Bedienung vor Digitalisierung
Beide Branchen, Hotellerie und Gastronomie, sind stark gefordert. Bei den einen fehlt es an Investitions- und Renovationskapital; bei den anderen an Nachwuchs.
Natürlich gibt es Perlen im nationalen Hotel-geschäft, Erfolgsgeschichten, die beweisen, dass die Branche lebt. Zürich beispielsweise feiert allerlei Neueröffnungen in allen Kate-gorien. Die Stichworte sind Motel One, a-ja Resorts oder die bald fertiggestellten Flugha-fenhotels. Oder: Das Hotel Chedi in Ander-matt hat sich in wenigen Jahren zu einem der führenden Luxushäuser entwickelt. Und auch in Tschiertschen, oberhalb von Chur, gibt es mit dem Alpina ein starkes Beispiel im Boutique-Segment. Und trotzdem gibt es Kri-tik, gerade auch von innerhalb der Branche. Malte Budde, Director of Operations im Park Hyatt in Zürich, sieht das so: «Die Hotellerie ist allgemein im Rückstand. Ich denke an Haustechnik, Innovationsfähigkeit oder Change-Management. Und vor allem ist die Suche nach gut ausgebildeten und motivier-ten Mitarbeitern (-innen) eine stete Heraus-forderung. Das Image unserer Branche ist lei-der nicht attraktiv und wir bekommen selten gute Angestellte, und dann verlieren wir viele davon fast ebenso schnell.»
Das Park Hyatt gehört zu den grossen Anbietern, aber auch bei den Kleinen tönt es ähnlich. «In der hiesigen Hotellerie gibt es keinen einheitlichen Qualitätsstandard mehr. Man findet exzellente 3-Sterne-Häuser und dann wieder Luxustempel mit, ich kann es nicht anders formulieren, grottenschlechtem Service.» Diese Aussage stammt von Ruedi Hintermann, dem Hotelier des traditionsrei-chen «Schwan» in Horgen, ein 1466 eröffnetes Gasthaus mit 22 Zimmern. Ruedi Hinter-mann ist auch dessen Besitzer und hat zudem mit seinem Restaurant «Taverne» grossen Er-folg. «Diejenigen in der Branche, auch kleine Familienbetriebe, die regelmässig ihre er-wirtschafteten Gewinne reinvestiert haben, konnten ihre Betriebe über Generationen und Krisen hinweg gut bewegen. Wer sich aber nicht laufend infrage stellt, sich neu er-findet, investiert und renoviert, der verliert sofort an Terrain.»
Nachwuchs fehlt
In der Gastrobranche scheint es zumindest an Innovation nicht zu fehlen. Vor allem die Grossstädte profitieren von einer Szene, die sich kreativ und «fusionsbereit» zeigt. Vegane Bars, Sushis mit südamerikanischem Flair oder Tapas mit Schweizer Käse; die Auswahl ist gross. Gleichzeitig nimmt aber die Nach-frage nach Ausbildungsplätzen und Festan-stellungen seit Jahren ab. Man spricht von ei-nem Drittel Rückgang bei den Schulabgän-gern, die einen Gastroberuf lernen wollen. Und das Image spielt auch hier eine zentrale Rolle. Die sozialen Medien sind beliebte Platt-formen zu Themen wie mieser Arbeitsstim-mung, fehlendem Respekt oder tiefen Löh-nen. Und das ist schon relevant, denn das Schweizer Gastgewerbe umfasst doch 30 000 Betriebe mit etwa 200 000 Angestellten. Hier kämpft die 1891 als Wirteverband gegründete GastroSuisse vor allem darum, die Branche wieder populärer zu machen. Der Verband organisiert Berufswahlmessen, hat ein On-line-Marketing eingeführt und bietet eine an-bieterunabhängige Plattform an (www.karri-erehotelgastro.ch), die den Branchenleuten neue Karrierewege und Weiterbildungsmög-lichkeiten vorstellt. Dabei will man den Stu-dierenden mehr bieten als das Wissen über Pouletgerichte oder wie man knackige Salate zubereitet. Neue Themen beinhalten bei-spielsweise Hygieneschulung oder Allergien-bekämpfung. Als auch wichtiges politisches Thema will man nicht nur Nachwuchs auf-bieten, sondern ganz gezielt Quereinsteigern helfen, Fuss in der Branche zu finden.
