Sich in Menschen hineinversetzen

Die Betriebswirtschaftler sehen in der Unternehmensführung eine rationale Veranstaltung. Die Psychologen halten dagegen: Erst das Zusammenspiel von rational und emotional sorgt für ein optimal leistungsfähiges Unternehmen.

Sich in Menschen hineinversetzen

«Mangelnde Umgangssensibilität, Taktlosigkeiten oder die Von-Oben-herab-Überheblichkeit der Arroganz der Macht, die andere düpiert und deren Meinungen und Überlegungen ignoriert, werden heute ganz erheblich sensibler registriert und beantwortet als früher», sagt der Münchner Zusammenarbeitsexperte Thomas Weegen, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Coverdale. Und die Begründung für diese Behauptung? «Spüren wir den Wurzeln von unbefriedigender betrieblicher Leistungsfähigkeit nach, stossen wir immer auch auf Frustrationserlebnisse, die eindeutig stärker auf das betriebliche Führungs- und überhaupt das innerbetriebliche Umgangsverhalten zurückzuführen sind als auf sonstige, beispielsweise organisatorische Probleme.»

 

Frust und firmenschädigendes Verhalten
Doch gebremste Leistungswilligkeit infolge Frustration ist für Weegen nur ein Teil des Problems. Was in diesem Zusammenhang keineswegs übersehen werden dürfe, sei die Tatsache, dass Frustrationen neben der Leistung auch massiv die gesamte Einstellung zum Unternehmen beeinflussen. Dieser Einfluss werde bedenklich unterschätzt. «In dem Masse, wie sich verprellte Mitarbeiter innerlich von ihrem Unternehmen entfernen, wächst die Gefahr, dass sie sich aus Frust nicht nur mit wohldosierter Einsatzbereitschaft revanchieren, sondern auch mit weitergehendem firmenschädigendem Verhalten.»

 

Das Problem, das Weegen anspricht, ist das altbekannte Problem der offenen Rechnungen. Und diese würden Frustrierte neben geschickt getarnter Unwilligkeit mit subtilen Quertreibereien, gezieltem Schlechtmachen, Mobbing und Intrigen begleichen. Der diesbezügliche Erfindungsreichtum sei beachtlich. Gleichwohl sei aber immer auch die Frage angebracht: Wird damit nun definitiv düpierendes oder verletzendes Verhalten quittiert oder nur als solches empfundenes? Teilweise nur schwer voneinander zu trennen mische sich heute beides. Welche Schlussfolgerung zieht Weegen aus der Gesamtproblematik? «Mehr Verhaltensbewusstsein!» Führungssensibilität sei keine Luxusforderung, sondern die lösungsorientierte Antwort sowohl auf die veränderte Sensibilität arbeitender Menschen als auch auf die verunsichernden Arbeitsumstände im Gefolge der technologischen Entwicklung.

 

Wenn es «menschelt» …
«Kommt die Sprache auf die Bedeutung von Emotionen und, eng damit verbunden, auch auf Vertrauen im Führungsvollzug, dann steht schnell die abweisend-herablassende Bemerkung ‹Hier menschelt es wohl mal wieder!› im Raum», sagt Erich Kirchler, Vorstand des Instituts für Angewandte Psychologie der Universität Wien. Der Professor der Wirtschaftspsychologie wertet das als zählebigen Ausdruck eines überholten Denkens, das die Anforderungen der Zeit ignoriert. «Als zielorientierte soziale Interaktion zur Aufgabenlösung muss Führung ohne Frage sachlich wegweisend, konkret und fordernd sein.» Das sei eine notwendige, heute aber keine hinreichende Voraussetzung mehr für Leistungsstimulation und Führungserfolg. Aber allein mit dieser verengten Denk- und Umgangsweise lasse sich weder die Effizienz der Führung noch die loyale Einstellung der Belegschaft zum Unternehmen heute gewährleisten. «Beide Kriterien werden erst mit einem zeitgemässen Verständnis von Führung erfüllt. Konkret heisst das, erst im Zusammenspiel von Sachaspekt (was) und Beziehungsaspekt (wie) erzielt Führung in rationaler wie emotionaler Hinsicht die Wirkung, die Wettbewerb und technologischer Fortschritt zur betrieblichen Existenzsicherung fordern.»

 

Führung trifft Mentalitäten
Werden ohnehin schon stark belastete Führungskräfte durch diese Forderung nicht noch weiter belastet? Für Kirchler keine unbekannte, aber auch keine tatsächlich problembewusste Frage. Unter Problemgesichtspunkten müsste im Gegenteil die Kombination von Sach- und Beziehungsaspekt in der Führungsarbeit als Entlastung gewertet werden. Seine Argumentation: «Auch eine bewusstere Führungssensibilität kann Frustrationserlebnisse ebenso wenig vollkommen ausschliessen wie sie sämtliche individuellen Empfindlichkeiten erfassen und berücksichtigen kann. Führung trifft immer auf Mentalitäten und Befindlichkeiten. Wird das ausgeblendet und Führungshandeln mit dem Anspruch der Perfektion belastet, dann überfordert dieser Anspruch in der Tat die Führenden. Wird Führung hingegen unter der Forderung gesehen, die Zusammenarbeit in der aufeinander abgestimmten Kombination von Sach- und Beziehungsaspekt emotional entspannter zu gestalten, dann entsteht daraus ein entlastender Effekt – sowohl für den Führenden als auch für die Geführten.»

