Das Gerücht – ein multipler Risikofaktor

Eine der ältesten und schnellsten Kommunikationsformen erweist sich als hochriskant. Was keine andere Kommunikationsform erreicht, schafft das Gerücht; es wird geglaubt – und es wirkt. Nicht nur Image oder Laufbahn, sondern das Fortbestehen eines Unternehmens kann damit gefährdet werden. Noch schwer einschätzbar ist die Zahl von Krankheitsfällen als Folge von Gerüchten.

Das Gerücht – ein multipler Risikofaktor

 

 

Müller-Milch ist ein bekanntes deutsches Unternehmen der Milchbranche mit 21 000 Mitarbeitern weltweit. Es wurde dem CEO Theo Müller unterstellt, er stünde einer rechtsextremen Partei nahe. Obwohl unabhängige Quellen die Vorwürfe widerlegt haben, gingen die Gerüchte so weit, dass Müller-Milch in Wikipedia darauf Bezug nehmen musste. Als Ursprung der Gerüchte gilt eine Aktion des Münchner Magazins Wiener aus dem Jahr 1989, als der Firmenchef auf eine getürkte rechtsradikale Anfrage hereingefallen ist. In einem anderen Fall der 90iger Jahren tauchten Gerüchte auf, dass der Besitzer der Warsteiner Brauerei Mitglied der Scientologen sei. Die Brauerei versuchte, den Effekt zu vertuschen und wurde in den Klatschspalten erst richtig durchgehechelt.

Gerüchten wird geglaubt

 

Eine Untersuchung mit Studenten vom Biologen Ralf Sommerfeld zeigt, dass Menschen übermässig stark von Klatsch beeinflusst werden. Die Teilnehmer durften Geld verteilen und wurden mit erfundenen Gerüchten dabei beeinflusst. Obwohl man die Teilnehmer später darauf aufmerksam machte, dass die Wirklichkeit anders sei, wurde weiterhin so entschieden, als sei das Gerücht wahr gewesen. Schon der Psychologe Allport sagte: «Ein Stereotyp kann sich verbreiten, auch wenn es genau das Gegenteil der Wahrheit behauptet».1 Warum wird ihnen geglaubt?

 

Menschen können grundsätzlich schlecht mit Irritationen und unverständlichen oder widersprüchlichen Wahrnehmungen umgehen. Wenn ein Empfänger ein Gerücht glauben will, weil es seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen entspricht, so wird er das Gerücht keiner kritischen Prüfung unterziehen. Das kann völlig unbewusst ablaufen, wenn z. B. jemand nicht wahrhaben will, dass diese Person das alles kann. Man sucht nach Fehlern und bauscht diese auf. Die tüchtige Person wird verunsichert und achtet selbst mehr auf Fehler, mit dem Resultat, dass sie tatsächlich mehr Fehler macht. Ein Self-Fulfilling-Zirkel beginnt und kann bis zum Mobbing führen. Je ängstlicher und unsicherer der Empfänger eines Gerüchts ist, umso eher ist er bereit, ein Gerücht zu glauben und weiterzuerzählen. Ein ängstlicher oder verunsicherter Zuhörer wird das Gerücht zu 94 % glauben.

Gerüchte als Teil der informellen internen Kommunikation

 

Deutsche Mitarbeiter erfahren nicht einmal die Hälfte der wichtigen Ereignisse im Unternehmen von ihren Vorgesetzten, sondern durch Hörensagen. In Grossbritannien und Frankreich liegt dieser Anteil noch höher, in Skandinavien deutlich niedriger. Einerseits scheinen Unternehmen zu erwarten, dass Mitarbeitende informell zu Informationen gelangen, die sie benötigen, andererseits scheint es unwichtig zu sein, ob diese wahr sind oder nicht. Und dafür werden durchschnittlich zwei Stunden täglich in Schweizer Unternehmen verbraucht.

 

Vorgesetzte sind davon nicht ausgenommen. Sie haben dann besonders Mühe, Gerüchte abzulehnen, wenn diese einen Mitarbeiter betreffen, der schwer einschätzbar oder noch neu ist. Sie beginnen, sich herumzuhören, statt direkt das Gespräch zu suchen. Sie realisieren nicht, dass sie eine Vertrauensbasis verhindern und dem neuen Mitarbeiter den Start erschweren. Zudem ist dies eine Aufforderung an die übrigen Mitarbeiter, möglichst viele Gerüchte dem Management zu unterbreiten.

Wie das Management Gerüchte produziert

 

Dass Informationsdefizite zu Gerüchten in Organisationen führen, ist hinlänglich bekannt. Gerüchte entstehen jedoch trotz Informationen, wenn diese nicht glaubwürdig vermittelt werden. Kommen die Informationen allzu wohlklingend und verschleiernd daher, fördern sie das Misstrauen der Mitarbeitenden und erreichen das Gegenteil.

