dass Dinge anders laufen können als geplant und dass die Wirklichkeit nicht linear, sondern höchst komplex ist. Es geht um den Abschied vom «Wenn-dann»-Denken. Die alten Kategorien «richtig» und «falsch» werden ersetzt durch «angemessen » und «unnütz». Das bedeutet für einen Projektleiter, immer in Alternativen zu denken und Pläne als einen möglichen Verlaufspfad zu begreifen, der jederzeit angepasst und verändert werden kann – und dies auch gegenüber den Projektmitarbeitern zu vertreten!

 

Das klingt, als könne man ein Projekt einfach laufen lassen …

Im Gegenteil, ein seemännisch gelassener Projekt-Kapitän handelt hellwach, konzentriert, gut vorbereitet und unter Einsatz all seines Erfahrungs- und Methodenwissens über Projektmanagement – aber stets als Mensch und nicht als Funktionär irgendeiner Managementschule.

 

Inwiefern als «Mensch»?

Wer mit seinem professionellen Menschenverstand Projektüberraschungen von vornherein einbezieht, statt zu versuchen, sie durch Methoden wegzukalkulieren, nimmt ihnen jeglichen Schrecken und stellt sicher, dass die Projektabläufe weiterhin nützlich sind. Genau das ist es letztlich, wofür der Projektleiter bezahlt wird. Denn Pläne abarbeiten könnte auch eine Maschine!

 

In jedem Projekt muss die Kommunikation stimmen. Endlose Teambesprechungen werden aber eher als Zeitverschwendung angesehen. Was muss sich da ändern?

Leider sind unproduktive Teambesprechungen eher Alltag denn Ausnahme. Nach der zweiten oder dritten Sitzung nehmen die kurzfristigen Absagen zu, die tagende Gruppe wird immer kleiner – bis am Ende die Besprechungen mangels Masse ausfallen. Parallel dazu schwillt die Flut der E-Mails an, die sich die Teammitglieder untereinander versenden. Eine zehn Mal weitergeleitete E-Mail wird zur Regel.

 

Einem Projektleiter, der Wert auf effektive Teambesprechungen legt, empfehle ich die folgenden sechs Regeln:

 

1. Jede Sitzung gehört vorbereitet.

 

2. Der Besprechungsverlauf wird im Vorfeld festgelegt und bekannt gemacht.

 

3. Es wird nur eingeladen, wer beteiligt werden muss.

 

4. Es wird nichts ohne die Betroffenen entschieden.

 

5. Den Tagesordnungspunkt «Sonstiges» gibt es nicht.

 

6. Es gibt nur Ergebnisprotokolle.

 

Und welche dieser Regeln ist besonders wichtig?

Nehmen Sie Punkt 3: Idealerweise organisieren Sie die Besprechung so, dass die einzelnen Teammitglieder zu den Tagesordnungspunkten, die sie betreffen, kommen und anschliessend gleich wieder gehen können. Natürlich gibt es auch Punkte, die das gesamte Team angehen. Wenn etwa allgemeine strategische Fragen besprochen werden, sollte jeder eingebunden sein – ebenso bei Meilensteinen, an denen fast immer Entscheidungen getroffen werden, die sich auf alle Beteiligten auswirken.

 

Besteht da nicht die Gefahr, dass sich Teammitglieder ausgeschlossen fühlen?

Sie können auch die Teammitglieder selbst entscheiden lassen, an welchen Tagesordnungspunkten sie teilnehmen wollen. Es geht ja allein um den effektiven Umgang mit der knappen Ressource Zeit. Wenn Sie Ihren Teammitgliedern diesen Zusammenhang klar vermitteln, findet die Regel schnell Akzeptanz und Sie werden als effektiver Manager wahrgenommen.

 

«Alle Mann an Bord» – auf dem Schiff und im Projekt wird jeder gebraucht. Was kann der Projektleiter tun, damit niemand, auf den es ankommt, einfach «von Bord geht»?

