Angewandte und vorgelebte soziale Verantwortung
An der letzten Verleihung des Swiss Arbeitgeber Awards waren die Paraplegiker die grossen Abräumer: Nicht nur gewann die Schweizer ParaplegikerVereinigung SPV in ihrer Kategorie den ersten Preis, auch das Paraplegiker-Zentrum in Nottwil, quasi die «Schwesterfirma», schnitt mit dem vierten Rang in der Kategorie «Grossunternehmen» sehr gut ab. Wo liegen die Geheimnisse dieses Erfolgs?
Für die Querschnittgelähmten in der Schweiz wird sehr viel getan: Wenn es die von Dr. Guido A. Zäch gegründete Paraplegiker-Stiftung nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Gleichsam die «kleine Schwester» der Stiftung ist die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung SPV. Der 1980 gegründete Verein ist der nationale Dachverband der Querschnittgelähmten. In Nottwil, wo sich auch der Standort des über die Landesgrenzen hinaus bekannten Paraplegiker-Zentrums mit seinen umfassenden medizinischen Einrichtungen für die Behandlung und Rehabilitation von Para- und Tetraplegie befindet, unterhält die SPV ihre Geschäftsstelle mit derzeit über 60 fest angestellten Mitarbeitenden. Es handelt sich also um ein klassisches KMU. Geleitet wird dieses von Dr. Thomas Troger, seines Zeichens ein Vorkämpfer für wertschätzende Führung.
Herr Dr. Troger, Sie durften mit Ihrer Organisation den ersten Preis des Swiss Arbeitgeber Awards in der Kategorie «50 – 99 Mitarbeitende» entgegennehmen. Sicher eine grosse Genugtuung. Wie merken Sie nun selber bei Ihren Mitarbeitenden, dass Sie als Chef vieles richtig machen?
Thomas Troger: Das merke ich sehr einfach, indem meine Mitarbeitenden immer top-motiviert sind und mit Freude zur Arbeit kommen. Sie zeigen sich bereit, neue Aufgaben anzunehmen und sind offen für Veränderungen, auch kurzfristige. Dies alles sind Zeichen, dass ein Betrieb gut funktioniert. Ich selbst bin – als Walliser – sehr direkt und spreche alles klar und deutlich an, und dies stetig. Das schätzen die Mitarbeitenden. Denn Ehrlichkeit gehört einfach zu einer Kultur. Man muss Dinge auf den Tisch legen können, auch wenn es nicht immer angenehm ist. Wenn es bilateral mit dem direkten Vorgesetzten nicht klappt, muss man den Mut haben, sich auch an die nächsthöhere Stufe zu wenden. Denn wir Vorgesetzte sind gefordert, zu Lösungen zu kommen. Dies setzt eine Kultur des Vertrauens voraus – und diese fordere ich auch ein. Die Mitarbeitenden merken, dass sie gemeinsam die besseren Leistungen bringen als alleine. Darin besteht ja dann auch der Mehrwert einer Unternehmung, und ich begreife nicht, wie häufig Manager nicht sehen, dass man an den sog. weichen Faktoren arbeiten muss. Es gilt, am Mindset zu arbeiten und die Mitarbeitenden ins Boot zu holen. Es liegt auf der Hand, dass da nicht jeder Mitarbeitende reinpassen kann – nicht, weil er schlecht arbeitet, sondern weil er sich einfach mit der Unternehmenskultur nicht verträgt.
Worin bestehen für Sie die wichtigsten Eckpfeiler eines guten Arbeitgebers?
Ein guter Arbeitgeber muss überlegen, wie er längerfristig die jüngere Generation in ein Unternehmen bringt, auch wenn diese nicht überall gleich «funktioniert» wie wir Älteren. Denn es gibt je länger je weniger Mitarbeitende auf dem Markt. Deshalb müssen wir Wertschätzung und Vertrauen im Betrieb aufbauen, verbunden mit Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit als Führungspersonen. Menschen – vor allem junge – gehen gerne dort arbeiten, wo es ihnen Freude macht, wo sie sich entwickeln und wo sie das Unternehmen mitgestalten können. Denn Mitarbeitende sind immer auch Mitunternehmer.
Und wie sieht das bei Ihnen praktisch aus?
Nur so ein Beispiel: Vollzeit-Mitarbeitende sind bei uns angehalten, pro Jahr 20 Verbesserungsvorschläge schriftlich einzureichen. So kann sich ein Mitarbeiter automatisch einbringen und die Unternehmensentwicklung mitgestalten. Als Unternehmen können wir nur funktionieren, wenn wir die weichen Faktoren pushen und Vorbilder schaffen, damit es auch «Nachbilder» gibt.
Wie kommt das «Einfordern» von Verbesserungsvorschlägen bei den Mitarbeitenden an?
