Welche Rolle spielen die Nachhaltigkeitsziele?
Die Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Delvelopment Goals, SDGs) der Vereinten Nationen sollen der nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen. Doch wie arbeiten Unternehmen mit diesen Zielen? Sind sie auch entsprechend relevant? Eine Studie der Sustainserv GmbH ging diesen Fragen nach.
Das Beratungsunternehmen Sustainserv GmbH analysierte die öffentlich berichteten Ansätze von 196 Schweizer Unternehmen hinsichtlich Engagement für die Sustainable Development Goals (SDGs), Intensität der Auseinandersetzung mit den SDGs, Art der unternehmerischen Zielsetzung und Qualität der Berichterstattung zu den SDGs. Um die Ansätze der Unternehmen zu bewerten, entwickelte das Beratungsunternehmen ein Scoring- System mit maximal 23 erreichbaren Punkten, das es erlaubt, einerseits Unternehmen unabhängig der Grösse und Branche zu vergleichen und andererseits ihre Ansätze in Bezug zu setzen mit dem, was sie als idealen – «Best-Practice» – Ansatz erachten.
«Klassische» Nachhaltigkeitsziele stehen im Vordergrund
Bekennen sich Unternehmen überhaupt zu den Nachhaltigkeitszielen und falls ja: wie? Die Befragung stellte fest, dass 41 Prozent der befragten Unternehmen über Führungsprinzipien verfügen, die einen Bezug zu den SDGs aufweisen. In konkreten Zahlen: 58 Unternehmen befassen sich sichtbar mit Nachhaltigkeitszielen und beziehen sich dabei auch auf die SDGs. Die von Schweizer Unternehmen am häufigsten priorisierten SDGs sind:
– SDG 3: Gute Gesundheitsversorgung
– SDG 8: Gute Arbeitsplätze und wirtschaft-liches Wachstum
– SDG 9: Innovation und Infrastruktur
– SDG 12: Verantwortungsvoller Konsum
– SDG 13: Massnahmen zum Klimaschutz
84 Prozent der Unternehmen priorisieren jene Nachhaltigkeitsziele, die in direktem Bezug zu ihrem Geschäftsmodell stehen. Aber nur fünf Prozent dieser 58 Firmen zeigen in der Studie klar auf, wie sie einzelne Nachhaltigkeitsziele auch erreichen wollen. Zwei Drittel beschränken sich auf die Erwähnung bestimmter Produkte oder Dienstleistungen.
Nur wenige messen und dokumentieren
Doch welche Ziele haben Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit festgelegt? Und messen die Unternehmen auch die Fortschritte bis zur Zielerreichung und mit welchen Indikatoren? Hier zeigt sich ein eher ernüchterndes Bild. Nur 22 Prozent – oder 14 Firmen – richten ihre Ziele nach jenen der SDGs aus. Das Erfreuliche ist aber, dass diese Firmen zeitgebunden und mittels Indikatoren die Fortschritte auch messen. Was das Reporting anbelangt, ist das Bild gemäss den Studienautoren zwiespältig. Rund ein Drittel der betrachteten Reports zeigen klar die Beiträge der Unternehmen an die SDGs auf. Bei den anderen zwei Dritteln war dies weniger klar ersichtlich oder sogar so diffus formuliert, dass ein Bezug zu den SDGs nicht feststellbar war. Alle Unternehmen strichen ihre Bemühungen und positiven Errungenschaften für mehr Nachhaltigkeit heraus, erwähnen aber ihre Defizite mit keinem Wort.
Gut gemeint, aber …
Fazit: Die Analyse zeigt, dass es im Moment noch eine Diskrepanz zwischen guten Absichten und tatsächlicher Einbettung der SDGs in die Unternehmenspraxis gibt. Es bleibt viel zu tun, damit Schweizer Unternehmen zur Erreichung der nachhaltigen Ent- wicklungsziele beitragen: Nur 30 % aller bewerteten Schweizer Unternehmen und 37 % der Unternehmen, die zu Nachhaltigkeit berichten, thematisieren die SDGs. Die 58 Schweizer Unternehmen, die sich sichtbar mit den SDGs befassen, erreichten durchschnittlich zudem nur 40 % der maximal erreichbaren Punktzahl (9,2 von 23 Punkten). Am aktivsten sind die Unternehmen bei der Priorisierung der in ihrem Kontext relevanten SDGs. Am wenigsten entwickelt sind im Moment noch unternehmensspezifische Ziele zu den SDGs und der entsprechende Leistungsausweis.
