Das Programm «Büroptima»

Hannes hat es kommen sehen. Auch «sein» Un-ternehmen führt Grossraumbüros mitsamt ei-nem neuen Bürokonzept ein. Die «Zweierzel-len» beziehungsweise «Einzelbüros» für Vorge-setzte weichen einer modernen, kommunika-tiven und offenen Bürokultur. Farblich nach Feng-Shui abgestimmt, mit einem Raumde-sign von einer renommierten Büro-Kunst-De-signer-Agentur. Die Beleuchtung wurde von fünf Spezialisten während drei Wochen ausge-tüftelt und mündet in ein veritables Lumina-tions-Kunstwerk. Das Licht soll Wärme aus-strahlen, die Konzentration fördern und mög-lichst unauffällig präsent sein, die Mitarbeiter unbewusst durch die richtigen Gänge lotsen und gleichzeitig den modernsten Energiespar-levels entsprechen.

Das Unternehmen hat sich die neue Bü-rokultur etwas kosten lassen. Das Mobiliar erfüllt selbstverständlich höchste Ansprüche an Energetik und Ergonomie. Dank den far-benfrohen Tischplatten soll Arbeiten nicht nur Spass machen, sondern die Leute gerade-zu physisch am Arbeitsplatz festhalten.

 

Die Geschäftsleitung ist überzeugt, mit dieser zugegebenermassen nicht unbeschei-denen Investition den Schritt in die Zukunft zu machen. Klar, neue Produkte zu entwi-ckeln wäre auch notwendig, die angepasste Distributionslogistik steht schon lange auf der Traktandenliste, aber man kann nicht al-les auf einmal machen.

Die schwierige Umsetzung
An der wöchentlichen Geschäftsleitungssit-zung hat Hannes den Auftrag erhalten, das Büro-Konzept im Detail umzusetzen und die fehlenden Einrichtungsmittel zu beschaffen. Zudem soll er die Pläne für die neue Sitzbele-gung ausarbeiten und das Reglement für die moderne Nutzung zeitgemässer Büroinfra-struktur in verständlicher Form aufsetzen. Hannes macht sich wie gewohnt strukturiert und akribisch an die Arbeit. Nichts soll dem Zufall überlassen werden.

 

«Die Anzahl Belegungsstunden pro Woche ergibt die Quadratmeterzahl des Raumes, der benötigt wird.»

 

Er entwirft einen Schlüssel, mit dem sämtliche Diskussionen wie «Kollege x hat mehr Platz und Tageslicht» im Keim erstickt werden. Transparent wird er orientieren, dass das Jahresbruttogehalt in Franken divi-diert durch den Wert 7000 den Anspruch in Quadratmeter pro Arbeitsplatz ergibt. Das müsste aufgehen, wenn man die jetzigen Ein-zelbüros in sogenannte Begegnungsräume umfunktioniert. Sitzungen sollen ja nach wie vor irgendwo abgehalten werden. Hier gilt die Regelung: Die Anzahl Belegungsstunden pro Woche ergibt die Quadratmeterzahl des Raumes, der benötigt wird. Damit ist die räumliche Aufteilung auf solidem Funda-ment.

Top-Technik in den Begegnungsräumen
Die Begegnungsräume werden selbstver-ständlich nach neusten Erkenntnissen der Meeting-Kultur ausstaffiert. Die Licht- und Animationstechnik in diesen Räumen, die auch für interne Kurse benutzt werden, muss modern sein. Zwar ist dann ohne technische Grundkenntnisse eines mittleren Schulab-schlusses in Elektronik das Licht nicht mehr anzumachen. «Ein-Aus» war gestern – heute gilt «Programm 1-14 mit zusätzlicher Dimm-funktion A-F», bedienbar über den Touch-screen vorne im Raum, der über den Haupt-schalter im hinteren Bereich aktiviert wird.

 

Logischerweise ist dieses Bedienungsboard an die Funktion der Sonnenstoren gekoppelt. Denn es ist völlig ausgeschlossen, dass man die Storen herunterlassen will, ohne gleichzeitig den Beamer einzuschalten. Falls dies doch einmal der Fall sein sollte gibt Hannes den Tipp, den Beamer einzuschalten, auf den darunterstehenden Tisch zu steigen und mit einer Pinnwandkarte die Linse abzudecken. So bleibt der Beamer dunkel, die Rolläden sind unten und das zentrale Infrastruktur- Nervensystem erleidet keinen technischen Absturz. Allenfalls fällt die Beamer- Lampe dem Hitzetod zum Opfer.

Das Teilprojekt «Clean-desk»
Nun kommt Hannes zum heiklen Kapitel. Mit der neuen Einrichtung wird gleichzeitig «Clean-desk» eingeführt. Es dürfen keine per-sönlichen Gegenstände der Mitarbeiter an den Arbeitsplätzen sein und auch keine Büro-Geräte auf dem Tisch, die nicht zwingend be-nötigt werden. Konkret darf nur derjenige ei-nen Locher auf dem Tisch stehen haben, der pro Tag mindestens 30 DIN-A4-Seiten lochen muss und mindestens ein 80 Prozent Pensum mit wiederum mindestens 60 Prozent Büro-Präsenz hat.

 

Hannes sinniert über die nun fehlenden Fotos. Daran ist so schön abzulesen, in wel-cher Lebensphase der einzelne Mitarbeiter steckt. Zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr stehen die Fotos der Freundin oder Ehefrau auf dem Tisch, zwischen dem 30. und 40. die Kinder und zwischen dem 40. und 50. die Aufnahme der neuen Harley-Davidson, be-vor mit 50 dann das Foto mit Sonnenunter-gang Einzug hält.

 

Ja, Hannes bedauert, auf die Fotos ver-zichten zu müssen, zumal er einen wirklich schönen Sonnenuntergang von seiner Frauzum Geburtstag erhalten hat.

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