Ein Verkehr mit System
Die Frage einer systematischen und kontinuierlichen Nachhaltigkeitsevaluation des Verkehrs wird immer wieder thematisiert. Die Konsensfindung bezüglich der «richtigen » Indikatoren stellt in diesem Prozess eine grosse Herausforderung dar. Neuerdings ziehen Schweizer Forschende auch Big-Data-Informationen für Verkehrsbeobachtungen und -messungen bei.
Besonders im Bereich Verkehr gilt der Leitsatz: «Man kann nichts managen, was nicht messbar ist». Verkehrsexperten drehen sich stets um die Frage, welche Nachhaltigkeits-Kriterien und Indikatoren den gesamten Verkehrsbereich miteinbeziehen könnten?
Die Konsensfindung bezüglich der «richtigen» Indikatoren stellt in diesen Zeiten eine grosse Herausforderung unter gegebenen Prämissen wie den Individualverkehr, global koordinierte Lieferketten, die Bevölkerungsdichte und schliesslich auch zu revidierende Verkehrsgesetze.
«Man kann nichts managen, was nicht messbar ist.»
Verschiedene Forschungsprojekte – so dereinst das Nationale Forschungsprogramm «Verkehr und Umwelt: Wechselwirkungen Schweiz – Europa» (NFP 41) – können als Wissensplattform für eine nachhaltige Verkehrspolitik angesehen werden.
Wie können unterschiedliche Fachdisziplinen und Lösungsbeiträge für effiziente, umwelt- und sozialverträgliche Forderungen der Mobilitätsbedürfnisse genutzt werden? Welche Verbesserungen und Lösungen geben der Verkehrspolitik- und -Realität Auftrieb in Zukunft?
Die Verkehrsentwicklung stösst je länger, je mehr an Grenzen der Umwelt- und Gesundheitsbelastung, des Energieverbrauchs, der Kapazitäten und der Kosten. Wie könnte eine gesellschaftlich wünschbare und langfristig tragbare Mobilität in einer sich wandelnden Gesellschaft erreicht werden? Das Nationale Forschungsprogramm (abgekürzt NFP) «Verkehr und Umwelt» liefert Antworten und Massnahmen.
Indikatoren unter verkehrskritischen Aspekten
In Untergruppen des Forschungsprojekts NFP wurden Indikatoren ermittelt. Hierbei spielten Einrichtungen des täglichen Bedarfs ebenso eine Rolle wie der Zugangs zu Freizeiteinrichtungen für entsprechende Bevölkerungsschichten und schliesslich auch der Schutz vor Verkehrsunfällen.
Unter solchen Sichtweisen und Teilerhebungen definierte das NFP-41-Forschungsteam 13 Kriterien, um den verkehrskritischsten Aspekten entgegenzutreten. In einem weiteren Schritt hat man diesen «Kriterien» messbare Indikatoren zugeordnet.
In den sogenannten Modulsynthesen wurde auf folgende Hauptpunkte geachtet:
Bevor in Sachen Verkehrssystem Weichen gestellt werden, beobachten und messen Schweizer Wissenschaftler unsere Bewegungsmuster.
- Umwelt und Nachhaltigkeit Die Kriterien müssen einen klaren Bezug zur Nachhaltigkeit haben.
- Statistik/ Übersichtlichkeit Das System soll übersichtlich sein und nicht die ganze Verkehrsstatistik duplizieren.
- Indikatoren für Qualitätsziele Die Indikatoren sollen sich zur Festlegung sinnvoller Qualitätsziele, wenn möglich in quantitativer Form, eignen.
- Indikatoren für Verkehrsleistung Auf einen Indikator für die Verkehrsleistung wurde verzichtet, weil die Reduktion der Verkehrsleistung nicht das eigentliche Ziel der Nachhaltigkeit ist.
Entsprechend wurde zum Beispiel das Kriterium «Beschäftigung» verworfen, da es volkswirtschaftlich nicht sinnvoll ist, eine möglichst hohe Beschäftigung im Verkehr zu postulieren. Bei der Beurteilung eines Einzelprojekts kann dessen Bedeutung für eine boomende Wirtschaft hingegen durchaus ein wichtiges Kriterium darstellen. Die Ebene der Massnahmen zur Verwirklichung eines nachhaltigen Verkehrssystems (Response- Ebene) wurde ebenso ausgeklammert.
Bessere Datengrundlage gegeben
Im ökologischen Bereich können sich Forscher heutzutage auf bessere Datengrundlagen stützen; entsprechend handelt es sich bei gesetzten Kriterien und Indikatoren meist um bekannte Grössen.
Innovativ sind besonders die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Indikatoren: Beim Kriterium «Kostenwahrheit» bilden die externen (also nicht vom Verursacher getragenen) Schadenskosten und der Deckungsgrad der betriebswirtschaftlichen Kosten je einen Indikator.
