Computer Vision und KI: die neue Waffe gegen Ladendiebe
Aus digitalen Bildern und Videos aussagekräftige Informationen ableiten: Auf Computer Vision, Teilbereich der Künstlichen Intelligenz (KI), gründen sich die Hoffnungen des Einzelhandels, künftig ein neues und höchst wirksames Instrument gegen Diebstahl, Unterschlagung und organisierte Kriminalität verfügbar zu haben. Auf der EuroCIS 2024 in Düsseldorf (27.-29. Februar 2024) zeigen die Aussteller, wie weit die Technik schon ist.
Die Kamera ist auf den Scan-Bereich des Self Checkout-Terminals gerichtet. Im Hintergrund werden die produzierten Video-Sequenzen mit vorgegebenen Shrink-Szenarien abgeglichen. Wurde ein Artikel am Scanner vorbeigeführt, ohne ihn zu scannen oder wurde etwa ein anderer Artikel gescannt? Wurde der EAN-Code mit dem Finger abgedeckt oder zwei Artikel voreinander gehalten? Passen Artikel und EAN-Code zusammen? Hat sich ein Kunde, ohne seine Transaktion zu bezahlen, vom Self-Checkout entfernt? Ob mit Absicht oder aus Nachlässigkeit: Das Sicherheitssystem, bestehend aus IP-Kameras und KI-basierter Software, erlernt und erkennt solche Fehlbedienungen bzw. solches Fehlverhalten und warnt in Echtzeit.
Reaktionen darauf kann der Anwender für den Einzelfall selbst definieren: Einen Hinweis an den Kunden auf dem Terminal-Display, dass ein Artikel nicht richtig erfasst wurde – alternativ oder in Kombination mit einer Audio-Durchsage. Oder über eine Info an zuständige Mitarbeiter, etwa auf ein mobiles Gerät, auf dem die aufgezeichnete Transaktion noch einmal angeschaut werden kann. Eine weitere Möglichkeit ist ein automatischer Abbruch des Checkout-Prozesses bei bestimmten Vorgängen oder eine direkte Kontrolle des Kunden durch das Marktpersonal. „Dank solcher KI-gestützter Echtzeit-Analysen können Händler daten- und faktenbasierte Entscheidungen treffen und mögliche Inventurdifferenzen an den SB-Kassen verhindern“, sagt Nino Hörttrich, Head of Global Marketing Retail bei Diebold Nixdorf.
Artificial Intelligence: der neue Baustein für die „Wall of Secure“
Einerseits zielt das System auf Gelegenheitsdiebe, die sich kleinere „Preisnachlässe” verschaffen wollen. Andererseits aber auch auf Profis, die auf hochpreisige Produkte aus sind und Selbstbedienungs-Stationen bevorzugen, weil sie mit den Funktionsweisen der gängigen technischen Schutzmassnahmen vertraut sind und kreative Wege zur deren Umgehung finden. Entsprechend rege ist das Interesse der Retailer an den neuen KI-basierten Software-Lösungen, die sukzessive mit (visuellen) Informationen zu neuen Diebstahls- und Betrugsszenarien, zu Vorgehensweisen und Verhaltenscharakteristika von Ladendieben „gefüttert“ werden. Die Systeme lernen daraus und werden so immer besser und zuverlässiger darin, Einzelvorfälle zu entdecken, einzuordnen, zu vergleichen, intelligent zu interpretieren und auf dieser Basis Handlungsempfehlungen abzugeben.
Loss Prevention-Plattformen mit einer Vielfalt an Anwendungen
Um ihren Handelskunden solche zusätzlichen Sicherheitstools bereitstellen zu können, fungieren die Anbieter von Selbstbedienungs-Kassen als Treiber der Computer Vision-Technologie. Zum Beispiel hat Diebold Nixdorf, zusammen mit UK-Partner SeeChange, unter dem Label „Vynamic Smart Vision“ eine entsprechende Lösung entwickelt, die bereits im Live-Betrieb erprobt wird. ITAB arbeitet im kamerabasierten KI-Bereich mit den Spezialisten Signatrix und Rapitag zusammen und fährt momentan Labor-Tests bei einigen Händlern. Auch Toshiba rollt momentan zwei Projekte seiner Lösung für Produce Recognition und Fraud Prevention aus. Passende Tools für den Self Checkout stellen aber nicht nur die Kassenhersteller, sondern auch auf Sicherheit spezialisierte Dienstleister wie Axis Communications, Sensormatic oder Re-Vision (inzwischen Teil von Extenda Retail) bereit. Auch GK Software zeigt auf der EuroCIS mit „GK AIR Fraud Detection“ eine KI-basierte Lösung, die mit dem Ziel entwickelt wurde, eine selbstlernende Warenkorbüberprüfung am Point of Sale zu integrieren. Für jeden Warenkorb ermittelt die Software die Wahrscheinlichkeit eines korrekten Scanvorgangs mittels eines Scoring-Algorithmus. Basierend auf den Daten des aktuellen Warenkorbs und dem Verhalten des Kunden erkennt sie Unregelmässigkeiten bei einer Transaktion. Die KI lernt ständig dazu und nutzt dieses Wissen für zukünftige Entscheidungen.
