Der IT-User
Hannes ärgert sich. Er sitzt in seinem Büro am PC und muss die Aufgabe zur Vorbereitung der nächsten Sitzung in einem Word-Dokument aufsetzen, formatieren und möglichst vor Beginn des Meetings morgen früh um acht seinen Kollegen in der Geschäftsleitung zuschicken. Die Zeit drängt.
Er schreibt und schreibt, hastig hämmern die Finger auf die Tasten. Die Tastatur hat enorme Nehmerqualitäten. Andere hingegen fehlen ihr, etwa die Reaktionsgeschwindigkeit. Nach jedem Tastendruck dauert es rund zwei bis fünf Sekunden, bis der Buchstabe auf dem Bildschirm erscheint. Verzögerungstendenz zunehmend. Zwischendurch plumpsen ganze Sätze in einem Aufwisch auf den Bildschirm – mitsamt den erst nun ersichtlichen Fehlern. Hannes knallt seinen rechten Zeigefinger rhythmisch und mit vehementem Druck auf «Löschen rückwärts» bis zur Korrekturstelle. Wobei auch dieses «Löschen rückwärts» sich um einige Sekunden homöopathischer gestaltet, als beabsichtigt. Mit erhöhter Nervenanspannung greift Hannes zum Telefonhörer und kontaktiert die firmeninterne IT-Hotline. «Zurzeit sind alle Techniker besetzt. Wir bitten Sie um Geduld für die kurze Wartezeit. Für eine Frage betreffend Büroautomatisation wählen Sie die Taste 1, für SAP Taste 2, für Hardware und Standortfragen Taste 3, für Drucker- und Scanner- Probleme Taste 4» und so weiter. Taste 8 verspricht den Rückruf des persönlichen Beraters, der sich ungefähr eine Stunde später meldet.
Als Manager ist Hannes gewohnt, Entscheide zu treffen und zu handeln.
Hannes, immer noch angespannt und mit manuellen Arbeiten abgelenkt, erklärt dem IT-Berater sein Problem. Dessen süffisantes Lächeln ist sogar telefonisch wahrzunehmen und bringt Hannes noch mehr auf die Palme. «Wir haben vor drei Tagen angekündigt, dass es heute einen Release des Office-Systems gibt. Es dauert noch bis fünf Uhr nachmittags. In dieser Zeit können die PC-Systeme nicht vollumfänglich benutzt werden. Aber morgen funktioniert alles wieder.» Hannes ist wenig begeistert: «Davon höre ich nun zum ersten Mal». Der IT-Head-for-Specialist-Support- Dispatch-Manager meint patzig: «Stand im E-Mail vom Dienstag». Im Wissen, dass die IT immer am längeren Hebel sitzt und die IT-Berater die wahren Manager sind, gibt Hannes auf.
Trotzdem sucht er verstohlen nach der entsprechenden E-Mail- Nachricht. Leicht beschämt findet er sie: ungelesen, eingetroffen am Dienstag um 09.01 Uhr. Er gibt sich geschlagen und meldet sich ab auf Kundenbesuch. Im Büro läuft ohne IT sowieso nichts.
Kurz nach fünf kommt er deutlich besser gelaunt zurück. Nun sollte die IT funktionieren. Meint er. Er startet den PC. «Das System steht zurzeit nicht zur Verfügung», lautet die lapidare Botschaft. Dazu noch etwas kleiner im gleichen Fenster: «Bitte kontaktieren Sie Ihren Systemmanager».
Hannes lässt sich das nicht zweimal sagen. Mit frischer Energie und ebensolchem Ärger greift er zum Telefon. «Herzlich willkommen beim IT-Service. Wir bedanken uns für Ihren Anruf. Die Supporthotline ist von 08.00 – 17.00 Uhr für Ihre Anliegen für Sie da. Für Anrufe ausserhalb dieser Zeiten hinterlassen Sie eine Mitteilung oder senden Sie uns eine E-Mail-Nachricht». «Genau! Eine E-Mail-Nachricht senden, wenn das System ausser Betrieb ist.» Hannes spricht nur dann mit sich selbst, wenn seine Nerven blankliegen. Wie jetzt. Als Manager ist Hannes gewohnt, Entscheide zu treffen und zu handeln. Er nimmt sein Smartphone zur Hand und sucht in Software-User-Blogs nach Lösungen, wie man ein firmeninternes Office-System neu aufsetzt. «Die werden mich noch kennenlernen », entweicht es ihm im Flüsterton, aber nicht ohne Ironie.
«Aha, da ist es», wird Hannes fündig, knackt via einen Link die Schutzsysteme und deinstalliert das Office-Paket. Triumphierend stellt er fest: «Microschrott ist weg
Im Büro läuft ohne IT sowieso nichts.
– selbst ist der Mann – gerade auch ausserhalb der Bürozeiten». Er zieht die neueste Linux- Version herunter und knallt Apache- OpenOffice darauf. Nun kann er sein Dokument verzögerungsfrei schreiben. Es scheint bestens zu funktionieren – einzig der Drucker spuckt jetzt alles in japanischen Schriftzeichen aus.
Das Nervenkostüm von Hannes hängt an einem dünnen Faden. Doch weiter nach Lösungen suchend, wird er seinem Ruf als «hartnäckiger Mann der Tat» gerecht. Er schreibt die Vorbereitungsaufgabe von Hand auf eine DIN-A4-Seite, scannt sie mit 600 dpi ein, speichert das Dokument als komprimierte jpg-Datei ab und druckt es aus. «Sieht doch perfekt aus», lobt er sich selbst, kopiert die Nachricht und legt sie den Kollegen von der Geschäftsleitung ins physische Postfach. Dabei verdrängt er den Gedanken, wie unerfreulich das Gespräch mit dem IT-Head-for-Specialist-Support- Dispatch-Manager wohl sein wird, wenn dieser ihn morgen von sich aus kontaktieren wird. Nun ja, businessisbusiness – wer nicht handelt, hat verloren.