Damit wird deutlich, dass umfassende Kostenwahrheit eine zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Nachhaltigkeit ist.
Produktionsfaktor «Paket-Transport»
Als bedeutender wirtschaftlicher Indikator hat die NFP-41-Forschungsgruppe den Preis für ein Paket von definierten Verkehrsleistungen eingeführt. Aus wirtschaftlicher Sicht soll der Preis des «Produktionsfaktors Transport» möglichst tief gehalten werden, weil dies der Wertschöpfung und dem Wirtschaftswachstum zuträglich ist.
Bedingung sei laut den Studienautoren Urs Brodmann und Werner Spillmann (Quelle: «Verkehr und Umwelt: Wechselwirkungen Schweiz – Europa» ; NFP41-Synthese, 2001 veröffentlicht) allerdings, dass die Preise die volkswirtschaftliche Effizienz des Transports richtig widerspiegeln und beispielsweise keine Kosten auf die Allgemeinheit überwälzt («externalisiert ») würden.
Entsprechend hat das Forschungsteam einen korrigierten («kostenwahren») Preisindikator vorgeschlagen, bei dem normale Steuern subtrahiert und externe Kosten addiert werden.
Hauptindikator: Weg ins Regionalzentrum
Verkehrsforscher sind sich einig, dass Verkehr immer regional verstanden werden muss. Unter dieser Betrachtung werden speziell zwei Indikatoren konkretisiert:
- Gemeinwirtschaftliche Leistungen d.h. die im Voraus entrichtete Defizit-Abgeltungen der öffentlichen Hand für bestellte Verkehrsleistungen.
- Aufwand der Bevölkerung für ÖV d. h. die Dienstleistungen, welche die Bevölkerung für öffentliche Verkehrsmittel nutzt.
Dementsprechend berücksichtigen die Verkehrsexperten immer wieder auch die Zeit, die Pendler brauchen, um in ein Regionalzentrum zu gelangen.
Letztere zwei Indikatoren dienen übrigens der Zielsetzung des Eidgenössischen Bundes, den «Zugang zu Menschen, Gütern und Dienstleistungen flächendeckend und möglichst kostengünstig zu gewährleisten.»
Handlungsbedarf – heute und morgen?
Soweit es die naturwissenschaftlichen, ökonomischen und politischen Grundlagen erlaubten, ermittelte das NFP-41-Forschungsteam Zielwerte für die einzelnen Indikatoren und zeigte auf, wo heute der dringendste Handlungsbedarf besteht. Als besonders kritisch werden die CO2-Emissionen des Verkehrs gewertet; hier wird eine Reduktion um langfristig 60 bis 80 Prozent als nötig erachtet. Ebenso bezüglich Luftschadstoffen, des Energieverbrauchs und der Kostenwahrheit orten die Forschenden einen Handlungsbedarf. Aktuellere NFP-Projekte (siehe Ergebnisse unter www.nfp71.ch) werfen immer wieder grundlegende Fragen auf. So sind die wirt
«Das Verkehrssystem wandelt sich.»
schaftlichen und gesellschaftlichen Kriterien und Indikatoren aufgrund der Neuartigkeit der Thematik «vernetzte Mobilität» noch unvollständig und müssten in weiteren Forschungsarbeiten ergänzt und vertieft werden.
Weiter stellt sich die Frage, so die NFPForschenden, wie weit für einen einzelnen Sektor wie den Verkehr überhaupt sinnvolle Zielwerte definiert werden können. Welchen Beitrag soll beispielsweise der Verkehr generell oder der Luftverkehr im besonderen zur Reduktion der CO2-Emissionen leisten? Hier eröffnet sich ein zentrales Feld für weitere Forschungsarbeiten, vor allem aber für einen intensiven politischen Diskurs.
Vor dem Hintergrund der globalen Vernetzung und Weiterentwicklung von Verkehrstechnologien beschleunigt sich der Wachstumsprozess zusätzlich und das Verkehrssystem wandelt sich grundlegend. «Mit zunehmenden Distanzen, Frequenzen und Geschwindigkeiten im Verkehr steigen auch die Lasten», betont Dr. Merja Hoppe (siehe «Kommunizierende Transportsysteme» , S. XY).
«Neue ICT-Anwendungen können dazu beitragen, die Mobilität auch weiterhin zu gewährleisten und zugleich nachhaltig zu gestalten », meint die ZHAW-Forschende weiter, «die ICT bietet Möglichkeiten, Verkehrsträger miteinander zu kombinieren.
Grosses Potenzial haben Technologien, die eine Verknüpfung von Verkehrsmitteln zum Beispiel per Echtzeitinformationen über das gesamte Verkehrsangebot liefern.»