Das neue Sparprogramm

Hannes’ Befürchtung ist wieder einmal eingetroffen: «Immer ich». Im Grunde mag er solche Aussagen von seinen eigenen Mitarbeitern überhaupt nicht. Aber wenn er sich in dieser Rolle wiederfindet, ist das natürlich etwas anderes. «Immer ich», denkt er, als der Vorsitzende vorschlägt, Hannes damit zu beauftragen, nach weiteren Kosteneinsparungsmöglichkeiten im Unternehmen zu suchen. Die Kollegen der Geschäftsleitung stimmen dem Vorschlag zu. Die einzige Gegenstimme, diejenige von Hannes, mag das demokratische Ungleichgewicht nicht zu kompensieren. Beim unausgesprochenen Traktandum «Arbeit verteilen » werden Kollegen zu Konkurrenten – egal, auf welcher Hierarchiestufe.

Das neue Sparprogramm

 

 

Hannes ist sich bewusst, dass «intern sparen» ein anspruchsvolles Thema ist. Er kann nur verlieren. Findet er zu wenige Massnahmen, beschleicht den Geschäftsführer das Gefühl, aufs falsche Spar-Ideen- Pferd gesetzt zu haben. Findet er genügend und griffige Massnahmen, macht er sich bei allen unbeliebt, bei denen eben diese Massnahmen angewendet werden. Das sind angesichts der aktuellen Finanzlage seines Unternehmens nicht wenige.

 

Die Finanzlage ist schon lange unerfreulich. Nach harten, einschneidenden, aber ertragsreichen Sparaktionen – wie Produktion optimieren, Personal abbauen, Kosten der Lieferanten drücken – sind die grossen Brocken bereits abgespeckt. Es gibt nichts mehr, wo nennenswerte Beträge optimiert werden können. Gleichwohl ist die finanzielle Schräglage des Unternehmens nach wie vor akut. Hannes brütet. «Wo können wir sparen, ohne dass es weh tut?» Genau das ist der Schlüssel für seinen persönlichen Erfolg in diesem Projekt, durchzuckt es ihn. Klare Einsparungen, ohne dass er es mit der Belegschaft oder mit den Kollegen in der Führungsebene verspielt.

 

Hannes hängt seinen Gedanken nach und erblickt im Innenhof des Firmengeländes einen Vogel – einen richtigen. «Genau – der Vogel ist mein Vorbild.» Dieser holt sich seine kleinen Körner an vielen Plätzen, nirgends fehlen sie, trotzdem wird der Vogel satt. «Kleinvieh macht auch Mist», erinnert sich Hannes an den Lehrsatz aus seiner Führungsausbildung. Im aktuellen Kontext seiner Firma findet er eine buchstäbliche Anwendung. Ausgestattet mit der Smartphone-Kamera macht Hannes sich auf durch seinen Büroalltag, durch die Gänge, in die Betriebskantine, und überall findet er «Sparkörner».

 

Etwa die Kaffeemaschine. Wenn der Kaffee mit etwas mehr Druck in die Tassen katapultiert wird, ähnlich dem Tankvorgang in der Formel 1, sparen wir Zeit. Hannes notiert: bei rund 2000 Kaffeeausgaben pro Tag und einer eingesparten Sekunde pro Ausgabe ergibt dies 2000 Sekunden pro Tag, 440 000 Sekunden pro Jahr oder 122 Arbeitsstunden. Beinahe ein Monatspensum. Wenn zusätzlich zwei Kaffeetassen gleichzeitig abgefüllt werden, ergibt es zwei Monate.

 

«Wo können wir sparen, ohne dass es weh tut?»

 

Hannes geht aufmerksamen Schrittes durch die Gänge. Die Toiletten. Ein zu beliebter Aufenthaltsort, den wir unattraktiver gestalten müssen. Schnellere Spülvorgänge, den Timer beim Händetrockner eine Sekunde kürzer einstellen, die automatische Beleuchtung etwas dimmen und die Zeitspanne verkürzen: «Das ist Potenzial von sicherlich noch einem Monat pro Jahr».

 

Stolz, Massnahmen gefunden zu haben, die niemanden schmerzen und gleichwohl einschenken, wird Hannes noch kreativer. Den Aufzug beschleunigen, das quittierende Pieps der elektronischen Arbeitszeitkontrolle weglassen, weil die Leute dort sowieso zu lange stehen bleiben und selbstverständlich schnellere Computer-Mäuse. Der Katalog wächst, und Hannes rechnet die eingesparten Sekunden fein-säuberlich in gesparte Personen-Tage um.

 

Wenn man nun noch mit dem Bäcker der Pausenbrötchen ein Abkommen schliesst, dass er zwei Prozent mehr kostenlose Luft im Mehl verwendet und dafür die Semmeln zwei Prozent günstiger bäckt, erreicht Hannes’ Massnahmenkatalog schon fast strategische Ausmasse. Sein Triumph bei der nächsten Geschäftsleitungssitzung scheint ihm sicher. Mit siegesgewissem Lächeln und zufrieden über seine eigene Cleverness, beginnt er seine Präsentation vorzubereiten.

 

Um fundiert zu argumentieren, wiegt Hannes die Einsparungen gegen das auf, was seine Recherchearbeiten und die Aufwände wie «Verhandeln mit dem Bäcker», «Neuinstallation der Hochkompressor- Kaffeemaschinen-Pumpe » kosten. Hannes staunt über die Zahl, die recht hoch ist. «Aber wer etwas erreichen will, muss auch investieren.» Trotzdem: Die eingesparte Zeit minus gerechnete Aufwandszeit ergibt ein Ergebnis von total 381 741 Sekunden pro Jahr. Macht ziemlich genau 100 Stunden. Bei einer Belegschaft von 2000 Personen macht das stolze 0,26 Prozent. «Na ja… man kann vielleicht bei den Planungsarbeiten noch etwas einsparen, indem die Wörter in der Präsentation nicht ganz ausgeschrieben werden.

(Visited 103 times, 1 visits today)

Weitere Artikel zum Thema