Angebotsüberschuss oder Nachfrage-überhang?

Gemäss einem aktuellen Marktbericht der Bank Credit Suisse stehen in der Schweiz derzeit rund 72 000 Wohnungen leer – und es wird munter weitergebaut. Bei den Büroflächen wiederum nimmt der Leerbestand ebenfalls zu. Dort kommt hinzu, dass zwar eine Nachfrage besteht, aber nicht nach den angebotenen Flächen.

Angebotsüberschuss oder Nachfrage-überhang?

 

 

Wer sein Geld gewinnbringend anlegen will, setzt derzeit gerne auf Immobilien. So auch diverse institutionelle Anleger wie z.B. Pensi-onskassen. So erstellt die Pensionskasse der Raiffeisenbank im Westen der Stadt St. Gallen eine Überbauung mit 60 Mietwohnungen. Nur wenige 100 Meter davon entfernt ent-steht eine weitere Grossüberbauung mit über 150 2- bis 5,5-Zimmer-Wohnungen. Bauherr-schaft: Die Pensionskasse des Kantons Zürich (BVK). Die Absicht liegt auf der Hand: Die Mieterträge sollen jene Renditen bringen, welche bei anderen Anlageprodukten schon längst nicht mehr erzielt werden können.

Wohnungen gegen den Trend?
Die Quartiere im Westen der Gallusstadt wer-den also einen massiven Einwohnerzuwachs erhalten – wenn dann auch wirklich alle Woh-nungen rechtzeitig vermietet werden können. Denn diesbezüglich sieht es schweizweit näm-lich nicht allzu gut aus. Auch in anderen Städ-ten und Landgemeinden sind viele Neubauten unbewohnt. Gemäss eines aktuellen Marktbe-richts von Credit Suisse stehen derzeit rund 72 000 Wohnungen leer, insbesondere in La-gen abseits grosser Zentren. Es scheint, dass vielerorts am Bedarf vorbei gebaut wird, wie auch Birgitt Wüst, Chefredaktorin der renom-mierten Zeitschrift «Immobilien Business», in ihrem Editorial zum 264. Immobilienbrief un-längst festhielt. «Seit einigen Jahren lassen In-vestoren vor allem 3-Zimmer-Wohnungen er-stellen – wohl in der Meinung, damit dem all-gemeinen Trend zu kleineren Haushalten zu entsprechen», analysiert sie. Investoren wür-den damit der Annahme folgen, dass diese Wohnungsgrösse eine passende Lösung so-wohl für Mehrpersonen- wie auch für Klein-haushalte sei. Familien benötigen jedoch mehr Wohnraum als nur drei Zimmer, und für Ein-zelpersonen ist die Miete einer solchen Woh-nung wohl schlicht zu teuer. Jüngste Zahlen des Immobilien-Dienstleisters Homegate be-legen aber, dass sich eine steigende Anzahl von Käufern gerade für kleine Wohnung interes-siert. Die Investoren liegen also nicht ganz falsch.

Weit weg von Wohnungsknappheit
Dass zusehends auf Halde – und am Markt vorbei – gebaut wird, ist auch die Einschät-zung des privaten, unabhängigen Beratungs-und Forschungsunternehmens Fahrländer Partner Raumentwicklung (FPRE). Jährlich stellt dieses Unternehmen im Immobilien-Almanach Schweiz wichtige Kennzahlen zur Entwicklung des Schweizer Immobilien-marktes zusammen, auch aufgeschlüsselt nach Regionen. In der Ausgabe 2018 stellen die Autoren denn auch fest, dass aufgrund des ungebremsten Bauens auf Vorrat nicht nur die Leerstände steigen, sondern auch die Marktmieten in den Nachfragermärkten sin-ken. Betroffen seien einerseits Altbauten, aber auch «falsch konzipierte Neubauten», wie es heisst. Von einer Normalisierung die-ser Situation sei bis auf Weiteres nicht auszu-gehen, so die Einschätzung von FPRE.

 

Die Gleichung «Gute Konjunktur = hohe Zuwanderung = wachsende Nachfrage nach Wohnraum» stimmt so nicht mehr. Denn das wirtschaftliche Wachstum wird immer mehr durch Steigerung der Produktivität erreicht – und dies benötigt nicht zwingend mehr Ar-beitskräfte. Deshalb nimmt auch die Zuwan-derung und damit die Nachfrage nach Woh-nungen ab. «Dies dürfte dazu führen, dass an den grosszentralen Standorten zwar keine Entspannung, aber auch keine weitere Ver-schärfung der Wohnungsknappheit zu er- warten ist und dass gegebenenfalls die in den vergangenen Jahren stark angestiegenen Leerstände in den weniger zentralen Orten nicht so zügig abgebaut werden können wie erhofft», schreiben dazu die Autoren des Im-mobilien-Almanachs 2018.

