Ansätze zur Verankerung in Organisationen

Viele Risikomanagementsysteme wurden weiter entwickelt, um den gestiegenen gesetzlichen Anforderungen insbesondere in der Versicherungs- und Finanzbranche Rechnung zu tragen. Alleine mit der Einführung von «Frameworks» und einer Implementierung von Betriebsprozessen ist Risikomanagement noch nicht verankert.

Ansätze zur Verankerung in Organisationen

 

 

 

Einschlägige Literatur und allgemeingültige Normen betonen, dass Risikomanagement sich nicht nur mit Zielabweichungen im Sinne von potenziellen Verlusten, sondern auch mit möglichen Chancen befassen soll. Dieser Zusammenhang gewinnt an Gewicht, folgt man Lombriser & Abplanalp, welche den Wert des Gesamtunternehmens nicht nur auf diskontierte zukünftige Cash- Flows reduzieren, sondern als maximalen Nutzen definieren, der den verschiedenen Anspruchsgruppen in Zukunft gestiftet werden kann. Sollen Risikomanagement- Systeme diesen Ansatz unterstützen, müssen Sie über strategische und operative Managementprozesse hinaus reichen. Eine Verankerung im normativen Management (Politik, Verfassung, Kultur) ist unabdingbar, damit Risiken gemanaged und nicht nur dokumentiert werden.

Mehrwert von Risikomanagement

 

Ein proaktives Risikomanagement zum Schutz des Erreichten und zur Schaffung von Mehrwerten erfordert ein entsprechendes Verhalten der Mitarbeitenden auf allen Stufen. Das darf nicht als Anspruch verstanden werden, Risiken von vornherein zu verhindern. Das kontrollierte Eingehen von Risiken ist die Grundlage von Chancenwahrnehmung, Erfolg und von nachhaltiger Sicherung des unternehmerischen Fortbestandes. Mitarbeitende sind vielmehr mit gezielten, adressaten- und stufengerechten Massnahmen zu sensibilisieren und zu befähigen, damit Risiken kontrolliert respektive mit angepasstem Appetit gehandhabt werden.

Mensch als Erfolgsfaktor

 

Um Massnahmen im Giesskannenprinzip zu vermeiden, sind gemäss dem Konzept «Mensch- Technik-Organisation» (Ulich, 2005) unter dem Primat der Aufgabe vorgängig Funktionen und Verantwortlichkeiten zu klären. Als anerkanntes Hilfsmittel kann das international von Revisoren anerkannte Modell der drei Verteidigungslinien (vgl. IIA, 2013) angewendet werden.

 

Die Hauptzielgruppe für Sensibilisierung und Ausbildung sind Mitarbeitende und Management aus den operativen Einheiten (erste Verteidigungslinie). Sie stehen an vorderster Front im Tagesgeschäft und sind für Erfolg und Misserfolg verantwortlich. Mitarbeitende aus der zweiten Verteidigungslinie (auch Assurance- Funktion genannt), unterstützen die erste Linie im Risikomanagement mit Modellen, Framework, Prozessgestaltung und -durchführung sowie Qualitätsprüfung. Die interne Revision bildet eine unabhängige dritte Verteidigungslinie und bietet zusätzliche Sicherheit. Das Modell der drei Verteidigungslinien unterstützt nicht nur bei der Zuordnung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, es ist auch ein taugliches Hilfsmittel zur zielgruppenorientierten Sensibilisierung von Management und Mitarbeitenden.

 

Je nach Anspruch an die Individualität von Massnahmen entsteht rasch eine Vielzahl von Zielgruppen für Sensibilisierung und Schulung. Durch Clusterung kann das Verhältnis von Individualität und Zielgruppengrösse optimiert werden. Ein möglicher Ansatz zur Differenzierung sind Fragestellungen wie: Bei wem steht der alltägliche Umgang mit Risiken im Tagesgeschäft im Vordergrund? Wer benötigt vertieftes Risikomanagementsystem- und Prozesswissen? Bei Mitarbeitenden ohne dezidierte Rolle im Risikomanagement steht der alltägliche Umgang mit Risiken meist im Vordergrund. Für die Entwicklung der dazu notwendigen Humanfaktoren liefert die etablierte Risikomanagementliteratur aber bis heute nur wenige Ansätze. Einzig die österreichische Risikomanagement- Normenfamilie ONR 49000:2014 rückt das Thema der Humanfaktoren stärker in den Vordergrund. Treffend bringen Brandes & Brandes die diesbezügliche Situation zum Ausdruck:

 

«Beim Risikomanagement wird so getan, als könnte man beim Autofahren die Risiken besser in den Griff bekommen, indem man sie an einen Copiloten mit besonderem Computer auf dem Schoss delegiert, statt sie dem Fahrer zu überlassen.» Da wird das Risikomanagement schnell komplexer als die komplexen Risiken selbst.» (Brandes & Brandes, Einfach managen, 2014)