 

Wie soll ein Management seine eigene Unsicherheit mitteilen, wenn damit befürchtet wird, das ganze Unternehmen in Unruhe zu versetzen? Gerüchte sind wesentlich schädlicher als die Wahrheit. Kommunikation braucht eine Menge Mut. Das Management muss in solchen Fällen zeigen, dass es komplexe, unklare Situationen so erklären kann, dass Angestellte den Veränderungsprozess mittragen.

 

Taten sprechen oft lauter als Worte. Plötzliche Entlassungen erschüttern die Betriebskultur mehr als jeder Versuch einer gemeinsamen Lösungsfindung. Trifft dann die Krise nach einer gemeinsamen Lösungssuche nicht ein, so fühlt sich das einbezogene Personal ernst genommen und ist stolz auf die abgewendete Krise. Die Loyalität ist gestiegen.

Das Management als Opfer

 

In anderen Fällen verlässt sich das Management auf die Geschichten derer, die sich bei ihnen einschmeicheln wollen, und merkt es nicht. Chefs schenken ihnen ihr Ohr, ohne jemals selbst auf die Betroffenen zuzugehen und deren Argumente zu hören. Grosse Unternehmen und Verwaltungen sind hier besonders gefährdet.

 

Viele Vorgesetzte kennen die Momente, in denen sie eine grosse Portion Vertrauen in Mitarbeiter benötigen. Sie hoffen, dass nichts Schlimmes passiert und beispielsweise der Projektleiter sein Projekt im Griff hat. Können sie das nicht erkennen oder erhalten zu wenig Information, werden sie nervös und misstrauisch. Wenn sie dann verpassen, ein klärendes Gespräch anzusetzen, werden sie mit grosser Wahrscheinlichkeit Gerüchten aufsitzen, die unter Umständen ein Problem erst schaffen, das vorher noch gar nicht da war.

Mobbing, Burn-out und andere Folgen

 

Obwohl die unproduktive Arbeitszeit mit informellen Gesprächen wesentlich höher ist als Absenzen, befasst sich kaum ein Krisenmanagement mit diesen Faktoren. Es existiert eine seltsame Hilflosigkeit beim Thema Gerüchte und Kultur. Lieber glaubt man den Studien, die behaupten, dass der tägliche Tratsch wichtig ist, damit Mitarbeiter fit und produktionsfähig bleiben. Der Preis scheint ziemlich hoch für diffuse Informationen, die etliche Opfer produzieren. Der mögliche Imageschaden eines Unternehmens, der Schaden durch «Arbeit nach Vorschrift», durch häufige Krankheitsausfälle und Personalwechsel kommt noch dazu. Durchhalten scheint auch keine Lösung zu sein, denn der Verlust des eigenen Selbstwerts, Depressionen, Angstreaktionen und Burn-out sind häufige Folgen mit allen volkswirtschaftlichen Kosten des Arbeitsplatzverlusts und Re-Integration.

Lösungsversuche

 

Krankenkassen, Kantone und Organisationen müssten im Eigeninteresse Kulturentwicklung und Gerüchteprävention als Schwerpunktthema finanzieren. Denn es ist im Interesse aller, die häufigen Absenzen vom Arbeitsplatz und Folgekrankheiten der Betroffenen zu verhindern. Viele dieser Betroffenen können niemals wegen Mobbing klagen, denn dafür braucht es Beweise – und die sind im Gerüchtebereich nicht vorhanden. Wer die Gerüchtekultur mit Vertrauen und Dialog ersetzen kann, fördert wirklich das Image eines Unternehmens – mindestens als Arbeitgeber.

 

Es gibt auch andere Lösungsversuche, wie beispielsweise Social- Network-Plattformen im Unternehmen zu schaffen. Alcatel verspricht, dass die unproduktive Zeit damit um 75 % gesenkt werden könnte. Eine Befragung der «Zeit» 2014 zeigt jedoch, dass 42 % der Beschäftigten durch die interne, digitale Kommunikation zwar mehr Informationen hätten, jedoch der persönliche Austausch mit den Chefs als wesentlich zielgerichteter und effizienter eingestuft wird. Das ist nachvollziehbar, denn im persönlichen Gespräch können Fragen und Gründe direkt und zeitgleich geklärt werden; die Körpersprache kann zurechtrücken, was im Mail oder online nicht gesagt werden kann. Die Botschaft ist weniger anfällig für Missverständnisse und Fehlinterpretationen.

 

Aus diesem Grund hat Ruth Cohn eine lapidare Regel verfasst, nämlich nicht über Abwesende zu sprechen. «Halte dich mit Interpretationen von anderen so lange wie möglich zurück. Sprich stattdessen deine persönlichen Reaktionen aus».2 Zu ergänzen ist: «Suche das direkte, klärende Gespräch. »

 

 

 

 

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