Airlines im Aufwind, aber Pilotenmangel und Ertragseinbrüche drohen
Eine neue Studie der globalen Unternehmungsberatung Kearney an 35 grossen Flugunternehmen zeigt die Lage nach Corona. Trotz Erholung der Branche warten grosse Herausforderungen auf Swiss, Austrian, Air France, Ryanair & Co. So graben Low-Cost-Carrier den alteingesessenen Linien Marktanteile ab, es fehlen bis zu 80.000 Piloten und ein mögliches Ertragsdilemma könnte bevorstehen.
Mit einem Wertschöpfungsanteil von circa einem Prozent am globalen BIP und einem jährlichen Marktvolumen von mehr als 800 Milliarden US-Dollar ist die Luftfahrt ein zentraler Treiber des internationalen Handels und des Tourismus, der in Österreich historisch mehr als 5 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht. Nach dem pandemiebedingten Einbruch bei Flugreisen nähern sich die Ausgaben dafür wieder dem Niveau von vor der Pandemie und erreichten 2023 0,8 Prozent des globalen BIP (gegenüber circa 1 Prozent vor Covid). Die Nachfrage hat sich deutlich erholt, insbesondere bei den Urlaubsreisen, die in den Jahren 2021 und 2022 sprunghaft angestiegen sind.
Laut der neuen Kearney-Luftfahrtstudie an 35 grossen Flugunternehmen stiegen 2023 die weltweit verfügbaren Sitzplatzkilometer (ASK) auf 95 Prozent des Vor-Pandemie-Niveaus. Davon haben vor allem Low-Cost-Carrier (LCC) deutlich stärker profitiert als sogenannte Legacy-Carrier (wie beispielsweise Lufthansa, Austrian oder KLM). «In Europa verlief die Erholung uneinheitlich, wobei LCCs wie Wizz Air und Ryanair ihre ASK nach der Pandemie rasch ausbauten. Im Gegensatz dazu hatten und haben traditionelle Airlines wie Lufthansa, Swiss, Austrian und Air France/KLM grössere Schwierigkeiten, ihren Status von vor der Pandemie wiederzuerlangen», so Philipp Bensel, Partner bei Kearney. Im Jahr 2023 liegt Swiss Airlines mit 13 % etwas hinter der Vor-Pandemie-Produktion von 2019 zurück. Die Konkurrenz, wie Air France/KLM und British Airways, verzeichnete hingegen einen Rückgang von etwa 10 %. Im Gegensatz dazu konnten Billigfluggesellschaften wie Wizz Air eine Steigerung der angebotenen Sitzkilometer (ASK) um über 17 % im Vergleich zu 2019 verzeichnen.
Die 5 Schlüsselfaktoren der Luftfahrtbranche
Die Luftfahrexperten von Kearney haben mehrere Schlüsselfaktoren identifiziert, die massgebliche Auswirkungen auf die erneute Angebotssteigerung in den verschiedenen Regionen haben:
Kaufkraft: Der Geschäftsreiseverkehr erholt sich nur langsam. Insbesondere auf kürzeren Strecken wirken sich neue Richtlinien aus, die etwa Zugfahrten statt Flügen empfehlen oder teils sogar vorschreiben, oder auch veränderte Businesspraktiken wie zum Beispiel zunehmende Online-Meetings. Aber auch im Touristik-Segment ist mittelfristig mit einer Abschwächung zu rechnen. Dies und die abnehmende Zahlungsbereitschaft der Kunden führen ultimativ dazu, dass die Preise fallen werden.
Besatzung an Bord: Aktuell mangelt es noch immer an Besatzungsmitgliedern – insbesondere an Piloten und Pilotinnen bzw. Flugbegleitern und Flugbegleiterinnen. Einige verloren während der Pandemie ihren Job und wollen nicht mehr zurückkehren. Schätzungen zufolge könnten im Jahr 2032 in der weltweiten Luftfahrt fast 80.000 Piloten fehlen. Doch die Ausbildung neuen Personals ist zeitaufwendig und die Verfügbarkeit von Ausbildungspiloten, sowie die Betriebskapazität sind begrenzt. LCCs hingegen, vor allem in den USA, haben sich besser erholt, da sie weniger Entlassungen vornehmen mussten. Das führt nun dazu, dass die traditionellen Fluggesellschaften jetzt aktiv Piloten von LCCs anwerben und höhere Gehälter bieten. Diese werden jedoch absehbar aufgrund von hart erkämpften Tarifabschlüssen weiter steigen. So erhöhen sich z.B. die Gehälter des Kabinenpersonals der Austrian um durchschnittlich ca. 20% bis 2026.
Flughafenpersonal: Viele europäische Flughäfen hatten in den Jahren 2022 und 2023 vor allem während der Sommersaison und zu Ferienzeiten Schwierigkeiten, die Verkehrsspitzen zu bewältigen – aufgrund mangelnden Personals. Dies wiederum zwang die Airlines, ihre Flugfrequenzen zu reduzieren, um mögliche Verspätungen abzufedern. Eine der bemerkenswerten Ausnahmen war der Flughafen Madrid: Während der Pandemie konnte er dank staatlicher Unterstützung seine Belegschaft aufrechterhalten. Die rasche Aufstockung des Betriebs verlief dort somit reibungslos und trug auch zur effektiven Erholung von Iberia bei.