Entwicklung von Humanfaktoren

 

Taugliche und erprobte Informationen zur Entwicklung von Humanfaktoren für den Umgang mit Risiken finden sich zum Beispiel in der High Reliability Theory (vgl. Weick & Roberts, 1993). Sie ist aus der Untersuchung von Organisationen hervorgegangen, welche ein hohes Gefährdungspotenzial aufweisen, aber dennoch weniger Unfälle produzierten als statistisch zu erwarten wäre. Die Sicherheit dieser Systeme basiert gemäss den Erkenntnissen der Forscher grundsätzlich auf «achtsamem Handeln» (heedfulness). «Achtsames Handeln » wird umschrieben als Zusammenspiel von Fehlertoleranz, Abneigung gegen Simplifizierung, Sensibilität für betriebliche Abläufe, Streben nach Flexibilität sowie Respekt vor fachlichem Wissen und Können. Die zivile und die militärische Luftfahrt setzten die Ergebnisse dieser Untersuchungen bereits früh mittels Human Factors Training (Crew Resource Management) in die Praxis um. Bezüglich der Anwendung in durchschnittlichen Unternehmungen bemängeln Kritiker oftmals, dass diese Art der Ausbildung ungeeignet sei. Diese Kritik wurde 2010 durch Brandl (Brandl, 2010) aufgegriffen. Er stellte die Frage, ob denn erst

 

Das kontrollierte Eingehen von Risiken ist die Grundlage von Chancenwahrnehmung, Erfolg und von nachhaltiger Sicherung des unternehmerischen Fortbestandes.

 

Menschenleben in Gefahr sein müssen, um den «Untiefen menschlichen Reagierens und Handelns» gezielt und umsichtig zu begegnen. Unter dem Begriff «Company Resource Management » zeigt er auf, dass die gleichen Reaktionsmuster, Wahrnehmungsfehler und Kommunikationspannen sowohl in der Fliegerei als auch in Unternehmen ihre gefährliche Wirkung entfalten können. Auf Basis dieser Überlegungen liegt es nahe, dass dieselben Massnahmen auch bei Führung und Mitarbeitendenentwicklung zu einer Verminderung von Fehlern und dem reduzierten Eintreten von Risiken beitragen können.

Für Unternehmen adaptierbare Grundprinzipien aus High Reliability Organizations

 

Kognitive und interpersonelle Fertigkeiten, welche mit Human Factors Training geschult werden, können ohne grossen Aufwand adäquat und angepasst auf Unternehmen ohne spezielle Gefahrenexposition angewendet werden:

 

«Situational Awareness» unterstützt das Erkennen von «weak signals» (vgl. Ansoff & McDonnell, 1990). Hierbei geht es darum, frühzeitig die Situation um sich herum umfassend erfassen und einschätzen zu können, Hintergründe zu verstehen und Folgen abschätzen zu können. Durch Schulung von «Decision Making» können auf effiziente Weise fundierte und strukturierte Entscheide herbeigeführt werden, was ebenfalls für die Führungsarbeit Vorteile bringt. Insbesondere bei unklaren oder herausfordernden Situationen ist mittels «Cooperation/ Teamwork» der zielgerichtete Einsatz von Teamarbeit und Know-how unabdingbar. Aktive Führung mit «Leadership & Management skills» unterstützt die Einhaltung von externen Rahmenbedingungen, den Anspruch der guten Unternehmensführung (good governance) sowie den effizienten Mitteleinsatz. Grundlage der Human-Factors Elemente bildet eine situationsgerechte Kommunikationsbasis «Communication».

 

Massnahmen zur Vermittlung dieser Fertigkeiten sollten für jede Unternehmung individuell ausgestaltet werden, um den Nutzen zu maximieren. Im Sinne einer zielgruppenorientierten Anwendung sind adressatengerechte und mit wenig Zusatzaufwand durchführbare Massnahmen von zentraler Bedeutung. Die primäre Funktion der Mitarbeitenden aus der ersten Linie muss zwingend weiterhin im Vordergrund stehen. Human Factors Training soll Mitarbeitende nicht nur im Umgang mit Risiken, sondern auch in der Zielerreichung und in alltäglichen Aufgaben unterstützen. Damit dies gelingt, ist vor der Planung von Massnahmen das weitere und nähere Umfeld individuell und umfassend zu analysieren. Dazu gehören regulatorische sowie marktbedingte Rahmenbedingungen, Unternehmensziele und -werte, Organisation, Prozesse sowie Ressourcen.

Umsetzungsbeispiel

 

Als möglicher Verankerungsansatz kann ein Schulungs- und Sensibilisierungskonzept mit aufeinander aufbauenden Modulen angewendet werden:

 

Mitarbeitende und Fachspezialisten ohne spezifische Rolle im Risikomanagement (z.B. Mitarbeitende ohne Risiko- und Kontrollverantwortung) werden lediglich über die gelebte Risikokultur und über Grundlagen und

 

Die primäre Funktion der Mitarbeitenden aus der ersten Linie muss zwingend weiterhin im Vordergrund stehen.

