Bewusst agieren

Wenn Risikomanagement und strategisches Management an ihre Grenzen stossen, schlägt die Stunde der Resilienz. Aus der Forschung stammend, fand das Konzept Eingang ins Kontinuitätsmanagement, in Informatikkonzepte und heute in die Teamresilienz. Mittlerweile hat sich die sogenannte Organisationale Resilienz zum Analyserahmen weiterentwickelt. Sie bietet Ansatzpunkte zum Aufbau eines weitsichtigen «Corporate Resilience Managements».

Bewusst agieren

 

 

Arthouse Movies und Hollywood bewegen unsereiner, insbesondere wenn sie ereignis-volle Krisen nachzeichnen. Vor einem Jahr kursierten zwei bemerkenswerte Filme in deutschschweizerischen Kinos. «Deepwater Horizon» (Regie: Peter Berg/Produktion: Mike Wahlberg) beschreibt den Hergang der gravierenden Bohrlochkatastrophe im Golf von Mexiko vom 20. April 2010.

 

Bei der Übergabe zweier Betriebs-mannschaften gingen kritische Informatio-nen zum Status eines Tiefseebohrlochs ver-loren. Im Zuge eines ökonomischen Zeit-drucks im Betriebsteam wurde ein Defekt übersehen. In der Folge kam es zu einer mas-siven Explosion und letztlich zum Unter-gang der berüchtigten Plattform.

Sicherheits-Effizienz-Paradox
Die Situation ist möglicherweise nur für Insi-der wie Sicherheitsmanager nachvollziehbar, die Story könnte jedoch auch für Betriebsstu-dien hergezogen werden. – Eric Hollnagel führt solche Krisen als «Sicherheits-Effizienz-Paradox» ein, in dem Sicherheits-Guidelines durch Effizienzkriterien nicht nur untergra-ben, sondern eben auch durch horrende In-vestitionen in Sicherheitstechniken und -re-gularien noch verschärft werden.

 

Auf der «Deepwater Horizon»-Platt-form war alles gegeben: Technik, Wissen, Re-gulatorien. Allerdings fehlte es an «Mindful-ness», an der Fähigkeit, in einer Stress-Situa-tion Technik, Betrieb und Handeln richtig synchronisieren zu können. Die Organisati-onale Resilienz war auf der Bohrplattform «gleich null». Es war dem erschöpften Team aufgrund der endenden Schicht im Grunde egal, ob die Sicherheitsanforderungen in der kommenden Schicht wirklich erfüllt werden würden.

 

Der wirtschaftliche Gesamtschaden weicht nach verschiedenen Quellen vonein-ander ab. Er soll jedoch über 60 Milliarden US-Dollar – abgesehen von den Kollate-ralschäden für Mensch und Natur – umfas-sen. Es gab nicht nur elf Todesopfer, zahlrei-che Verletzte und traumatisierte Staatsbür-ger, allgemein wurde das Vertrauen in Erdöl­ industrie, möglicherweise sogar in die US-Regierung erschüttert.

Resilienz: ein Heldenepos?
Ironischerweise gilt die Katastrophenbe-schreibung «Deepwater Horizon» in cineasti-schen Kreisen als Flop, während die Helden-geschichte «Sully» von Insidern gepriesen wird. «Sully» (Regie: Clint Eastwood, Produk-tion: Frank Marshall) beschreibt die Chrono-logie der Notlandung des Verkehrsfliegers US1549 auf dem Hudson River, New York.

 

Die Landung inmitten von New York ging nur glatt «über die Bühne», weil der Pi-lot Chesley «Sully» Sullenberger unmittelbar nach Ausfall beider Triebwerke die Checklis-te für die Notfall-Prozedur ignorierte, eine Hilfsturbine früher als gemäss Liste vorgese-hen einschaltete – geistesgegenwärtig mit einem «Vogelschlag» die US1549 zu retten. Er entschied sich, nicht auf einem in der Nähe liegenden Flughafen, sondern auf dem Hud-son River notzulanden.

 

«Sully», die Rekonstruktion des Manö-vers am 15. Januar 2009 thematisiert auch den Untersuchungsprozess. Im Gegensatz zur offensichtlich­ hohen Resilienz des Pilo-ten wurde untersucht, ob es legitim ist, die offizielle Prozedur nach dem Abflug «eigen-mächtig» zu ignorieren. Die erfolgreiche Rettung von allen 150 Passagieren wurde durch hohe Regressansprüche­ durchkreuzt­.

 

Die heldenhafte Rettungstat musste im juristischen Nachgang durch Chesley Sullen-berger mühsam gerechtfertigt werden.

