Aktualisierte Guidelines: Was wirklich neu ist
Bei Unfällen mit verletzten Personen können Minuten über Leben und Tod entscheiden. Gut ist es deshalb, dass es einheitliche Richtlinien für die Anwendung lebensrettender Sofortmassnahmen wie z.B. die Reanimation gibt. Im Oktober 2015 wurden die Reanimationsrichtlinien aus dem Jahr 2010 weltweit aktualisiert.
Es ging nach diesem 15. Oktober 2015, als die neuen Guidelines präsentiert wurden, nicht mehr lange und erste Einschätzungen waren gemacht: nicht viel passiert, nichts Neues, nur 100 bis 120 Kompressionen pro Minute oder nur 5 bis 6 Zentimeter Kompressionstiefe – das machte die Runde unter den Betriebssanitätern.
Auf den ersten Blick mag das auch zutreffen. Die technischen Änderungen für den Provider sind tatsächlich geringfügig. Bei genauerer Betrachtung aber lässt sich feststellen, dass 2015 im Vergleich zu früheren Jahren zwar deutlich am wenigsten technische Veränderungen publiziert wurden, dass sich die Art der Betrachtung aber enorm entwickelt hat. Es ging darum, Klarheit über das zu gewinnen, was wir wissen und belegen können – und ebenso um eine Vorstellung davon, zu welchen Fragestellungen rund um die Reanimation und kardiozirkulatorische Notfallsituationen wir nichts oder zu wenig wissen
Was ist neu?
Neuerungen gibt es unter anderem deshalb so wenige, weil die Maxime nun darin besteht, nur zu ändern, was zu ändern sich wissenschaftlich seriös argumentieren lässt. Gegenüber früheren Detailbetrachtungen tritt 2015 der Systemansatz deutlicher in den Vordergrund. Dabei geht es beispielsweise um die Interaktion zwischen Laie, Dispatcher, Rettungsdienst und Spital als Gesamtsystem zur Steigerung von Überlebenschancen. Es geht darum, die Elemente Erkennen, Alarmieren, BLS-AED, A(C)LS und Postreanimationsversorgung systemisch zu integrieren und anzuerkennen, dass die Chancen auf Überleben nur dann relevant beeinflusst werden können, wenn die einzelnen Systemelemente ineinandergreifen. Kurz: Die Überlebenskette wird reanimiert. Trainiere das System, heisst es erstmals – und ebenfalls erstmals wird die Notwendigkeit betont, neben den klassischen Skills insbesondere auch Non-Medical-Skills zu trainieren.
Neu ist 2015 demnach nicht nur das, was sich geändert hat – eine andere Kompressionsfrequenz, ein neues Medikament, eine adaptierte Dosierung. Derartige Veränderungen technischer Details sind in den vergangenen Guideline-Auflagen weidlich realisiert worden. Neu sind 2015 insbesondere Veränderungen der Bewertung und Betonung bei distanzierterer Betrachtung. Auf der anderen Seite gibt es viel Bestätigung dafür, dass Empfehlungen aus 2010 Bestand haben können. Aber Achtung: viele 2010er-Empfehlungen wurden deshalb nicht aktualisiert, weil sie nicht Gegenstand der Betrachtung waren.
Die wesentlichen Änderungen lauten wie folgt:
- Es wird empfohlen, dass Disponenten der Sanitätsnotrufzentralen Ersthelfer bei der Erkennung eines Kreislaufstillstandes und der Durchführungder Basismassnahmen telefonisch unterstützen.
- Die Wichtigkeit der Ersthelferausbildung, die Einrichtung von PAD-Systemen in spezifischen Settings sowie der Einsatz von First Respondern wird betont.
- Weiterhin wird ein Verhältnis von 30 Thoraxkompressionen zu 2 Beatmungen empfohlen.
- Herzmassage alleine soll durchgeführt werden, wenn ein Ersthelfer die Beatmung nicht erlernt hat.
- Die Frequenz der Herzmassage soll 100 bis 120 Kompressionen pro Minute betragen.
- Die Tiefe der Thoraxkompression wird für Erwachsene mit 5 bis 6 cm empfohlen.
Woher kommt das Neue?
Die wichtigsten Dokumente sind in diesem Zusammenhang der ILCOR Consensus on CPR an ECC Science sowie die daraus abgeleiteten Guidelines der American Heart Association AHA und des European Resuscitation Council ERC. Diese englischsprachigen Originaldokumentationen sind umfangreich, frei zugänglich und von ausgezeichneter Qualität. Zudem sind bereits unterschiedliche offizielle Sprachvarianten publiziert worden
Die ILCOR erstellt Handlungsempfehlungen. Diese Empfehlungen sind immer als Antworten auf die vorgängig formulierten Fragen zu verstehen. Im Kapitel Basic Life Support bei Erwachsenen wurden zu 23 PICOFragen hoher Priorität 32 Empfehlungen erarbeitet. PICO bezeichnet dabei den Patienten (oder das Problem), die Intervention, den Vergleich (Comparison) und das Outcome. Zur Erläuterung hier das folgende Beispiel einer PICO-Frage zu einem zentralen BLS-Thema: «Ändert eine bestimmte Frequenz der externen Thoraxkompression (I) bei Erwachsenen und Kindern im Kreislaufstillstand jedwelcher Art (P), verglichen mit einer Kompressionsfrequenz von 100/ min (C) das Überleben mit gutem neurologischem Outcome bei ROSC, Entlassung, 30 Tage (…) bzw. 180 Tage (O)?»