Neue Rechtsform als Lösung?
Woran liegt es, dass die Nachhaltigkeitsziele so wenig in Unternehmen verankert sind? Darauf gibt die erwähnte Studie keine konkrete Antwort. Man kann höchstens vermuten, dass der Grund in der Diskrepanz zwischen Gewinnstreben und «ethischem Gewissen» zu suchen ist. Oder anders ausgedrückt: Mit der Erfüllung von Nachhaltigkeitszielen lässt sich (noch) kein Geld verdienen. Im besten Fall tun Unternehmen etwas für ihre Reputation, indem sie sich zum Thema der Nachhaltigkeit bekennen. Die Diskrepanz zwischen «klassischer » Gewinnorientierung und Gemeinwohlorientierung auflösen will eine neue Initiative von Wirtschaftsverbänden, Hochschulen, Arbeitnehmerorganisationen und Einzelpersonen. Diese will aufzeigen, dass soziales und ökologisches Engagement heutzutage für ein Unternehmen nicht mehr bedeutet, auf Gewinne zu verzichten. Unternehmen, die neben der Gewinnorientierung noch andere ebenso wichtige Ziele setzen wollen, sehen sich schnell einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber – nicht zuletzt den Fragen von Aktionären und Investoren. Dies soll die Einführung einer neuen Rechtsform, der Benefit Corporation, vermeiden.
Das Konzept der Benefit Corporation (B-Corp) ist der praktische Versuch, unternehmerisches Handeln mit wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit zu verbinden und mehr Transparenz diesbezüglich zu schaffen. Eine Benefit Corporation wirtschaftet gewinnorientiert, ihr Ziel ist aber nicht nur der Profit für die Eigentümer und Shareholder, sondern Vorteile («Benefits ») für alle Stakeholder, das heisst für das Unternehmen selbst, für die Gesellschaft, für den Staat, für die Umwelt sowie für die Mitarbeitenden.
Die Schweiz sollte sich nicht abhängen lassen
In den USA, Italien und Puerto Rico existiert die Benefit Corporation bereits als eigene Rechtsform und in vielen Ländern weltweit läuft der Gesetzgebungsprozess dafür, so auch in der EU. Benefit Corporations können sich im Dschungel der Produktlabel und Greenwashing-Kampagnen hervortun und eine klare Botschaft an ihre Kunden, Mitarbeitenden, Lieferanten und anderen Stakeholder senden. Es wäre zu bedauern, wenn sich die Schweiz auf dem internationalen, aber auch nationalen Markt durch ausbleibende gesetzliche Massnahmen hier abhängen lassen würde …
Für eine Benefit Corporation gibt es in der Schweiz bisher nur ein auf privater Initiative beruhendes B-Corp-Label: «B-Lab Switzerland » ist ein Ableger einer amerikanischen Organisation. Die breit abgestützte Arbeitsgruppe – vertreten durch Wirtschaftsverbände, Hochschulen und Arbeitnehmerorganisationen – möchte jedoch auch auf rechtlicher Ebene die Voraussetzungen schaffen, dass Schweizer Unternehmen gesellschaftliche und betriebswirtschaftliche Ziele im Sinne einer Benefit Corporation erreichen können. Dies entweder in Form einer neuen Rechtsform oder als staatlich anerkanntes Label. Dafür sind nun Vorreiter-Unternehmen gesucht, die zeigen, was in dem Bereich schon Realität ist, und/oder die sich mit ihren Erfahrungen und Ideen an der Ausarbeitung und Formulierung der Voraussetzungen einer Schweizerischen Benefit Corporation beteiligen möchten.