Kompetenzüberschreitungen?
Was steckt hinter diesen beiden Beispielen? Im Grunde geht es um die Frage, wie weit ge-regelte Guidelines überschritten werden dürfen. Menschen und Teams auf einer Bohrinsel – in einem Flieger, in einem Spital, in einem Kernkraftwerk, überhaupt Men-schen im Schichtbetrieb sind angewiesen, für Ordnung zu sorgen.

 

Hierzu gehört die Informationspflicht gegenüber der nachfolgenden Schicht, vice

 

«Feine Signale spielen in der Arbeitssicherheit eine grosse Rolle.»

 

versa ein Informationsrecht darauf hat, über betriebsrelevante Sachverhalte informiert zu werden. Hierzu erhalten doch die Schichtlei-tenden entsprechende Kompetenzen. Wich-tige Information zu ignorieren, ist per defini-tionem eine Kompetenzüberschreitung. Ei-ne positive «Überschreitung» liegt jedoch im Fall «Sully» vor, in der Sicherheitsrichtlinien eigenmächtig umgangen wurden.

 

Jeder sicherheitsorientierten Organi-sation müssten im Grunde die «Haare zu Berge» stehen. Auf der anderen Seite gibt es Beobachtungen in der Hochzuverlässig-keitsforschung, dass ein Erkennen und Deu-ten «feiner Signale» in der Arbeitssicherheit eine grosse Rolle spielen. So wie Piloten menschliche Fähigkeiten in Krisensituatio-nen einsetzen, sollte sich auch eine High Re-liability Organization (HRO) immer auch am Unmöglichen und Ungeregelten orien-tieren, bevor sie eng definierte Kompeten-zen «durchpocht».

 

Wenn man thematisch nicht tiefer gra-ben möchte, könnte man schlicht sagen, die beiden oben genannten Beispiele seien Fol-gen der jeweiligen Sicherheitskulturen der Unternehmen. Das greift jedoch in der Orga-nisationalen Resilienz zu kurz. Interessiert man sich genauer für die Fähigkeit von Orga-nisationen, aus kritischen Situationen oder Ereignissen eine Chance (mehrere Chancen) zu gewinnen, so muss man grosszügiger vor-gehen.

Resilienz als Konzept
Organisationale Resilienz ist sehr vielfältig und schwer mess- und fassbar. Whitman/ Kachali/Roger/Vargo/Seville (2014) entwi-ckelten daher ein Rahmenkonzept als Grundlage ihres Resilienz-Benchmarks, um Unternehmen vergleichen zu können. Sie ta-ten dies vor dem Hintergrund der Krisen­ reaktion und -prävention neuseeländischer Naturkatastrophen, da insbesondere Erdbe-ben die regionale Wirtschaft mehrfach ge-troffen hatten.

 

Die Forscher haben drei Hauptpfeiler der Resilienz definiert: «Führung und Kul-tur», «Anpassungsbereitschaft», und «Netz-werknutzung». In ihren Grundpfeilern finden sich rund 15 Unter­aspekte wie etwa «Stress-testpläne». Je nachdem muss man die Kom-ponenten, siehe die Reihenfolge, anders ge-wichten:

 

  • Mitarbeiterengagement
  •  Situationsbewusstsein
  •  Stresstestpläne
  • ‹Silos brechen› und
  • Wissen nutzen

 

Whitman et al. ziehen hier den Interpreta­ tionsrahmen absichtlich sehr breit, um zu zeigen, wie sehr Resilienz als Systemfunk­ tion betrachtet werden kann – wobei diverse Unterthemen Organisationen und deren Management betreffen. Ihr Benchmark nutzt dabei Fragebögen, die mittlerweile globale Erhebungsdaten für unterschiedliche Orga-nisationsgrössen liefern.

Die Eckpfeiler im CRM
Was lässt sich nun aus solchen Modellen ef-fektiv fürs Resilienzmanagement überneh-men? Ein Corporate Resilience Management (CRM) sollte sich als integriertes Gesamt-konzept verstehen.

 

Der sogenannte Resilienz-Trichter (siehe Grafik links) verdeutlicht das Konzepte-Sam-melsurium. Die Konzepte können unter­ einander verknüpft werden, um auf Ereig-nisse zunehmender Dringlichkeit reagieren zu können.

 

Organisationale Resilienz stützt sich breit ab, um ein systemisch-komplexes Welt-bild einzufangen, ohne zu trivialisieren. Sie geht davon aus, dass diverse Fehler gesche-hen und unvorhergesehene Ereignisse ein-treffen. Die Ansätze heben die Wichtigkeit vielfältiger Umgebungsfaktoren, die zu kriti-schen Situationen führen können, hervor:

 

Hierbei spielt der Glaube an die positi-ve Gestaltbarkeit einer Situation ebenso eine wichtige Rolle wie die Fähigkeit, bewusst «nach vorne» fallen zu können – also unter-nehmerisch resilient und flexibel zu sein.

 

 

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