Für den Projektleiter in seiner Rolle als nicht-hierarchische Führungskraft ist vor allem eines Erfolg versprechend: die intrinsische Mitarbeitermotivation. Hier geht es nicht darum, das Projektteam von aussen zu beeinflussen, sondern die bereits «mitgebrachte» Grundmotivation der Mitarbeiter zu nutzen. Dieses Erfolgsmuster basiert auf der Einsicht, dass Menschen bereits aus sich selbst heraus für eine bestimmte Handlung motiviert sind. Anders ausgedrückt: Menschen sind motiviert, sie müssen nicht erst dazu gebracht werden!

 

Es gilt also die Menschen so, wie sie sind, anzuerkennen?

Die Wirkung intrinsischer Motivation auf die Leistung ist nicht nur deutlicher, sondern auch stabiler und anhaltender. Für den Projektleiter, der diese Chance nutzen möchte, hat das vor allem eine Konsequenz: Er muss herausfinden, worin die intrinsische Motivation eines Mitarbeiters liegt, und ihm dann die dazu passende Aufgabe übertragen. Das Erleben von Sinn ist ein starker intrinsischer Motivator für einen Projektmitarbeiter – so lautet mein Fazit. Hier kommt es vor allem auf zwei Aspekte an: Sinn kann nicht von anderen vorgegeben oder gar verordnet werden und sinnvolles Handeln entsteht aus dem individuellen Bestreben, bestimmte persönlich wichtige Werte zu verwirklichen.

 

Und wie kann vermieden werden, dass er das falsche Aufgabenpaket erhält?

Damit kein Missverständnis entsteht: Bei sinnorientierter Motivation geht es nicht darum, dass ein Mitarbeiter sich die Aufgaben aussucht, die ihm Spass machen – vielmehr kommt es darauf an, dass er die ihm übertragene Aufgabe als sinnvoll erlebt. Es gibt genug Tätigkeiten, die zwar ungeliebt, aber dennoch notwendig sind, um das Ziel zu erreichen. Beispiele hierfür sind die technische Dokumentation oder der Projektabschlussbericht.

 

Was heisst das für den Projektleiter?

Vor allem eines: Schieben Sie nicht Dienst nach Plan, sondern etablieren Sie eine Koalition der Willigen.

 

Denn Motivation entsteht durch Sinn und Zusammenhang – und nicht durch taggenaue Terminpläne. Führen Sie mit jedem Teammitglied regelmässige Dialoge, statt nur die Punkte auf dem Bogen «Mitarbeitergespräch» abzuhaken, stellen Sie dabei viele Fragen und hören Sie gut zu. Auf diese Weise werden Sie die individuellen Motivatoren und Demotivatoren des Mitarbeiters aufspüren und können feststellen, welches Rädchen im Gesamtgetriebe für ihn das richtige ist.

 

Offene Kommunikation ist demnach entscheidend?

Ja, wenn Sie das Team zur Teamsitzung zusammenrufen, geht es im Wesentlichen darum, ihnen Sinn und Zusammenhang aufzuzeigen: Welche Bedeutung hat die (neue) Aufgabe? Und welche Rolle spielen die einzelnen Teammitglieder darin? Jeder soll erkennen, welches Rädchen er dreht – und wie sein Rädchen mit allen anderen zusammenspielt, damit das Ganze einen Sinn ergibt. Die Mannschaft ist an Bord, wenn jeder seine Funktion und die Zusammenhänge kennt.

 

In jedem Projekt ist die interne Teamentwicklung das A und O erfolgreichen Arbeitens. Worauf muss dabei der Projektleiter besonders achten?

Sein Projektteam gut zu führen, bedeutet vor allem: eine gute, seemännisch gelassene Einstellung zum Thema Gruppendynamik. Denn diese ist wie das Wetter – immer da. Also müssen Sie sich mit ihr arrangieren oder, besser noch, sie sogar für das Projektziel nutzen. Machen Sie sich klar, dass Sie es mit drei Kerndynamiken zu tun haben: Projekte irritieren die Organisation, Projektarbeit ist Netzwerken und alle Projektbeteiligten haben ständig mit Unsicherheit umzugehen. Als Projektleiter sollten Sie diese drei Phänomene akzeptieren, gelassen mit ihnen umgehen – und die daraus resultierende Dynamik nutzen, statt gegen sie anzukämpfen.

 

Und wie kann er diese «Dynamik» nutzen?

