Assessment Center
Assessments sind ein Glied in einer Kette von Auswahl- und Entwicklungsschritten, die zum Zweck haben, die richtigen Mitarbeiter zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort im Einsatz zu haben. Diese Kette – das Talent- bzw. Humankapital- Management – gilt es als Ganzes zu stärken.
Das Assessment Center als Instrument für die Personalselektion und -entwicklung hat heute in der Fachwelt einen festen Platz. Das Instrument der Personaldiagnostik wurde wie kaum ein anderes in Wissenschaft und Praxis vielfach empirisch untersucht. Seine Validität ist mehrfach erwiesen, der Nutzen wurde mit unterschiedlichen Utility-Modellen bestätigt. Internationale und nationale Fachgruppen haben Standards für eine optimale Gestaltung und Nutzung von Assessment Centern erarbeitet. Die positiven Erfahrungen mit qualitätssteigernden Anstrengungen im Assessment-Center-Bereich geben Hinweise, wie Prozesse und Entscheide im gesamten Talentmanagement empirisch auf ihre Wirksamkeit untersucht und optimiert werden können.
Zertifizierung allein reicht nicht
In einer Kette von Entscheiden, angefangen bei der Rekrutierung und Selektion von Bewerbern, garantiert ein Assessment Center allein noch keinen Erfolg: Andere, schwächere Glieder in der Kette können den diagnostischen Mehrwert eines Assessments zunichte machen. Werden beispielsweise nicht die richtigen Kandidaten ins Assessment Center gesandt, oder werden die Ergebnisse nicht adäquat für weitere Entscheide verwendet oder in einem Entscheidungsprozess gar umgangen, hilft die beste Assessment- Qualität nichts.
Die meisten Entscheide vor und nach einem Assessment Center sind im heutigen Human Resources Management bei Weitem nicht so gut analysiert und transparent wie das Assessment Center selber. Potenzial-Einschätzungen durch Vorgesetzte, die zur Entsendung in ein Assessment Center führen, sind bezüglich Treffsicherheit und Beurteilungsfehlern wenig durchleuchtet, geschweige denn durch ein Qualitätslabel gesichert. Wenig erforscht ist auch, was ein Assessment- Center-Ergebnis bei einem Kandidaten bewirkt, welche Entscheide und Motivationen es auslöst und welche Entwicklungsschritte effektiv folgen. Dies müsste systematisch nachverfolgt werden. Investitionen in Massnahmen zur Entwicklung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden oft ohne fundierte Entscheidungsgrundlagen über die Wirksamkeit bzw. den Return of Investment gefällt – und dies, obwohl heute in vielen Unternehmen die Personalkosten weit mehr als die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen und der Wertschöpfungsbeitrag dieses Kostenanteils immer wichtiger wird. Welches sind die Voraussetzungen für eine solche Professionalisierung? Was können wir diesbezüglich vom starken Kettenglied Assessment Center lernen? Im Folgenden gehen wir auf fünf zentrale Voraussetzungen ein.
1. Messen, Messen, Messen
Bevor man überhaupt etwas steuern und verbessern kann, muss es gemessen werden. Wie im Assessment Center die Beobachtungen und Beurteilungen detailliert pro Beobachter, Dimension und Übung festgehalten und numerisch erfasst werden, müssen auch in der Talentkette vermehrt Daten erhoben werden. Voraussetzung dafür sind als Erstes die Einsicht über die Notwendigkeit und die entsprechende mentale Ausrichtung auf Empirie. Auch weiche Faktoren lassen sich wesentlich besser messen, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Dabei geht es weniger um Einschätzungen von aussen als vielmehr um direkte Datenerhebungen auf Mitarbeiterebene. Beispiele finden sich u.a. bei Google: Hier werden systematisch vielfältige Daten zu Mitarbeitenden und Fördermassnahmen erfasst und analysiert (siehe Davenport et al., 2010).
2. Bereichs- und unternehmensübergreifende Standards
Nur wenn Messgrössen und Prozesse standardisiert sind, lassen sich verlässliche Daten erheben, die dann systematisch analysiert und in fruchtbare Aktionen übersetzt werden können. Eine über Bereiche und Vorgesetzte hinweg uneinheitliche Leistungsbeurteilung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lässt beispielsweise keine Überprüfung der Zusammenhänge von Leistungsbeurteilung und Gehalt zu. Wenn das Engagement jedes Jahr anders erhoben wird, und dies mit Instrumenten wie unternehmensspezifischen Fragebögen, ist ein Vergleich mit externen Benchmarks oder eine Verlaufsanalyse unmöglich, geschweige denn ein Rückschluss vom Engagement des Einzelnen auf den Geschäftserfolg.
