Der Qualität von morgen die Hauptbühne verliehen

Am 12. Mai 2022 fand in Bern der traditionelle Tag der Schweizer Qualität statt – erstmals seit zwei Jahren wieder im ursprünglichen Live-Format. Die Gäste erhielten aufschlussreiche Inputs für die Theorie und vor allem für die Praxis des Qualitätsmanagements – ganz im Zeichen der Themen Agilität und Kreislaufwirtschaft.

Eine angeregte Podiumsdiskussion über New Leadership am Tag der Schweizer Qualität: Moderatorin Andrea Vetsch (Mitte) mit Nadja Perroulaz (links) und Diego Politano. (Bild: Thomas Berner)

Rund 200 Gäste fanden den Weg in den Berner Kursaal, dem Durchführungsort des Traditionsanlasses der SAQ. Um nichts mehr als um die «Qualität von morgen» ging es an diesem Tag. Entsprechend verlieh der erste Referent Dr. Martin Menrath, Dozent für Globales Qualitätsmanagement an der TU Berlin, dem Thema eine Hauptbühne. Sein Referat trug den Titel: Warum muss in Zukunft Qualität mehr als Qualität sein? Er wies darauf hin, dass der Mensch Teil der neuen «Qualität 4.0» werden muss. Anpassung an Veränderungen würden wichtiger als die Befolgung eines Plans. Konkret: Mitarbeitende müssen in alle Prozesse einbezogen werden. Geht es etwa um die Einführung von Agilität, dürften Mitarbeitende nicht überfordert werden, deshalb müssten die Aushandlungsprozesse iterativ erfolgen, so Menrath.

Wie sich agile Organisation und Qualitätsmanagement «vertragen»

Ist Agilität in Verbindung mit Qualität also Wunschdenken? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Referat von Peter Pedross, einem Spezialisten für agile Konzepte, etwa in der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Qualität brauche es weiterhin, auch wenn man bei agilen Konzepten zuweilen einen anderen Eindruck erhalten könnte. «Agile ist da, aber es ist noch nicht in allen Themen angekommen», so Peter Pedross. Er wies auf die neue Rolle des Qualitätsmanagements innerhalb von agilen Prozessen hin: Weg von der reinen Prüfinstanz hin zu einer Serviceorganisation. Denn bei der Entwicklung von neuen Lösungen muss erst das Qualitätsmanagement Antworten liefern. Nicht zuletzt benötigen agile Konzepte mehr Metriken und sogar mehr Planung – allerdings verteilt auf kleinere und kürzere Prozessschritte und insgesamt mit einem jeweils schlankeren QMS.

New Leadership: Auch eine Qualität von morgen

Um New Leadership – ebenfalls ein Faktor, der bei der Frage rund um die Qualität von morgen eine wichtige Rolle zukommt – ging es in der Podiumsdiskussion zwischen Diego Politano (Hasler Rail) und Nadja Perroulaz (Liip). Zwei Kulturen trafen da aufeinander: Auf der einen Seite ein international tätiges Industrieunternehmen, das quasi klassisch geführt wird – allerdings mit einem bemerkenswert hohen Frauenanteil von 50 Prozent im Senior Management. Auf der anderen Seite eine Softwarefirma, die sich ganz der Holacracy verschrieben hat: Keine Chefs mehr, sondern Rollen und eine Kreisstruktur. «Und das funktioniert?» mochte man sich fragen, was Diego Politano auch tat und seine Bedenken äusserte, ob Holacracy auch in herausfordernden Zeiten ein ideales Modell sei. Nadja Perroulaz sprach von guten Erfahrungen, «auch bei Kündigungen, die wir schon aussprechen mussten.» Sie räumte aber ein, dass Liip sich in einer gewissermassen «luxuriösen Branche» bewege. Die angeregt kontradiktorisch geführte und durch Moderatorin Andrea Vetsch kompetent geleitete Diskussion liess den Schluss zu, dass es neue Führungsmodelle braucht und dass diese auch in Industrien funktionieren können, die mit «konservativen» Konzepten bisher erfolgreich operiert haben. «Manager von morgen haben in jedem Fall eine schwierige Aufgabe», waren sich die Diskutierenden einig.

Aktive Mitarbeit der Besucherinnen und Besucher in einem Workshop zum Thema „Qualitätsmanagement in der Kreislaufwirtschaft“. (Bild: Thomas Berner)

Qualitätsmanagement in Kreislaufwirtschaft und Bildung

Der zweite Teil der Tagung widmete sich dem Thema Qualität in der Kreislaufwirtschaft und in der Bildung. In Form von Workshops wurden die Teilnehmenden aktiv einbezogen – ein Format, das auf viel Zuspruch stiess. Denn in allen Workshops herrschte rege Aktivität. So wurde erörtert, welche Rolle das Qualitätsmanagement im Circular Design spielt. Wie entsteht aus einer Idee eine marktfähige Lösung? Und wann entlang der gesamten Value Chain muss man über Qualität sprechen? Eine Antwort: Eigentlich immer. Und auch gezeigt wurde, dass die Circular Economy Chancen für viele neue Geschäftsmodelle bietet. Wer hätte etwa daran gedacht, dass sich aus der Vermietung von Liege-Minuten auf Matratzen ein Business entwickeln kann?

Eine andere Erkenntnis aus dem Workshop zum Thema «Qualität in der Bildung»: Es geht immer mehr um die Vermittlung von Fähigkeiten an Stelle von reinem Wissen. Somit verändern sich die Anforderungen etwa an Personenzertifizierungen. Diese dürfe deshalb nicht statisch bleiben; die 360°-Beurteilung dürfte da inskünftig zum Mittel der Wahl werden.

Yves Bossart vermittelte Lösungswege der Philosophie für den Umgang mit Veränderungen. (Bild: Thomas Berner)

Etwas Philosophie zum Schluss

Den philosophischen Schlusspunkt setze Yves Bossarts Vortrag. Er drehte sich um die Frage, wie der Mensch mit Veränderungen umgehen soll. «Veränderung war gestern, heute gilt Beschleunigung», hielt Bossart gleich zu Beginn fest. Statt Zeit zu sparen führen neue Technologien dazu, dass man in immer kürzeren Zyklen lebt: Beziehungen werden kürzer, auch die Dauer von Arbeitsverhältnissen. «Alles fliesst», so Bossart mit Verweis auf den antiken Philosophen Heraklit, der diesen Satz geprägt hat. Das Leben sei zwar ein Wunder, aber auch «eine Zumutung» mit immer neuen Herausforderungen, so Bossart weiter. Er empfahl als Haltung dagegen die stoische Gelassenheit: Zufrieden mit dem zu sein, was gerade ist. Ebenfalls helfe eine gute Prise Humor, um mit Veränderungen umzugehen. Bei aller Unsicherheit, die die Zukunft bringe, könne die Philosophie helfen, etwa mit Sokrates: «Ich weiss, dass ich nichts weiss», denn Unwissen ist der Normalzustand der Menschen. Nicht zuletzt sei der Mensch aber gleichwohl sehr veränderungsfähig, wie auch die Corona-Pandemie gezeigt habe. «Plötzlich muss man sich wieder daran gewöhnen, im ÖV keine Maske mehr zu tragen», so Bossart. Und wenn mal gar nichts mehr geht, empfiehlt Bossart etwas Seneca: Sich selbst ein Freund sein. Damit liess sich durchaus wieder der Bogen zurück zum Tagungsthema schlagen: «Qualität von morgen» beinhaltet auch viel Pflege der persönlichen Lebensqualität…

Weitere Informationen: www.saq.ch

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