Um mit der Gruppendynamik umzugehen und das Projektschiff erfolgreich auch durch schwierige Gewässer zu steuern, ist es nützlich, auf unterschiedliche Typen und Teamrollen zu achten. Erst deren gutes Zusammenspiel ermöglicht eine gemeinsame Teamleistung, die mehr als die Summe der Ergebnisse der Einzelpersonen ist – und damit den Projekterfolg möglich macht.

 

Aber muss nicht jedes Team mit Konflikten leben?

Bei Konflikten und Reibungsverlusten ist es wichtig, sich nicht nur zusammenzuraufen, sondern Widersprüchlichkeiten gezielt zu nutzen. Wirksame Projektteams arbeiten an ihrer Ambiguitätstoleranz, indem sie Unterschiede in ihren Arbeitsprozess bewusst einführen. So schützen sie sich vor einfachen Wahrheiten, aalglatten Problemlösungen und vorschnellem Konsens. Eine hohe Ambiguitätstoleranz macht den Blick weit und frei für noch nicht entdeckte Alternativen und bisher als unmöglich abgetane Lösungsideen. So können verschiedene Interessen entdeckt und im Projektprozess genutzt werden.

 

Widerstände müssen also nicht negativ sein?

Es ist ganz normal, wenn sich im Laufe des Zusammenraufens des Projektteams Reibungen zeigen. Misstrauisch sollten Sie vielmehr sein, wenn es auf Ihrem Weg von der Projektidee bis hin zur Realisierung keine Widerstände gibt. Nicht das Auftreten von Widerständen, sondern deren Ausbleiben ist Anlass zur Beunruhigung – denn Widerstand zeigt, dass es um etwas Wesentliches geht, das im Unternehmen auf Interesse stösst. Fehlen die Widerstände, müssen Sie befürchten, dass Ihr Projekt unwichtig ist – oder dass von vornherein niemand an dessen Realisierung glaubt.

 

Projekte laufen meist anders als geplant. Wie sollte ein Projektleiter mit dem «Unerwarteten» umgehen?

Wirksames Handeln unter Unsicherheit gelingt denjenigen Projektkapitänen besser, die ständig mit einer wachen Selbstbeobachtung arbeiten, um individuelle Muster zu erkennen. Auf ungeplante Ereignisse reagieren, für jede neue Situation eine passende Lösung erarbeiten – das verlangt geistige Beweglichkeit. Wirksame Führungskräfte hinterfragen daher ihre Handlungsmuster in regelmässigen Abständen. Zum Beispiel: Welche Verhaltensmuster rufe ich immer wieder in Situationen ab, in denen ich es mit Unerwartetem zu tun habe? Welche Schritte unternehme ich, wenn ich eine Situation teilweise oder gar nicht einschätzen kann? Oder welche Ereignisse ordne ich immer in eine bestimmte Schublade ein? Trotz Unerwartetem zu führen, ist keine Frage des Wissens, sondern eine Frage der Haltung und des Könnens. Und das kann praktisch geübt und trainiert werden.

 

Herr Hinz, wie erklären Sie sich das Festhalten an starren Plänen und Denkmustern, auch wenn sich ein Projekt am Randes des Chaos bewegt?

Das liegt sicher in den Heilsversprechen der Projektmanagement- Methodik: Es werden Aktivitäten und Arbeitsschritte in die Software eingegeben, es werden Meilensteine bestimmt und Termine zugeordnet. Heraus kommt am Ende ein Gesamt-Terminplan, mit dem sich mühelos die Wände des Büros tapezieren lassen. Wenn diese Pläne dann erst einmal hängen und gelten, schaffen sie Stabilität und den Eindruck eines steuerbaren Prozesses. Der Faszination des traditionellen mechanistischen Verständnisses kann man sich dann nur schwer entziehen.

 

Weil es einem die nötige Sicherheit gibt?

Im Projektmanagement ist dieses Denkmodell weit verbreitet. Zum Ausdruck kommt es in Vorgehensmethoden und Werkzeugen, die nach dem Wenn-dann-Prinzip aufgebaut sind. Ein Projektleiter, der in linearen Kategorien denkt, identifiziert Probleme und Handlungsfelder und wendet dann ein geeignetes und in der Vergangenheit bewährtes Tool an. Dann folgt er dem vorgegebenen Vorgehenspfad und geht davon aus, dass am Ende aus dieser «Maschine» das prognostizierte Ergebnis herauskommt.

