Agile Methoden kann man nicht kaufen – aber lernen!
Die Umstellung auf agile Methoden ändert nicht nur Prozesse im Unternehmen, sondern auch die Einstellung aller Beteiligten: Teams bekommen mehr Verantwortung, der Führungsstil wechselt von «Command & Control» zu «Agile Leadership». Um diese Veränderungen erfolgreich und nachhaltig umzusetzen, bedarf es eines gezielten, rollenbezogenen Coachings.
Veränderungen gehen immer schneller vonstatten, während Unternehmen in alten, nicht mehr zeitgemässen Strukturen feststecken. Die Einführung agiler Prozesse ist hierfür eine Lösung: Sie verhelfen zu mehr Flexibilität und verkürzen Anpassungszeiten. So weit, so gut. Aber warum ist Coaching wichtig für die Einführung agiler Prozesse und Methoden? Das agile Manifest von 2001 macht in vier kurzen Statements deutlich, was sich ändern muss:
- Individuen und Interaktionen haben Vorrang vor Prozessen und Werkzeugen.
- Funktionsfähige Produkte haben Vorrang vor ausgedehnter Dokumentation.
- Zusammenarbeit mit den Kunden hat Vorrang vor Vertragsverhandlungen.
- Das Eingehen auf Änderungen hat Vorrang vor strikter Planverfolgung.
Die Schwierigkeit ist jedoch, diese Prinzipien auf Unternehmen, Teams und Strukturen anzuwenden, die viele Jahre genau anders herum gedacht und gearbeitet haben: Aufgaben wurden vorgegeben, Vorgehen bis ins Detail definiert, Zeit und Energie für Statusmeetings verbraucht und neue Ideen durch langwierige Genehmigungsverfahren im Keim erstickt. Prozesse kann man definieren und Tools lassen sich konfigurieren. Doch egal, wie detailliert Prozesse beschrieben werden, eines ist nicht zu vergessen: Es sind nicht Prozesse, die arbeiten und denken, sondern die Menschen. Prozesse sollten ein Hilfsmittel für mehr Effizienz und Produktivität sein. Das gelingt aber nur, wenn alle Beteiligten die Möglichkeit haben, sie nach ihren Bedürfnissen anzupassen. Wenn Unternehmen also agil arbeiten wollen, müssen sie nicht nur ihre Arbeitsweisen überdenken, sondern das Verhalten und die Denkweisen aller Beteiligten müssen sich ändern. Durch gezieltes und gutes Coaching kann dies erreicht werden. Während klassisches Management die Handlungen der Mitarbeiter und deren Resultate betrifft, setzt Coaching eine Ebene tiefer an: Es beeinflusst die Einstellungen und Ansichten und erzeugt neue Erfahrungen, die sich wiederum auf die Handlungsebene auswirken.
Coach vs. Consultant
Coaching wird gern mit Consulting verwechselt, doch ist der Unterschied eindeutig: Während beim Consulting häufig Lösungen vorgegeben werden oder ein bestimmtes Vorgehen angeraten wird, will ein Coach befähigen, Lösungen und Vorgehen selbst zu entwickeln. Ein Beispiel macht es deutlich: Wer sich mit der ScrumMethode vertraut macht, wird schnell auf den Satz stossen: «Der Scrum Master sollte nicht auch gleichzeitig Entwickler sein». Diese Aussage führt bei vielen Teams zu Zweifeln, ob sie dann überhaupt nach Scrum arbeiten können, wenn sie keinen dedizierten ScrumMaster haben. Wie würde nun ein Consultant auf eine solche Frage reagieren? Er könnte bestätigen, dass in diesem Fall nicht Scrum-konform gearbeitet werden kann und ein ScrumMaster eingestellt oder abgestellt werden muss. Eine andere Antwort könnte sein, dass man in diesem Fall einfach einen rotierenden Scrum Master aus dem Team benennt.
