Die Benchmark-Falle
Benchmarking. So heisst eine bevorzugte Methode der Unternehmen bei der Entscheidungsvorbereitung und Ideenfindung. Übersetzt heisst dies: von anderen «abschreiben» und «abkupfern». Wer das tut, landet automatisch im Mittelmass und wird niemals spitze.
Eric, ein zehnjähriger angehender Topmanager, wird in der Schule beim Abschreiben in der Deutsch-Arbeit erwischt. Entschuldigt er sich? Nein, denn: «Das war kein Abschreiben», posaunt er heraus, «vielmehr ein heftübergreifendes Benchmarking, um die Wettbewerbsfähigkeit meines Deutsch-Aufsatzes zu erhöhen.» Und ist es ihm peinlich? Nein! Denn die Manager in den Unternehmen machen es genauso, wie Eric von seinem Vater
Kunst des Abschreibens
weiss. Nur dass das Abschreiben in der Welt des grossen Managements «Benchmarking» heisst. Ganze Heerscharen von Managern haben in Business-Schulen rund um die Welt die Kunst des Abschreibens gelernt. Wozu selbst Ideen entwickeln? Es gibt ja Benchmarking. Was in der Theorie gut klingt, hat in der Praxis fatale Auswirkungen: Ganze Branchen stecken heute in der Benchmarking-Falle. Jeder schaut auf die vermeintlich Besten und kopiert sie. Ein Unternehmen wagt sich mit etwas Neuem hervor, der Rest schaut, ob es funktioniert. Und kopiert es, wenn ja, hemmungslos. Die Folge: Alle reden von Innovationen, heraus kommen aber Produkte, die sich beinahe wie ein Ei dem anderen gleichen.
Benchmarking führt zu Einheitsbrei
Nach Beispielen brauchen Sie nicht lange suchen. Schalten Sie einfach Ihr Radio ein. Egal, welchen privaten Sender Sie hören, ständig werden Ihnen die «Superhits der 80er und 90er und das Beste von heute» angepriesen. Und ein Grossteil der Radiomoderatoren klingt wie Losbudenverkäufer: «Jetzt anrufen und das geheimnisvolle Geräusch erraten. Für nur 49 Cent pro Anruf.» Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Sie, egal wo, das annähernd gleiche Programm hören? Weil alle Sender Benchmarking betreiben und auf die gleichen Erfolgsrezepte setzen.
Oder gehen Sie in den Supermarkt. Waschmittel Nummer 1 verspricht Ihnen die sauberste Sauberkeit, Waschmittel Nummer 2 das weisseste Weiss und Waschmittel Nummer 3 die farbigsten Farben. Auch die Branche der Nassrasierer verlegt sich eher aufs KlingenBenchmarking denn auf Kreativität: Kaum brachte der erste Hersteller einen Rasierer mit zwei Klingen auf den Markt, folgte der nächste mit drei und wieder ein anderer mit vier.
Dasselbe Phänomen in der Automobilbranche. Machen Sie einmal folgenden Selbstversuch: Nehmen Sie einen Toyota Avensis, kleben Sie ein Opel-Schild drauf und fahren Sie durch die Stadt. Wie lange dauert es, bis jemandem auffällt, dass Sie keinen Opel fahren? Wahrscheinlich ewig.
Machen Sie den Test: Benchmark-Falle
«Opel baut tolle Autos.» Diesen Satz konnten Sie in den letzten Monaten immer wieder hören. Das stimmt auch. Genauso tolle Autos wie die Konkurrenz. Aber versuchen Sie ein Modell zu nennen, das aus der Masse heraussticht.
- Der Corsa: Ist das nicht der Polo von Opel?
- Der Insignia: so ein Zwitter aus Audi und BMW.
- Der Meriva: so wie der Espace, nur kleiner.
Natürlich wird Ihnen der Fachmann sagen, dass die Designlinien beim Opel geschwungener sind. Und eingefleischte Opel-Fans werden beim Lesen dieser Zeilen fluchen. Aber Hand aufs Herz: Die
Einzigartigkeit ist schwer kopierbar
Modelle von Opel sind so einzigartig wie eine Eisscholle in der Antarktis. Konsequent Platz drei bis vier in jeder Kategorie. Das war mal anders: Der Manta und der Kapitän waren einzigartig. Doch dann kamen die Benchmarker.
Sitzt Ihr Unternehmen in der Opel-Falle? Haben Sie so viel Benchmarking betrieben, dass Ihnen die Kreativität und Originalität abhanden ging? Machen Sie den Test. Wenn Sie von den folgenden drei Aussagen zwei zustimmen, könnte Ihr Unternehmen tief in der Falle sitzen:
- Wir schauen auf die Konkurrenz und reagieren auf das, was dort passiert.
- Wenn man die Feinheiten beiseite lässt, unterscheiden wir uns kaum von unseren Mitbewerbern.
- Unsere Produkte werden häufig wie folgt beschrieben: «So wie das Produkt von…,nur kleiner/grössser/billiger/schneller.»