 

Was ja zum Trugschluss führt, man habe alles im Griff …

Die Schwierigkeiten fangen an, wenn die erwarteten Ergebnisse ausbleiben. Damit ist durchaus zu rechnen, weil die Wenn-dann-Beziehungen in der Realität keineswegs immer so anzutreffen sind, wie sie angenommen wurden. Projektleiter und Projektteam sehen sich dann mit unerwarteten Situationen konfrontiert, die sie mit den linearen Denkmustern weder erklären noch managen können. Unsicherheit und operative Hektik sind oft die Folge, weil die Projektbeteiligten nicht wissen, wie sie richtig reagieren sollen. Das ist das Problem des mechanistischen Verständnisses, in dem Menschen, ihre Interessen und Unerwartetes kaum Platz haben. Dass Projekte von Menschen in Organisationen betrieben werden, also Verhalten, Haltungen und Gruppendynamik auch zum Erfüllen der Projektanforderungen gehören wird leider fast ausgeblendet.

 

Projekte sind im Unternehmen mit anderen Projekten vernetzt, also in einem komplexen Umfeld. Wie gelingt es dem Projektleiter, in dieser Situation die «richtigen» Entscheidungen zu treffen?

Ganz einfach (lacht): indem er sich der Richtig-falsch-Anforderung gar nicht mehr unterwirft! Denn Führen heisst, das Unentscheidbare zu entscheiden. So lautet die scheinbare Paradoxie, die wir Heinz von Förster verdanken. Denn das Entscheidbare ist ja schon entschieden, bereits in Form von Stellenbeschreibungen, «messerscharfen » Schnittstellenpapieren, Anweisungen, Spielregeln und Vereinbarungen geregelt. Daher wendet sich ein Projektleiter, der effektiv sein will, den Fragestellungen zu, die nicht bereits einer Regel unterliegen, er wendet sich den unentscheidbaren Entscheidungen zu. Ihr Auftreten macht deutlich, dass eine Komplexitätsgrenze überschritten wird, ab der Verhalten und Fortgang eines Projektes nicht mehr genau berechnet und geplant, sondern nur noch prognostiziert und situativ gesteuert werden können.

 

Sie sprechen beim Projektmanagement gerne «von der Königsdisziplin der Führung». Welche besonderen Anforderungen meinen Sie damit?

Projekte erfolgreich zu führen, ist vor allem: Management am Rande des Chaos! Es liegt im Wesen eines Projekts, dass sich Ziele im Ablauf ändern, dass Mitglieder das Team wechseln, Termine umgeworfen werden oder der Markt neue Anforderungen stellt. Unvorhersehbarkeit zählt zu den Kerneigenschaften eines Projekts.

 

Selbstverständlich sollte ein erfolgreicher Projektleiter das grundlegende Handwerk beherrschen und in der Lage sein, den Projektprozesses durch die üblichen Vorgehensmethoden und Tools zu planen, zu dokumentieren und zu visualisieren. Darüber hinaus kommt es aber bei Führung, Kommunikation und Inszenierung des Projektes noch auf etwas anderes an: auf eine Haltung, die der projektimmanenten Unsicherheit wach, konzentriert und – wie schon erwähnt – mit seemännischer Gelassenheit begegnet.

 

Was zeichnet wirksame Projekt- Kapitäne noch aus?

Sie können offene Fragen stellen und aktiv zuhören, sie beherrschen das Prozessmanagement, die Steuerung von Gruppendynamik und die laterale Führung von temporären Teams. Dabei unterscheidet sich der erfolgreiche Projekt- Kapitän vor allem in zwei Punkten von seinem Kollegen, der allein auf die Kraft der Tools und Methode setzt: Er arbeitet mit Beschreibungen, anstatt von einer «objektiven Wahrheit» auszugehen. Und er denkt in Alternativen, anstatt nach eindeutigen Lösungen zu suchen. Mit diesen Anforderungsebenen souverän umzugehen, ist die grosse Herausforderung. Genau das ist der Grund, warum ich bei der Führung von Projekten gerne von der Königsdisziplin der Führung spreche.

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