Ein Coach hingegen würde in dieser Situation zunächst hinterfragen, warum überhaupt ein Scrum Master empfohlen wird und welche Rolle er im Prozess hat. Seine Lösung könnte ähnlich sein wie jene des Beraters, jedoch mit dem Unterschied, dass der Coach gleichzeitig die Lösungskompetenz vermittelt. Gemeinsam mit dem Team unterstützt er die Lösungsfindung in der konkreten Situation und bringt so das Team dazu, beim nächsten Mal eine solche Entscheidung selbstständig treffen zu können. Der Coach führt, leitet an und hilft dabei, eigene Schlüsse zu ziehen und Lösungen zu erkennen. Nur dann wird der einzelne Mitarbeiter, das Team oder auch das Management in die Lage versetzt, auch ohne den Coach den agilen Weg weiter zu gehen
Systemisches Coaching
Coaching, ob agil oder nicht, ist also immer da sinnvoll, wo Verhalten langfristig und nachhaltig verändert werden soll. Und es ist notwendig, wenn es nicht nur darum geht ein spezifisches Problem zu lösen, sondern Menschen oder Teams zu befähigen, eigene Lösungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen. Agiles Arbeiten setzt also auch eine Veränderung der Einstellung und erlernter Arbeitsweisen voraus. Diese Veränderungen betreffen die Individuen, die Organisation im Ganzen sowie die bestehenden Wechselwirkungen und sind dementsprechend in drei Dimensionen zu sehen:
- Organisation
- Ist-Stand
- individuelles Verhalten
Die Erfahrung zeigt, dass die Einführung agiler Methoden immer dann nachhaltig gelingt, wenn Unternehmen diese drei Dimensionen beleuchten, Abhängigkeiten darlegen und diese als Grundlage und Startpunkt für die agile Veränderung nutzen. Das Systemische Coaching stellt den Bezug zwischen den Dimensionen her, indem es auf allen drei Ebenen ansetzt.
Team Coaching
Hier lernen die Teams, was agil bedeutet und verstehen die Rollen und Verantwortlichkeiten, die damit einhergehen. Sie lernen, sich gegenseitig zu unterstützen und zu respektieren. Die Teams durchlaufen dabei in der Regel vier Phasen: Forming, Storming, Norming und Performing.
Management Coaching
Ebenso wie die Teams muss auch das Management verstehen, welche Veränderungen agile Methoden mit sich bringen. Diese Veränderungen reichen von «Was ist Agile Leadership?» über «Wie funktioniert unser Bonussystem in einer agilen Umgebung?» bis hin zu «Wie wird unser gesamtes Unternehmen agil?» Manager sollen also durch das Coaching befähigt werden, die Verantwortung für den agilen Wandel zu übernehmen und ihn zu koordinieren.
Coaching einer Organisation
Natürlich kann man eine Organisation als solches nicht coachen. Dennoch haben nicht nur Menschen, sondern auch Unternehmen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen. Man muss sich die Organisation als Netzwerk vorstellen, in dem sich an unterschiedlichsten Stellen und zu unterschiedlichen Zeiten Rahmenbedingungen, Anforderungen und Strukturen verändern. Agile Coaching konzentriert sich auf diese Zusammenhänge und berücksichtigt auch die weichen Faktoren wie die Unternehmenskultur. Nur wenn man versteht, wie das Gesamtsystem funktioniert, wie Menschen, Prozesse, Strukturen und Entscheidungen miteinander interagieren, wird der «Agile Change» nachhaltig funktionieren.
Der Agile Coach als Gast im Unternehmen
Die beschriebenen Aspekte implizieren bereits das Profil eines guten agilen Coaches. Hinzu kommen weitere Faktoren:
- Ein Scrum Master, ob mit oder ohne Zertifizierung, ist nicht zwangsläufig auch ein guter Coach. Erst die Erfahrung macht ihn oder sie dazu.
- Der Coach sollte nicht Teil des Teams werden. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehört es, Neutralität zu wahren und die Übersicht zu behalten. Das gelingt nur selten, wenn man in ein Projekt inhaltlich eingebunden ist.
- Agiles Vorgehen im Unternehmen einzuführen gelingt nicht durch das «Einkaufen» von Scrum Mastern.
Gute Coaches ergründen zunächst die vorherrschende Unternehmenskultur, um Tempo und Form des Wandels genau daran anzupassen und die Mitarbeiter abzuholen. Ein Schema F gibt es hierfür nicht, aber doch Hilfsmittel, mit denen die kulturellen Aspekte besser beleuchtet werden können. Ein Beispiel ist das Enterprise Transition Framework (ETF) von agile42. Damit wird zunächst der Status quo aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, um dann eine Strategie zu entwickeln, in der kurz-, mittelund langfristige Ziele festgelegt werden. In Pilotprojekten wird die Umsetzung schliesslich erprobt – stets mit dem Wissen, dass Fehler erlaubt sind und es sich bei der gesamten agilen Transformation um einen Lernprozess handelt.
Ein guter Coach setzt verschiedene Tools zur Wissensvermittlung ein, fördert Experimente, verdeutlicht Konsequenzen und fordert kontinuierliche Verbesserungen – all dies immer mit dem Ziel, den Menschen Gelegenheiten und vor allem auch Mut zur Selbstreflexion zu geben, damit Veränderung bzw. der «Agile Change» geschehen kann.