Sie können diese drei «Fragen» auf verschiedene Teile Ihres Unternehmens anwenden. Und: Eine Firma kann zugleich Original und Kopie sein. So wie das ZDF. Hätten Sie gedacht, dass man Jugendliche mit Dokumentationen vor den Fernseher locken kann? Das ZDF hat es geschafft. Mit History, einer Sendereihe, die einmalig ist. Ein echtes Original! Zugleich sitzt der Sender aber in der BenchmarkFalle. Die Sendung «Ich kann Kanzler» war einer der ganz grossen Flops des Jahres 2009. Ach, Sie kennen «Ich kann Kanzler» nicht? Das war ein Abklatsch der Castingshow «Deutschland sucht den Superstar» mit langweiligen Möchtegern-Nachwuchspolitikern.
Raus aus der Falle – mit Thomas Edison
Was machte ein Erfinder wie Thomas Edison, der Unternehmen wie General Electrics gründete, anders als das Management vieler Unternehmen? Die Glühbirne, der Phonograph (Vorgänger des Grammofons) und die Filmkamera – all diese Erfindungen von ihm waren Pionierleistungen. Sie waren das Gegenteil von Benchmarking. Edison verstand es, seine Kreativität zu strukturieren, zu lenken und zu leiten. Er verknüpfte Ideenfindung und strategisches Denken miteinander. Was würde Thomas Edison Ihnen als Unternehmensführer heute raten?
1. Verhängen Sie ein Kopierverbot
Von Benchmarking-Fetischisten hört man oft Sätze wie: «Selbst Thomas Edison hat von anderen geklaut.» Das stimmt! Einer der berühmtesten Sätze des Glühbirnenerfinders war: «Die Idee muss nicht neu sein. Sie muss nur neu in Bezug auf das zu lösende
Vorbild: Thomas Edison
Problem sein.» Edison war dafür bekannt, fremde Lösungen aufzusaugen. Er selbst sagte von sich: «eher ein Schwamm als ein Erfinder». Doch er kopierte Ideen nicht einfach. Das Konzept der Glühbirne stammte zwar von einem deutschen Auswanderer, Heinrich Göbel. Doch Edison entwickelte daraus ein Gesamtsystem – von der marktreifen Glühbirne über Leitungen bis hin zu Kraftwerken. Erlaubt ist: Ideen von überall aufsaugen und daraus einzigartige neue Ideen entwickeln. Verboten ist: Ideen mit marginalen Änderungen blind kopieren.
2. Etablieren Sie eine strategische Ideenentwicklung
Wie erfindet man Micky Maus? Walt Disney würde antworten: mit Fantasie und visionärem Denken, mit Mut zum Ungewöhnlichen und Pioniergeist. Und ein Manager? Durch einen exakt definierten Innovationsprozess, in dem die Ergebnisse der Trend- und Marktforschung systematisch zusammengefasst und Entscheidungskriterien klar definiert werden.
Manager haben es gelernt, in Prozessen zu denken. In vielen (Gross-)Unternehmen kaschieren heute ausgefeilte Prozesse einen Mangel an Ideen. Und in ihrem Management herrscht vielfach das Credo: Gute Ideen sind Zufall. Dabei bewies Thomas Edison schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts, dass man neue (Problemlösungs- und Produkt-) Ideen systematisch entwickeln kann. Das Edison-Prinzip, seine sechs Schritte der Ideenentwicklung, war die Grundlage seiner Ideenfabrik, die er in den USA errichtet hat.
3. Fördern Sie Fehler und Risiken
Lange und gründlich analysieren, einmal probieren und dann aufgeben. So lässt sich, kurz gesagt, die Innovationsstrategie vieler Unternehmen zusammenfassen. Fehler vermeiden um jeden Preis! Dass das nicht funktioniert, war Edison klar. Er erhob den Fehler zum Prinzip: durch Scheitern zum Erfolg. Er unternahm knapp 9000 Versuche, bis die Glühbirne marktreif war. Und als nach dem tausendsten Versuch ein Mitarbeiter sagte «Wir sind gescheitert», erwiderte Edison: «Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1000 Wege, wie man keine Glühbirne baut.»
Erinnern Sie sich an Eric, den angehenden Topmanager? Hätte er bereits eine Business-Schule besucht, würde er nicht einfach abschreiben. Das Risiko, Fehler abzuschreiben, wäre ihm zu gross. Er würde stattdessen die vielfach propagierte «Fast Follower»-Strategie einschlagen: Ich schaue erst mal, welche Zensuren die Carlotta und die Pia haben, und dann entscheide ich, von wem ich abschreibe. An vielen BusinessSchulen wird Managern das Gegenteil vom Edison-Prinzip gelehrt: Null Risiko, erst mal sehen, was woanders funktioniert, und dann machen wir es.
Das kann nicht funktionieren. Denn Fehler sind für das Lernen unerlässlich. Edison bezeichnete das Wissen, das er aus Fehlern zog, einmal als «das absolute Wissen». Gehen Sie also kalkulierte Risiken ein. Schaffen Sie Freiräume des Scheiterns. Erlauben Sie es sich (und Ihren Mitarbeitern), Schritte vor und zurückzugehen
Freiräume fürs Scheitern
Und haben Sie keine Angst davor, in einer Sackgasse zu landen! Sie kommen wieder raus, keine Sorge.
Und was wäre die Alternative? «Benchmarken» oder «Abschreiben.» Mit den überall sichtbaren Konsequenzen: verwechselbaren Produkten, nahezu identischen Prozessen sowie Strategien oder kurz Mittelmass. Mittelmass war noch nie spitze