Wohneigentum: eine Frage der finanziellen Tragbarkeit
Und wie sieht es beim Wohneigentum aus? Da zeigt sich der Markt recht stabil. Die Schwei-zerische Nationalbank warnt zwar regelmä-ssig vor einer «Immobilienblase», indes ver-harren die Preise etwa für Einfamilienhäuser seit Längerem auf gleichem Niveau oder sin-ken sogar leicht – der Swiss Real Estate Offer Index zeigte im Sommer 2018 sogar einen Rückgang bei den Angebotspreisen für Einfa-milienhäuser von mehr als 3 Prozent. Aktuell kostet der Quadratmeter Einfamilienhaus 6259 Franken (Stand 7.9.2018), das sind aller-dings wieder gut 60 Franken mehr als noch im Vorjahr. Dies deckt sich mit der Beobach-tung von FPRE, dass seit 2017 wieder ver-mehrt Preisanstiege zu verzeichnen sind. Ins-gesamt sei bei den Einfamilienhäusern Ange-bot und Nachfrage ausgewogen. Bei Eigen-tumswohnungen (Stockwerkeigentum) hin-gegen herrsche örtlich ein Überangebot. Das Problem, so FPRE, liege auch darin, «dass wei-terhin ein bedeutender Teil der Nachfrage vom Markt ausgeschlossen wird, weil die Haushalte entweder die Richtlinien der Trag-barkeit nicht erfüllen oder zu wenig Eigenka-pital einbringen können.»

Viele Büroflächen suboptimal für KMU
Was für Wohnimmobilien gilt, trifft in ähnli-cher Weise auch für Büroflächen zu. Auch hier besteht eine hohe Verfügbarkeit von frei-en Flächen, sowohl bei neu erstellten wie auch bei bestehenden Bauten. Dafür verant-wortlich sind im Wesentlichen zwei Gründe: Einerseits wurden in den letzten Jahren viele Flächen neu geschaffen, anderseits bestehen an nicht wenigen Standorten eigentliche «Bü-robrachen», weil diese Büros den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügen. Dort sind alternative Nutzungskonzepte gefragt – oder ein kompletter Abbruch bzw. Neubau. Ge-mäss Einschätzung von Fahrländer Partner Raumentwicklung dürfte allerdings die Glei-chung «Mehr Bürobeschäftigung = höhere Nachfrage nach Büroflächen» weiter aufge-hen. Nicht zuletzt verantwortlich dafür ist das ungebrochene Wachstum des tertiären Sektors im Zuge des digitalen Wandels. Doch gerade hier tut sich anscheinend eine Lücke auf: Das zwar vorhandene Angebot an Büro-flächen deckt sich nicht mit den Bedürfnissen der Nachfrager, allen voran der KMU. Gemäss einer Studie des Instituts für Finanzdienst-leistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern wüssten die Anbieter zu wenig über diese Kundengruppe. Die Folge: Der Leerstand bei grossen und kleinen Flächen nimmt zu, wäh-rend sich KMU gezwungen sehen, subopti-male Büros zu mieten oder sich in Clustern zu organisieren. Eine Marktanalyse der Forscher am IFZ zeigt, dass besonders die Kleinunter-nehmen – und diese bilden mit über 90 Pro-zent den grössten Anteil an den rund 580 000 Unternehmen in der Schweiz – mit Mietwün-schen zwischen 150 und 750 Quadratmetern zwischen Stuhl und Bank fallen. Sie sind zu gross, um von Betreibermodellen wie Cowor-king zu profitieren, und zu klein, um als Al-leinmieter aufzutreten. In einem Beispiel-portfolio machen KMU mit Räumlichkeiten von durchschnittlich 280 Quadratmetern mehr als ein Drittel der Verträge aus. Dabei ist die Spanne der KMU-Geschäftsfelder sehr breit. Im Beispielportfolio streuen die Miet-verträge für KMU-Büroflächen über 48 Bran-chen, mehr als die Hälfte davon gelten nicht als klassische Bürobranchen. Das bedeutet: Diese KMU suchen kleinteilige und flexibel nutzbare Räume für Büros und für Logistik, Kleinserienproduktion oder Verkauf.

Mehr auf KMU als Mieter zugehen
Vor allem neugegründete und stark wach-sende KMU suchen Büros. In qualitativen In-terviews konnten die Forscher der Hoch-schule Luzern zeigen, dass die KMU die Qua-lität der Informationen der Vermieter be-mängeln, aber die Interviewpartner sich trotzdem nicht hilfesuchend an einen Mak-ler oder andere Experten wandten, obwohl sie selbst nicht über Immobilienwissen ver-fügten. Der Entscheidungsprozess und das Definieren der Wünsche an neue Räume fin-den in den Unternehmen jedoch weit vor der Suche statt, die «Customer Journey» startet viel früher. Es wäre daher ratsam für die An-bieter, langfristige Kundenbeziehungen zu KMU aufzubauen. Weiter empfehlen die Stu-dienautoren den Vermietern von Büroflä-chen, mehr Hintergrundinformationen zu Mietverträgen zu liefern, Vorteile neuer Bü-rolayouts für KMU zu erläutern oder auch Wegleitungen, Checklisten für die Suche und Videokurse anzubieten.

 

 

 

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