Wartungspersonal: Sowohl in den USA als auch in Europa führten Entlassungen, Vorruhestandsregelungen und verringerte Schulungsmassnahmen während der Pandemie zu Engpässen beim Wartungspersonal, was erhöhte Wartungsrückstände und längere Abfertigungszeiten der Flugzeuge verursacht. Verstärkt wird dies durch die zunehmend alternde Flotte vieler Airlines, gerade in Europa, da die bestellten Flugzeuge nicht wie geplant eintreffen.
Rückstand der Flugzeughersteller: Reduzierte Bestellungen aufgrund der wirtschaftlichen Lage und Produktionsausfälle im Verlauf der Covid-Pandemie sowie der rasante Nachfragezuwachs nach deren Ende haben zu Verzögerungen bei der Auslieferung neuer Flugzeuge geführt, was die Kapazitäten der Fluggesellschaften zur Deckung der steigenden Passagiernachfrage und bezüglich der Ausmusterung alter Flugzeuge behindert. Die weltweiten Flugzeugbestellungen stiegen bis Ende 2023 auf beispiellose 16.000 Stück pro Jahr – ein neuer Höchststand, der den bisherigen Spitzenwert um über 800 Flugzeuge übertrifft. Die Hersteller gingen bei ihren Planungen für das Jahr 2023 von einer Regeneration von nur 80 Prozent aus und können nun das schnelle Tempo nicht mitgehen.
Um die steigende Nachfrage nach Langstreckenflügen zu bewältigen, nehmen die Airlines bereits stillgelegte Flugzeuge wieder in Betrieb, verlängern Leasingverträge, optimieren ihre Flotten und verhandeln mit den Herstellern über die Auslieferungsfristen. So hat die Lufthansa beispielsweise ihre zuvor ausgemusterte Airbus-A380-Flotte unter erheblichem Kostenaufwand reaktiviert. Die neuen Flugzeuge werden jedoch immer noch dringend von den Airlines gebraucht, da sie weniger Treibstoff verbrauchen, damit zu den Klimazielen beitragen und mit ihrer moderneren Ausstattung die Ticket-Verkäufe ankurbeln sollten. Erste Lichtblicke gibt es doch, wie die Auslieferung der ersten B787 bei der Austrian im Mai zeigt.
Strategien für die Zukunft
Wie können Fluggesellschaften in dieser Gemengelage zwischen steigenden Kosten durch Ramp-up Probleme und sinkenden Erlösen eine konsistente Gesamtstrategie definieren, und wo finden sie innovative Lösungen, die die Resilienz stärken und nachhaltiges Wachstum ermöglichen? Kearney sieht hier folgende Potenziale für die Branche:
- Erkundung alternativer Strategien für die Beschaffung von Flugzeugen:
Um den Mangel an neuen Flugzeugen zu bewältigen, sind alternative Strategien notwendig. Durch wirtschaftlich vertretbare Wartungschecks wird eine nachhaltige Verlängerung der Lebensdauer bestehender Flugzeuge erreicht. Zudem ist das Gleichgewicht zwischen Agilität und den Kosten, die durch die Nachrüstung von Flugzeugen entstehen, zentral. Darüber hinaus können auch die Steigerung der Produktivität der aktuellen Flotte oder strategische Vereinbarungen mit Wet-Lease-Unternehmen wirksame Ansätze sein, um die Verfügbarkeit zu erhöhen, aber auch die Kosten zu senken bzw. zu flexibilisieren.
- Steigerung der Crew-Produktivität:
Eine Erhöhung der Produktivität der Besatzung und damit einhergehendes Kostenreduktionspotenzial kann durch verbesserte Datentransparenz, angepasste Steuerungsprozesse und die Initiierung neuer Tools zur Prozessautomatisierung und -optimierung erzielt werden. Darüber hinaus müssen langfristig unvorteilhafte Arbeitsregelungen identifiziert und neu verhandelt werden.
- Einführung einer szenariobasierten Planung:
Eine szenariobasierte Planung trägt dazu bei, künftige Unwägbarkeiten und potenzielle Engpässe besser vorhersagen und bewältigen zu können. Diese umfasst im Idealfall neben einer Erlösplanung, die ändernder Nachfrage Rechnung trägt, auch eine Flottenplanung, die die begrenzte Verfügbarkeit von neuen Flugzeugen einkalkuliert, und – last but not least – eine Personalplanung, die sich auf kritische Bereiche wie das Bodenpersonal von Airlines und Flughäfen konzentriert und sich stärker an saisonalen Schwankungen orientiert.
Alle Strategien werden entscheidend dazu beitragen, Kostensteigerungen abzufedern und somit weiterhin bezahlbare Ticketpreise für Kunden anbieten zu können.
Quelle: www.kearney.ch