Das funktioniert sehr gut. Es brauchte einiges an Überzeugungsarbeit für die Einführung. Damals erklärte ich den Leuten noch nicht, dass dies mit dem EFQM-Modell zusammenhängt. Es geht mir darum, die Mitarbeitenden zu mehr zu befähigen; denn sie können in der Regel viel mehr, als man ihnen gemeinhin zutraut. Und diese Fähigkeiten muss man abholen. Führung benötigt Anforderungen; man muss Ziele setzen, sonst ficht man im Nebel. Und nicht zuletzt muss ich als Chef Verhaltensänderungen, die ich erreichen will, auch selbst vorleben. Verbesserungsvorschläge zu machen und einzufordern, ist dazu ein gutes Instrument. Es ist zwar aufwendig und benötigt ein Commitment von allen. Doch mit der Zeit geht dies in die Kultur des Unternehmens über. Indem sie Verbesserungsvorschläge einreichen müssen, fühlen sich Mitarbeitende auch ernst genommen. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich vor bald 30 Jahren als frischgebackene Führungskraft: Voller Elan reichte ich aus eigenem Antrieb schriftliche Verbesserungsvorschläge bei meinem Chef ein. Diese wurden aber einfach schubladisiert. Es ist doch himmeltraurig, wenn der Chef bei der Umsetzung der Flaschenhals ist. Ein Chef muss Coach sein und nicht einfach ein besserer Sachbearbeiter.
Sie haben das EFQM-Modell erwähnt. Welche Rolle spielt dieses in Ihrem Betrieb tatsächlich?
Zu viel wird in Unternehmen noch über Kontrolle geführt. Klar: Gewisse Kontrollen und Überprüfungen sind wichtig. Diesbezüglich besteht im Deming-Kreis Plan – Do – Check – Act ein hervorragendes Modell: Auch wir planen, führen aus, prüfen bzw. checken und agieren. Und im «Check» besteht genau dieses notwendige Kontrollinstrument. Da muss ich als Chef nicht noch zusätzlich hinter jedem Mitarbeitenden stehen und fragen, ob er nun wirklich alles erledigt hat oder nicht. Aber: Wenn ich Freiraum gebe, dann erwarte ich Verantwortung. Wenn ich Vertrauen gebe, dann erhalte ich aber auch Leistung. Ich muss als Chef einfach etwas mein Ego zurückfahren, dann geht das.
Und über die eingehenden Verbesserungsvorschläge führen Sie ja im gleichen Atemzug eine Qualitätskontrolle, auch in Sachen Führung.
Im Prinzip ja. Gegenwärtig befassen sich viele Verbesserungsvorschläge mit der Digitalisierung und damit, was man alles mit Technologie optimieren kann. Es geht dabei vor allem um die Verbesserung von Prozessen. Denn wir sind verpflichtet, effizienter zu werden.
Die SPV ist eine Non-ProfitOrganisation. Muss man eine solche anders führen als ein normales Unternehmen?
Nein, gar nicht. Denn man kann nicht alles auf «soziale» Art tun. Es ist eine Illusion, einen Betrieb demokratisch führen zu wollen. Aber wir haben auch bei 100 Mitarbeitenden eine flache Hierarchie. Die Herausforderung besteht darin, diese mit unserem Gedankengut an Bord zu holen. Gleichwohl muss der Verband auf alle Mitglieder eingehen. Zu diesem Zweck führen wir regelmässig grosse Umfragen durch. Mitarbeiter-Umfragen führen wir seit 1999 durch, zunächst noch jährlich, heute alle zwei Jahre.
In Ihrer Organisation arbeiten Menschen mit und ohne Handicap barrierefrei zusammen. Inwiefern ist Diversity ein Muss für eine gesunde Unternehmenskultur?
Mein Vorgänger war selbst Rollstuhlfahrer. Unter meiner Führung wurden inzwischen noch mehr Rollstuhlfahrer eingestellt. Unser Anspruch ist es, den gesellschaftlichen Mindset zu verändern. Deshalb arbeiten wir auch mit vielen Freiwilligen zusammen. Als Unternehmen muss man den Willen haben, Menschen mit Handicap einzustellen. In Sachen Diversity kann ich sagen, dass wir super unterwegs sind. Wir beschäftigen viele Teilzeit-Angestellte. Auch Mütter können nach einer Babypause problemlos wieder bei uns einsteigen. Ebenso bilden wir Lehrlinge aus; bei der jüngeren Generation benötigen wir heute zwar einen immer höheren Aufwand, um sie längerfristig einbinden zu können. Die Aussage, dass über 50-jährige Mitarbeitende mehr kosten, muss man relativieren: Klar sind sie teurer, aber sie benötigen kaum mehr Integrationsaufwand – auch dank ihrer Lebenserfahrung.
Wenn ich Ihre Aussagen insgesamt zusammenfasse, dann lässt sich behaupten: Bei der SPV findet man gelebte Corporate Social Responsibility?
Ja, das ist so. Ein weiteres Beispiel: Wir haben in unserem eigenen Reisebüro einen hochgelähmten Tetraplegiker eingestellt. Ihm muss man etwa auch beim Trinken helfen. Damit dies funktioniert, benötigt es viel Empathie durch die Arbeitskollegen, und das fördern wir. Wie beurteilen
Sie die aktuelle Situation bei der Wiedereingliederung von Menschen mit Handicap ganz allgemein?
Vieles hierzulande läuft diesbezüglich sehr gut, die Zusammenarbeit z.B. mit IV-Stellen hat sich verbessert. Auch etwa die Suva macht eine sehr gute Arbeit, auch bei der Prävention. Ich beobachte, dass KMU grundsätzlich sehr offen sind, Menschen mit Handicap zu übernehmen. Die Patrons nehmen so ihre soziale Verantwortung wahr. Grossbetriebe, vor allem internationale Konzerne, haben diesbezüglich womöglich noch Nachholbedarf. Aber unbestritten ist auch, dass Umschulungen aufwendig sind. Nicht alle Behinderten haben die Fähigkeit, etwas ganz anderes machen zu können; ein 55-jähriger Maurer kann nicht einfach Informatiker werden