 

Die Bedeutung der Führungssensibilität liegt für Kirchler darin, dass sie die Zusammenarbeit von Vorgesetzten und Mitarbeitern von vermeidbaren Reibungspunkten befreit. «Dadurch wird Führen widerstandsfreier, kräfteschonender und entsprechend wirkungsvoller.» Kirchler verweist auf Forschungsergebnisse. Denen zufolge ist es nicht die immer wieder in den Vordergrund gerückte Motivation, über die Leistungsbewusstsein wie Einstellung zur Firma gesteuert wird, sondern das ganz bewusste Vermeiden von Demotivation. Und Demotivation wiederum, auch das sei unbestritten, sagt Kirchler, «entsteht weniger auf der Sachebene als mehr auf der Beziehungsebene. Investieren Führungskräfte in ihre Beziehungsqualität, investieren sie in ihre Entlastung. Als zusätzlichen Effekt erweisen sie damit der eigenen und der Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen nicht hoch genug zu veranschlagenden Dienst.»

 

Wenn Demotivation Frust auslöst
Frustration «dank» Demotivation, weiss der Wiener Psychotherapeut Professor Alfred Kirchmayr, wird regelmässig unterschätzt. Diese Fehleinschätzung sei heute problematischer als früher. Weshalb? «Weil sich das Gefühl, unangemessen behandelt zu werden, heute viel schneller als früher einstellt und heute viel ungebremster als früher rausgelassen und indirekt oder auch gezielt direkt beantwortet wird.» Frustrierte würden von ihren Affekten gesteuert und getrieben. Sie seien mit sich selbst beschäftigt. Und das heisse in der Verhaltensausprägung wie in der Auswirkung dieses Verhaltens: Sie sind abgelenkt, unkonzentriert, unzugänglich, unwillig, widerborstig, bockig und oft auch wütend. «Und aus dieser Gefühlsmelange heraus finden sie Mittel und Wege, das auch zu zeigen oder andere spüren zu lassen. Das ist ein Gemütszustand, der strahlt natürlich aus. Frustrierte sind ansteckend, sie können ihre ganze Umgebung beeinträchtigen und runterziehen.»

 

Es geht nicht ohne Emotionen
Allen voran ist es dem Forschergeist des amerikanischen Neurowissenschaftlers Antonio R. Damasio, Professor für Neurologie und Psychologie und Direktor am Brain und Creativity Institute an der University of Southern California, zu verdanken, dass diese Macht der Gefühle ins Licht gerückt wurde. Damasio wies nach und legte offen: Rationalität und Emotionalität sind zwei Seiten einer Medaille, ein Handeln unter Gefühlsausschluss ist Wunschdenken, das gibt es nicht. Emotionen beeinflussen Denken wie Handeln ganz enorm. In seinem wohl wirkmächtigsten Buch «Descartes’ Irrtum» verdeutlicht er, dass dessen berühmte Behauptung «cogito ergo sum = ich denke, also bin ich» zu kurz greift und den heutigen Erkenntnissen zufolge nicht der Realität entspricht. Ganz in diesem Sinne schreibt Philip Meissner, Professor for Strategic Management and Decision Making at ESCP Europe Berlin, in seinem unlängst erschienenen Buch «Entscheiden ist einfach»: «Streng genommen gibt es keine Entscheidung, die nicht von Emotionen beeinflusst wird. Denn sie sind ein fundamentaler Teil unserer Psyche. Besonders unser Gerechtigkeitssinn hat sehr starke Auswirkungen auf unsere Entscheidungen. Wenn wir uns unfair behandelt fühlen, übernehmen Emotionen die Kontrolle über unsere Denkprozesse und wir treffen schlechte Entscheidungen.»

 

Von Menschen eine Ahnung haben
«Führung muss Ziele vorgeben, Führung muss Wirkung auslösen, Führung muss zu Ergebnissen führen. Führung muss aber auch bei der Stange halten. Diesem Anspruch kann Führung nur gerecht werden, wenn sich Führungshandeln aus der Kombination von Sach- und Beziehungsorientierung heraus entwickelt und dadurch zu einer Vertrauensbildung zwischen Führenden, Geführten und darüber hinaus zwischen Belegschaft und Unternehmen führt», sagt Kirchler. Wie es scheint, öffnet sich die Betriebswirtschaftslehre diesen Zusammenhängen. Bemerkenswert die Worte von Wolfgang Jenewein, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St.Gallen: «Meiner Überzeugung nach könnte der ganze VW-Konzern von einer Person geführt werden, die wenig Ahnung von Autos hat. Dafür aber umso mehr von Menschen und der Art, wie Teams funktionieren. Ein moderner Leader muss sich in Menschen hineinversetzen können.» ■

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