Genauso wie für Assessment Center unternehmensneutrale Standards erarbeitet und mittels Qualitätslabels durchgesetzt werden, muss es auch vermehrt Standards geben für die Leistungsbeurteilung, für Engagement-Befragungen oder für die Überprüfung der Wirksamkeit von Entwicklungsmassnahmen. Standards heisst hier: klar definierte Messgrössen mit Beurteilungskriterien, Mindestanforderungen an die Qualität und den Ablauf der Messverfahren, Dokumentation und Offenlegen der Resultate sowie Vorgaben für die empirische Evaluation der Wirksamkeit bzw. deren Gültigkeit und Zuverlässigkeit.
3. Nutzen- und Wirkungsanalysen
Nur wenn der Impact von Beurteilungen und Entscheiden auf businessrelevante Grössen verfolgt wird – indem beispielsweise ein Einstellungsentscheid mit dem späteren Leistungsniveau oder der Verweildauer eines Kandidaten in einem Unternehmen verglichen wird – kann die Gültigkeit dieses Entscheids ebenso präzise festgehalten werden wie die diagnostischen Aussagen eines Assessment Centers. Es gibt heute erst wenige Unternehmen, die neu eingestellte Mitarbeiter systematisch in deren Arbeitszufriedenheit und Leistung verfolgen und so die Qualität der Rekrutierungsverfahren analysieren. In der Regel sind weder die Rekrutierungsentscheide nachvollziehbar dokumentiert, noch wird die Arbeitszufriedenheit zuverlässig und standardisiert gemessen.
4. Regelmässige neutrale Reviews
Wenn für ausgewählte Bestandteile eines Talentmanagements klare Standards definiert sind, muss deren Einhaltung durch transparente Reviews garantiert werden. Nur so wird eine schrittweise Qualitätsverbesserung erreicht. Für das Human Resources Management ergibt sich daraus auch der Zusatznutzen, dass es den Entscheidungsträgern im Management ein überzeugendes Benchmarking vorlegen und somit die Akzeptanz für seine Instrumente und Programme erhöhen kann. So könnten – wiederum analog zum Assessment Center – für die Durchführung von Management-Development-Programmen oder Rekrutierungsverfahren Qualitäts-Reviews mit entsprechenden Qualitäts-Labels entwickelt werden.
5. Benchmarks setzen und von den Besten lernen
Daten und Informationen können erst richtig interpretiert und in Handlungen übersetzt werden, wenn sie in Bezug zu einem Referenzwert stehen. Benchmarks erlauben einen systematischen Vergleich sowohl unternehmensintern als auch mit anderen Unternehmen, Anbietern oder Instrumenten. Im Assessment Center hat man mit der Schaffung von Standards und mit zahlreichen Umfragen und Publikationen eine Transparenz geschaffen, die es jedem Assessment-Center-Anbieter oder -Nutzer erlaubt, Qualität und Ergebnisse mit anderen zu vergleichen und sich an Benchmarks zu orientieren. In der Talentkette sollten zum Beispiel Mitarbeiterbefragungen so gestaltet sein, dass Vergleiche mit anderen Unternehmen möglich sind: Nur so lassen sich die Engagement-Werte eines Unternehmens richtig interpretieren, und nur so kann man von den Besten lernen.
Erste Schritte in die richtige Richtung
Es zeichnet sich ab, dass obige Forderungen in der Branche zunehmend auf offene Ohren stossen. Der Ruf nach einem Talentmanagement oder einem Management des Humankapitals, das auf systematisch erhobenen Fakten und nicht nur auf Intuition basiert, wird immer lauter. Bereits haben erste Firmen Teams für Human Capital Analytics aufgebaut, die das Humankapital und die Investitionen in dessen Entwicklung regelmässig und systematisch analysieren. Im 2013 ist eine neue Zeitschrift geplant: «Evidence-based HRM», und erste Ansätze gibt es auch zur Entwicklung eines Standards für Messgrössen für Humankapital (www.centerfortalentreporting. org).
Damit das oben geforderte Messen und Analysieren koordiniert und effizient erfolgen kann, braucht es eine Strategie, respektive ein Framework für Humankapital- Analysen. Die European Foundation for Quality-management oder das Human-Capital-Institut schlagen solche Frameworks vor. Diese ganzheitliche Sicht ermöglicht es, die richtigen Fragen zu stellen und Kennwerte zu errechnen, die einem Unternehmen aufzeigen, was in den einzelnen Bereichen bereits gut gemacht wird, wo noch Daten fehlen oder welche Glieder der Talentkette noch stärker entwickelt werden müssen. Solche Frameworks bilden auch die Grundlage für unternehmensübergreifende Definitionen von Messgrössen, für die Standardisierung von Verfahren und für den Aufbau von Benchmarks. Das Vorbild der Qualitätssicherung im Bereich des Assessment Centers wird Schule machen zugunsten stabiler, transparenter und vergleichbarer Prozesse über die ganze Talententwicklungskette hinweg.