 

Eckwerte der unternehmerischen Risikomanagementstrategie informiert. Im Fokus steht die eigene Rolle und damit verbunden der Grundsatz des eigenverantwortlichen Handelns im Sinne unternehmerischer Ziele und Werte. Bereits auf dieser Stufe bietet die Einbindung von Human- Factors-Komponenten einen Mehrwert bezüglich des Verhaltens. Die vermittelten Informationen können zum Beispiel durch E-Learnings zusätzlich verankert sowie durch periodisch wiederkehrende Kommunikati-onsmassnahmen während der gesamten Anstellungsdauer präsent gehalten werden.

 

Führungskräfte nehmen oftmals die Rolle von Kontrollverantwortlichen oder sogar von Risikoeignern ein. Sie können im Rahmen von regulären Führungsausbildungen und Kaderveranstaltungen in Risikoidentifikation, Ana-

 

Im Fokus steht die eigene Rolle und damit verbunden der Grundsatz des eigenverantwortlichen Handelns im Sinne unternehmerischer Ziele und Werte.

 

lyse, Bewertung und der Bewältigung sensibilisiert und befähigt werden. Sensibilisierungs- und Ausbildungssequenzen, welche direkt in Praxisbeispiele und -referate eingebaut sind, erhöhen die Praxisnähe deutlich, erhöhen aber andererseits auch die Anforderungen an Ausbildner und Referenten. Eine Einbindung der aufgezeigten Human-Factors-Aspekte bereichert Führungsausbildungen und fördert eine differenzierte Auseinandersetzung mit Risikosituationen im Alltag. Durch Anwendung und Reflexion des Erlernten im gewohnten Umfeld kann eine nachhaltige und im Alltag umsetzbare Lernwirkung erzielt werden.

 

Mitarbeitende mit zugewiesener Zweitfunktion im Risikomanagement (z.B. Risikokoordinatoren, Mitglieder von Risikomanagement- Boards etc.) unterstützen Fach- und Führungskader entlang dem gesamten Risikomanagementprozess und nehmen dadurch eine Scharnierfunktion zwischen der ersten und den nachfolgenden Verteidigungslinien ein. Diese Zielgruppe ist oftmals eher klein, sollte aber zusätzlich zu den bereits aufgezeigten Themen auch bezüglich Rahmenbedingungen von Risikomanagement geschult werden. Für eine wirtschaftlich sinnvolle Ausbildung ist eine thematische Bündelung der Themen unumgänglich. Je nach Seniorität kann das Schwergewicht bedarfsorientiert eher auf System- Prozessund Methodik wissen, das Zusammenwirken verschiedener Funktionen oder den Umgang mit Risiken gelegt werden. Human Factors Training bietet für den Umgang mit Risiken auch hier eine wertvolle Unterstützung. Der Nutzen der Ausbildungsmassnahme kann durch Wissensvermittlung im Präsenzsystem weiter gesteigert werden. Der Austausch und die Vertiefung in Lern- und Arbeitsgruppen ermöglicht es, Risikoverständnis und -kultur bereichsübergreifend aufeinander abzustimmen.

Fazit

 

Sensibilisierte und befähigte Mitarbeitende steigern durch gelebte Achtsamkeit im Sinne von «heedfulness » die Qualität von Risikomanagement entlang dem gesamten Prozess. Durch aktives Managen von Risiken helfen sie

 

Wenn es nicht gelebt wird, dann ist es unnütz.

 

mit, Ressourcen effizient einzusetzen, Chancen frühzeitig zu erkennen und Risiken letztendlich zielorientiert und bewusst mit dem richtigen Appetit einzugehen.

 

«Gedacht ist noch nicht gesagt, gesagt ist noch nicht gehört, gehört ist noch nicht verstanden, verstanden ist noch nicht einverstanden, einverstanden ist noch nicht angewendet, und angewendet ist noch nicht beibehalten » (Konrad Lorenz (1903–1989)

 

Einen umfassenden Schutz bieten die aufgezeigten Massnahmen alleine noch nicht. Eine gewinnbringende Anwendung und Beibehaltung von Human Factors erfordert eine kontinuierliche Kommunikation, die Etablierung von Risikomanagement als Führungsinstrument im Alltag sowie die Förderung einer offenen Fehler und Risikokultur mit konkreten Massnahmen. Management und Führung müssen für Erfolge, aber auch für einhergehende Risiken und Misserfolge einstehen dürfen. Ein derart gestaltetes Führungsumfeld ermöglicht erst einen verantwortungsvollen Umgang mit Risiken und letztlich auch, dass aus Risiken Chancen entstehen können.

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