Analysen am Checkout und auf der gesamten Verkaufsfläche
An den Ständen aller genannten IT-Dienstleister können sich die Fachbesucher aus dem Handel auf der EuroCIS 2024 detailliert über die Anwendungen informieren – Anwendungen, die üblicherweise auf Plattformen laufen, in Kombination mit weiteren Sicherheitstools. Bei Diebold Nixdorf zum Beispiel sind die Lösungen Teil einer ganzheitlichen Vynamic AI-Plattform. Toshiba nennt seine Plattform „ELERA Security Suite“ und arbeitet im Unterschied zu anderen Anbietern mit Edge-Kameras, bei denen die Business-Logik über die Kamera läuft und somit keinen Server erfordert. Praxistests und erste reguläre Installationen der Computer Vision-Technologie konzentrieren sich momentan noch auf Selfcheckout-Szenarien. Doch wird auch daran gearbeitet, die gesamte Video-Infrastruktur eines Marktes zu nutzen, um Daten zu generieren und Anwendungsfälle zu erstellen. Dieses Prinzip liegt zum Beispiel den Lösungen von Sensormatic Solutions zugrunde – unter anderem für mehr Schutz gegen Bandenkriminalität. Dabei werden per Kamera und Software zum Beispiel vermummte, sich aggressiv oder verdächtig verhaltende oder gefährliche Gegenstände mitführende Personen im Laden oder schon auf dem Parkplatz identifiziert. Auf dieser Basis entwickelt das KI-basierte Programm Empfehlungen, in welchen Fällen der Händler frühzeitige Gegenmassnahmen einleiten sollte. „Herzstück der Lösung sind die proprietäre KI-Algorithmen von Sensormatic, jedoch werden wir von einem ganzen Verbund an Technologiepartnern unterstützt und integrieren auch Datenquellen von Drittanbietern“, erklärt Dominik Brosch, Market Development Manager bei Sensormatic Solutions.
KI wird künftig viele neue Anwendungen für mehr Sicherheit ermöglichen
Expertise im Bereich Videoüberwachung und -analyse weist auch Axis Communications auf. Das Unternehmen betreibt ebenfalls eine offene Plattform, auf der eigene sowie von oder zusammen mit Technologiepartnern entwickelte, KI-basierte Sicherheitslösungen für Retailer bereitgestellt werden – bezogen auf die Checkouts wie auf die gesamte Verkaufsfläche. Die AXIS-Entwickler arbeiten etwa daran, verschiedene Betrugsszenarien jenseits des Checkouts in KI-Anwendungen einzubinden. Beispiele: Ein Kunde packt teuren Whiskey ein, der aber am Checkout nicht im Warenkorb auftaucht. Oder ein Kunde legt Depot im Aussenbereich an, um es nachts abzugreifen. Für diese und viele andere Betrugsvarianten wird die KI-Software trainiert und mit Daten so lange gefüttert, bis sie zu verlässlichen Beurteilungen kommt.
In Zukunft wird auch die so genannte „Re-Identification“ möglich sein. Ein krimineller Kunde, welcher in Markt A ertappt und dort mit bestimmten Merkmalen (Kleidungsdetails, Verhalten, Körpermerkmale – sofern datenschutzrechtlich erlaubt) im System registriert wird, wird auch in Markt B identifizierbar werden und entsprechende Vorkehrungen auslösen. „KI-gestützte Bilddatenanalyse eröffnet künftig extrem viele Möglichkeiten“, sagt Ralph Siegfried, Key Account Manager End Customers und Retail-Experte bei Axis Communications. Mit diesen Möglichkeiten beschäftigt sich auch Re-Vision (ein Geschäftsbereich von Extenda Retail). Auch dieser IT-Dienstleister bietet eine Loss Prevention-Plattform mit Anwendungen für mehr Checkout-Sicherheit – durch ein KI-gestütztes Tool zur Risikoanalyse des Warenkorbs und des Einkaufsverhaltens. Dazu wird für jeden Kunden, basierend auf aktuellen und in der Vergangenheit ermittelten Daten (zum Beispiel bestimmte Verhaltensweisen auf der Fläche, die Zahl seiner Rescans innerhalb bestimmter Zeiträume), eine bestimmte „Fraud Probability“ ermittelt. Anhand dieses (dynamischen) Levels wird festgelegt, ob er beim aktuellen Einkauf zum Rescan gebeten wird. „Fehlalarme vermeiden, gezielt prüfen, weniger prüfen und dennoch mehr finden – das sind die Vorteile unserer Plattform“, sagt Jens Völling, RV Customer Success bei Extenda Retail.
Die kommende Fachmesse EuroCIS bietet die Möglichkeit, die neuesten Trends in Hard- und Software zu entdecken, die speziell auf den Einzelhandel zugeschnitten sind. Die EuroCIS findet vom 27. bis 29. Februar 2024 in Düsseldorf statt. Unter dem Motto „Go beyond today“ werden wieder zahlreiche Unternehmen Lösungen und Produkte vorstellen, mit denen der Handel seine Zukunft gestalten und sichern kann. Darüber hinaus ist die Messe eine hervorragende Networking-Plattform für die Fach-Community und bietet ein umfangreiches Rahmenprogramm, das viele Inspirationen und Updates rund um das Thema Retail Technology bietet.
Quelle: www.eurocis.com