Aber Ruedi Hintermann findet, dass nur wenige junge Leute eine Ausbildung in der Hotellerie/Gastronomie machen wollen,weil es «voll langweilig» sei oder «schlecht be-zahlt». Also, da ist sie wieder, die Frage des Images. Doch ein positives oder negatives Image wird auf die Länge meistens direkt an der Front ausgelöst. Beim Servicemitarbeiter, am Check-in oder beim Personal in der Reak-
«Der Begriff ‹Service Excellence› wurde in unserer Branche leider völlig verbraucht.» Malte Budde
tion auf eine Reklamation. Hotellerie und Gastronomie sind Branchen der Dienstleis-tung schlechthin. Und genau dort will Malte Budde ansetzen: «Der Begriff ‹Service Excel-lence› wurde in unserer Branche leider völlig verbraucht. Deshalb lautet unser Motto be-wusster: ‹We see and read our guests in the moment. ›»
Ein starkes WLAN bewirkt schon viel
Die Hoteliers können mit noch so guten Zer-tifizierungen arbeiten – im Hotel Chedi An-dermatt beispielsweise wurde ein ISO 9002-2015 erworben – im Endeffekt sind Bedie-nung und Betreuung spielentscheidend. Es geht um eine energetische Atmosphäre, um innere Freundlichkeit und um Emotionale Intelligenz (EQ) aller im direkten Bedie-nungsprozess involvierten Mitarbeiter/in-nen. Manche haben das, andere nicht. Aber wenn die Geschäftsleitung, der Hoteldirektor oder der Chef de Service diese «warmen» Ele-mente nicht beherrschen und vorleben, also «Top-down», dann können auch goldene Marmorbadezimmer oder ein feiner Cuvée aus Frankreich nicht viel ausrichten. Kann sein, dass das Bedienen in unserer Kultur weniger visuell gelebt wird als beispielsweise in Asien oder Afrika. Umso mehr muss es deshalb noch stärker in den Ausbil-dungssektor, sowohl akademisch wie in der Praxis, eingebaut werden.
Wie sehr auch andere Elemente einer positiven Entwicklung förderlich sind, muss trotzdem diskutiert werden. Gerade Digitalisie-rung ist in aller Munde, aber noch lange nicht alle Schweizer Hotels oder Restaurants sind fähig oder willens, beispielsweise ein gebäude-übergreifendes, sicheres und kostenloses WLAN anzubieten. Man streitet sich um Passwörter und limitierte Nutzerzeiten. Es ist wie vor 25 Jahren, als die Hotels noch für jede Faksimile-Seite einzeln bezahlt werden wollten. Sicherheit sei das Argument; meistens geht es aber einfach um die fehlenden IT-Investitionsbudgets. Dass ein funktionie-rendes WLAN auch Teil des Dienstleistungsgedankens eines Gasthau-ses ist, und damit ein subjektives Image positiv beeinflusst, haben vie-le noch nicht begriffen. Malte Budde jedoch stellt sich der Digitalisie-rung gerne: «Ich sehe nur Vorteile. Unsere Gäste können sich schneller informieren; Zusatzleistungen buchen, sich vernetzen und in aller Welt über uns berichten. Und wir können, dank der Digitalisierung, beispielsweise zeitnah Zimmer verkaufen; teilweise an vor dem Ein-gang wartende Gäste. Dazu kommen Partner wie UBER, die für uns unverzichtbar geworden sind und ohne offene Digitalisierungspolitik undenkbar sind.»
Stichwort Flexibilität
Gerade im Hotelgeschäft ist Angebot und Nachfrage ein volatiles Element geworden; fast unkontrollierbar und gleichzeitig auf unzähligen teilweise unbekannten Kanälen aktiv. Jean-Yves Blatt, Direktor des Chedi in Andermatt, bestätigt das auch: «Yield-Management ist unser tägliches Brot und zwar fast 24 Stunden am Tag. Wir müssen ununterbrochen die Entwicklungen in den Märkten beobachten, die Konkurrenz verfolgen, die bestmögliche Preisstrategie erschaffen und alles immer wieder anpassen. Was morgens um 10 Uhr richtig ist, kann vier Stunden später fehl am Platz sein.»
Auch Hintermann will am Puls der Zeit bleiben. «Auch als klei-ner Anbieter muss ich meine Angebote digitalisieren, aktuell und breit streuen und dann vor allem schnelle Reservationsportale be-reitstellen. Aber leider wird dabei der persönliche Kontakt reduziert, und das ist ja genau das, wovon unsere Branche eigentlich lebt. Des-halb habe ich auch meine Mühe mit den ganzen Bewertungsplattfor-men, wo sich Gäste undifferenziert äussern können, unter Umstän-den, ohne je in meinem Gasthaus gewesen zu sein. Persönlich bin nicht einmal sicher, ob man tatsächlich, wie es allgemein heisst, jeden Eintrag beantworten soll. Ich meine, es braucht ein gewisses Mass an gesundem Menschenverstand. Man kann unter Umständen einzelne Einträge auch einfach ignorieren. Oft sind es ja sowieso nicht die grossen Infrastrukturen, die den Unterschied ausmachen, sondern kleine, feine persönliche Gesten, Dienstleistungen eben. Das mag für grössere und international tätige Hotels anders sein, die dürften alle Einträge systematisch beantworten, aber in meinem Fall geht es doch primär um das exzellente Bedienen vor Ort. Und das wiederum löst Mund-zu-Mund-Propaganda aus; ziemlich ‹unelektronisch› zwar,
aber umso erfolgsversprechender.»