Beschaffungsrisikomanagement in Zeiten von Corona
Die Aktualität zeigt auf, wie wichtig das Risikomanagement in der internationalen Beschaffung ist. Ein Innosuisse-Projekt entwickelt zurzeit eine Methode zur frühzeitigen Erkennung, Beurteilung, Kontrolle und Überwachung von internationalen Beschaffungsrisiken. Der Schweizer Fachverband für Einkauf und Supply Management, procure.ch, unterstützt dieses Projekt.
Bereits im April 2019 beantworteten Beschaffungsexperten aus 315 Mitgliedunternehmen des Fachverbands procure.ch eine Umfrage der Fachhochschule Graubünden und der Berner Fachhochschule zum Thema «Internationales Beschaffungsrisiko-Management». Inzwischen wurde die Logistikbranche durch die Coronakrise im Kern getroffen. So zum Beispiel ComatReleco, ein weltweit führender Anbieter von qualitativ hochwertigen elektromagnetischen Schaltern, Relais und Schützen aller Art. Die Hauptkunden sind Bahnproduzenten und Automatisierungsanbieter. Die Hersteller wurden von der Coronakrise stark getroffen, da ihre wichtigsten Lieferanten in China tätig sind. Deren Produktionsstätten waren während des chinesischen Neujahrs 2020 und anschliessend für mindestens einen Monat durch die Krise geschlossen. ComatReleco fehlten dadurch wichtige Teile in der Produktion und das Unternehmen hatte mit Lieferengpässen zu kämpfen.
Neue Risikomanagementmethode
Eine Unternehmensbefragung, die im Rahmen des Innosuisse-Projekts iBERIMA durchgeführt wurde, bestätigt die Erfahrungen von ComatReleco: Die internationale Beschaffung lässt für Schweizer Unternehmen massgebliche Risiken entstehen – und fast die Hälfte der befragten Firmen gesteht, dass das eigene Beschaffungsrisikomanagement mangelhaft sei.
Auf der Grundlage dieser Unternehmensbefragung wurde im Rahmen des Innosuisse- Projektes eine Risikomanagementmethode entwickelt, die es KMU ermöglicht, die Risiken der internationalen Beschaffung frühzeitig zu erkennen, zu beurteilen, zu kontrollieren und zu überwachen. Der Prozess eines solchen systematischen Risikomanagements beginnt mit der Priorisierung der Einkaufsteile. Die Teile werden im Hinblick auf ihren Einfluss auf den Unternehmenserlös bewertet. Einkaufsteile mit einem grossen Einfluss werden im Risikomanagement mit einer höheren Priorität behandelt als weniger wichtige Teile. Für die priorisierten Einkaufsteile und deren Lieferanten werden aufgrund einer umfassenden Checkliste die Risiken bestimmt, die aus dem länderübergreifenden Einkauf entstehen können. Die definierten Risiken werden danach im Hinblick auf die Eintrittswahrscheinlichkeit und das potenzielle Schadensausmass bewertet. Um die Risiken zu kontrollieren, wird eine der vier folgenden Kontrollstrategien eingesetzt: Risikovermeidung, Risikoverminderung, Risikoübertragung, Risikoübernahme. Die Überwachung der Beschaffungsrisiken umfasst schliesslich deren regelmässige Überprüfung mithilfe eines Datencockpits, damit mögliche Änderungen in der Risikolage proaktiv in den Risikomanagementprozess einfliessen können.
Unterstützte Implementierung
Um die KMU bei der Einführung und dem nachhaltigen Einsatz des Risikomanagementprozesses zu unterstützen, ist die Entwicklung einer pragmatischen IT-Lösung geplant. Diese Lösung wird neben dem Risikomanagement zusätzlich den gesamten Einkaufsprozess abdecken, da beide Bereiche eng zusammenhängen. Ziel ist es, dass die Risikomanagementaufgaben Identifikation, Bewertung, Kontrolle und Überwachung mit möglichst geringem Aufwand durchgeführt werden können und dabei den maximalen Nutzen für das Unternehmen stiften. Denn eine Erkenntnis des Projektes ist es, dass nur ein pragmatischer und möglichst leichtgewichtiger – aber trotzdem umfassender – Risikomanagementprozess nachhaltig von den Unternehmen eingesetzt wird. Die IT-Lösung wird den Risikomanagementprozess auf der Ebene der Einkaufsteile unterstützen. Risikomanagement bleibt somit keine abstrakte Übung, sondern kann als Entscheidungshilfe im operativen Geschäft genutzt werden. Die Risikominderungsmassnahmen stehen dabei im Fokus und werden so integriert, dass deren Implementierung einfach nachverfolgt werden kann. Eine tagesaktuelle Risiko- Exposition, gemessen in Schweizer Franken, wird den Anwendern zur Verfügung stehen. Der Vergleich dieser Ist-Risiko- Exposition mit einer automatisch berechneten Maximal-Risiko-Exposition ermöglicht den Unternehmen, Risikominderungsmassnahmen zu planen und einzuleiten.
Eine grosse Herausforderung im Risikomanagement ist es, frühzeitig vom Eintritt beziehungsweise von der Erhöhung eines Risikos zu erfahren. Daher werden auch externe Datenquellen an die IT-Lösung angeschlossen und ein hoher Automatisierungsgrad für das Risikomanagement erreicht. Die geplante IT-Lösung wird auf der Basis einer bereits existierenden Einkaufslösung implementiert. Unternehmen können damit nicht nur das Risikomanagement einführen. Sie erhalten ebenfalls die Möglichkeit, ihre Einkaufsprozesse digital zu unterstützen.
Investition lohnt sich
Die Coronapandemie wird nicht die letzte Krise sein, welche die internationalen Zulieferketten von Schweizer Unternehmen beeinträchtigen. Deshalb empfiehlt sich die Investition in eine entsprechende IT-Lösung. (Quelle/Erstveröffentlichung: procure.ch am 25.08.2020).