Ein Passport für Baumaterialienabfälle
Eine neu gegründete Plattform möchte Baukomponenten in einer Art Rohstoffdrehscheibe anbieten: Madaster Schweiz wurde am 1. März 2019 in der Swiss Re gegründet, um die Wiederverwendung von Materialien zu fördern und in intelligente Designs unterschiedlicher Schweizer Sektoren zu investieren.
Marloes Fischer, Initiatorin und Geschäftsführerin von Madaster Schweiz, ist überzeugt: «Die Welt ist so voll von Ressourcen. Mit unserer Online-Bauressourcen- Bibliothek können wir die Materialiensuche und -beschaffung unter Berücksichtigung von branchenspezifischen Bedürfnissen in der Schweiz vereinfachen. »
Entwicklungen in der Digitalisierung und in der Kreislaufwirtschaft werden aus Sicht der holländisch-schweizerischen Lean Managerin einen Paradigmenwechsel hervorbringen.
Geht es ihr «nur» um Werte- oder Effizienzsteigerung? Marloes Fischer unterstreicht: «Wir bieten per se ein Online-Register für Baukomponenten und Gebäudematerialpässe (siehe Infobox). Damit wird viel Transparenz geschaffen. Hierdurch bieten sich unseren Partnern neue Perspektiven und Geschäftsmodelle. Beispielsweise denken sie dabei an optimierte Hypothekareinschätzungen, Payper- use-Ansätze, proaktive Maintenance, Materialkontrollen oder versicherungstechnische Prozesse.»
Solche Geschäftsmodelle überzeugen jedoch weitaus mehr, wenn sie einen zirkulären Nutzen mit sich bringen. «Viele Investoren », so die Initiantin, «vergessen die Rückbauphase in ihre Bauprojekte miteinzubeziehen. Wir haben einen Circularity Indicator, mit dem wir die Wiederverwendbarkeit verbauter Gebäudematerialien präzise auswerten können.»
Im Madaster-Dossier wird gar ein 3D-Modell beschrieben, worin jedes Bauelement lokalisiert und weiter spezifiziert werden könnte.
Bisher kennt man solche Tools vielleicht von der Registrierung von Grundstücken und Liegenschaften oder von professionellen Tauschbörsen unter Architekten. Jetzt möchte Madaster die Schweizer Baubranche revolutionieren. Bereits fünf profilierte Unternehmen konnten für die digitale Kreislauf-Plattform gewonnen werden: Eberhard Unternehmungen, Losinger Marazzi, Swiss Prime Site AG, Swiss Re AG und die Raiffeisen Schweiz.
«Bis jetzt», bekundet Marloes Fischer am Launch von Madaster Schweiz am 1. März 2019, «hat man der Bauabfallwiederverwertung keine grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Bekommt jedoch etwas eine Identität, hat es einen Wert und landet vielleicht nicht auf der Deponie. Der Impact unserer Plattform leuchtet unmittelbar ein:
Wir lernen digital, zirkulär zu bauen, ziehen bereits in der Planungsphase die Nutzung und den Rückbau mit ein.»
Wertvoll und ressourceneffizient
Durch präzisere Materialeinschätzungen müssten Gebäude nicht gleich auf «null» abgeschrieben werden. Einzelne Materialien könnten einen vom Immobilienmarkt unabhängigen Wert beibehalten. «Wir werden den Wert von Baugütern und Gebäuden mittels Tools wie Madaster noch besser einschätzen können», bekundete beispielsweise Louis Grosjean, Bereichsleiter Segmente & Projekte Firmenkunden bei Raiffeisen Schweiz, die Partnerschaft mit Madaster Schweiz.
Ebenso wird Madaster unterstützt vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA. «Kreislaufwirtschaft ist alternativlos – auch in der Bau- und Immobilienbranche. Madaster ist die erste konkrete Initiative, die die Transformation der Branche erlauben wird. Sie fügt sich ideal in unsere Digitalisierungsstrategie ein», kommentiert Stefan Cadosch, Präsident SIA, die Initiative.
Die Immobiliengesellschaft Swiss Prime handelt nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht. «Langfristig streben wir einen emissionsneutralen Gebäudepark an. Mit dem Materialpass lernen wir den zirkulären Wert unseres Immobilienportfolios besser kennen und können dadurch unsere Nachhaltigkeitsziele erreichen», erläutert Urs Baumann, Head Sustainability and Innovation, Swiss Prime Site AG, die Motivation, Partner von Madaster Schweiz zu sein.
Swiss Re ist an globalen Lösungen interessiert, die die Widerstandsfähigkeit von urbanen Systemen stärken und damit die Risikofolgenabschätzung erleichtern. Swiss Re wird gemeinsam mit Madaster und dem Konstruktionsteam den Rückbau eines Swiss-Re-Immobilien-Assets dokumentieren und auf Basis dieser Materialien einen Madaster- Materialpass für die Konstruktion eines neuen Bauwerks erstellen.
Forschende in der «Urban Mining and Recycling (UMAR)»-Unit im NEST, dem Forschungs- und Innovationsgebäude der Empa, haben die UMAR-Unit in Madaster registriert und damit die Zirkularität des Gebäudes im Materialpass dargestellt. Die Plattform ermöglicht vielversprechende Kooperationen. Holländische Gebäudeprojekte, die Baumaterialien vollumfänglich rezyklieren, haben bereits gezeigt, wie sinnvoll es ist, den Wert eines Gebäudes über verschiedene Nutzungsund Renovierungszyklen zu erhalten, wenn nicht zu steigern.
«Allerdings sind weitere Faktoren wie die Modularität und Demontagefähigkeit wesentlich », erklärt Marloes Fischer.
Die Management-Beraterin sieht in der Madaster-Technologie eine konkrete Schweizer Lösung für die Realisierung von Ressourceneffizienz im Bau- und Immobiliensektor. «Trotzdem», so die Initiatorin und Geschäftsführerin von Madaster Schweiz, «liegt die eigentliche Herausforderung nicht in der Implementierung. Unsere Plattform braucht jetzt visionäre Pioniere und Investoren.»
Madaster Schweiz möchte mit einem neuen Standard die Schweizer Kreislaufwirtschaft respektive Bau- und Immobilienbranche prägen. Damit könnte ein Wertewandel hin zu kreislauffähigen, neuen und innovativen Geschäftsmodellen stattfinden. Madaster bietet ihre Plattform öffentlich an, um ressourcenrelevante Daten von Bauwerken zu inventarisieren, zu strukturieren und in Materialpässen zu identifizieren.
Privatpersonen, Unternehmen und auch die öffentliche Hand können ihre Liegenschaften selber registrieren, um Materialien wiederzuverwenden und in intelligente Designs zu investieren. Dies ist in Holland aktuell ab 100 Euro möglich. Vorerst geht es Madaster Schweiz jedoch darum, grössere Partnerunternehmen zu finden, die neue Plattform zu etablieren.
«Mittels Building Information Modeling ermittelt man eigentlich jetzt schon die DNA aller Baukomponenten», erklärt Marloes Fischer von Madaster Schweiz. «Wir ermöglichen es Eigentümern, verwendete Bauelemente und deren Standort zu registrieren. Ein Gebäude wird so zu einem dokumentierten ‹Lagerplatz› für Materialien.»
Es hilft Bauherren, Planern und Bauträgern, beim Entwerfen, Bauen und Nutzen von Gebäuden konzeptionell neue Wege zu beschreiten. Darüber hinaus ermöglicht der digitale Materialpass den Investoren, den Wert der Materialien in die Gesamtbewertung des Objekts miteinzubeziehen.