Arbeitssicherheit für KMU
Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sind in den meisten grösseren Betrieben fest verankert. Aber auch mittlere und kleine Betriebe setzen alles daran, Arbeitssicherheit nicht nur punktuell zu verbessern, sondern systematisch umzusetzen. Hilfe erhalten sie dazu nicht selten durch ihren Branchenverband mit einer Branchenlösung
Aufgrund der rechtlichen Vorgaben im Arbeits- und Unfallversicherungsgesetz muss jeder Betrieb seine Gefährdungen kennen, entsprechende Schutzmassnahmen treffen und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darüber informieren. Kommen besondere Gefahren vor wie zum Beispiel Stapler, Pressen, Arbeiten mit Gefahrstoffen oder mit gehörgefährdendem Lärm, müssen zur Abklärung dieser Gefahren «Arbeitsärzte oder andere Spezialisten der Arbeitssicherheit», kurz ASA-Spezialisten, beigezogen werden.
Nun macht es in der Praxis wenig Sinn, dass jede Schreinerei oder jede Bäckerei einen ASA-Spezialisten beizieht, um identische Gefährdungen festzustellen und gleiche Schutzmassnahmen vorzuschlagen. Deshalb empfiehlt die EKAS (Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit) den Branchenverbänden, sogenannte Branchenlösungen anzubieten, in denen allen Mitgliedern die notwendigen Informationen und Werkzeuge zur Verfügung gestellt werden können
Breite Dienstleistungen
In einer Branchenlösung wird in der Regel von den ASA-Spezialisten als Erstes eine umfassende Ri
Risikenbeurteilen
sikobeurteilung erstellt, welche die Gefährdungen der Branche aufzeigt, bewertet und entsprechende Schutzvorkehrungen vorschlägt. Für den einzelnen Betrieb ist der Inhalt dieser Risikobeurteilung nichts Neues. Mit diesen Gefährdungen musste er bis anhin schon klarkommen. Die Risikobeurteilung stellt aber eine systematische Sammlung dieser Gefährdungen dar und beschreibt auch den momentanen Stand der Technik, wie mit diesen Gefährdungen umgegangen wird. Auch zeigt sie der Trägerschaft der Branchenlösung auf, wo Schwerpunkte bei der Information und Weiterbildung gesetzt werden sollen.
Betriebe, die Mitglied einer Branchenlösung sind, profitieren meistens von mehreren Dienstleistungen:
Selbstständig vorgehen
Die Branchenlösung stellt aufgrund der Risikobeurteilung Werkzeuge wie etwa Checklisten zusammen, mit denen der Betrieb selber seine spezifischen Gefährdungen erkennen und die adäquaten Schutzmassnahmen überprüfen kann. Mit dem daraus resultierenden Massnahmenplan kann der Betrieb selber entscheiden, wann er welche Massnahme wie umsetzen will.
Umsetzung dokumentieren
Da die Betriebe nicht nur die Massnahmen umsetzen, sondern die Umsetzung auch glaubhaft darlegen müssen, hat sich die Dokumentation der wichtigsten Schritte bewährt. In einigen Branchen sind Managementsysteme wie zum Beispiel ein QMS weit verbreitet. In anderen Branchen ist man mit dem Schreibkram noch etwas zurückhaltender. Deshalb stellen die Branchenlösungen ein Handbuch zur Verfügung, das den Bedürfnissen in der Branche optimal entspricht. Es kann als Anleitung für ein Arbeitssicherheitsmanagementsystem aufgebaut sein oder schon die notwendigen Formulare enthalten, welche der Betrieb nur noch ausfüllen muss.
Einführung und Fortbildung
Damit die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben wissen, wie sie die Gefährdungsermittlung durchführen müssen und wie das Handbuch zu benutzen ist, bieten die Branchenlösungen Einführungskurse für die teilnehmenden Betriebe an. In regelmässigen Fortbildungskursen, sogenannten ERFA
Teil eines QM-Systems
Tagen, haben die Teilnehmenden einerseits die Möglichkeit, sich über den Fortschritt der Arbeitssicherheit in ihrem Betrieb auszutauschen. Andererseits werden Neuerungen im Stand der Technik, in den gesetzlichen Vorgaben oder einfach nur SchwerpunktGefahren und Schutzmassnahmen thematisiert.
Information
Mit regelmässigen Newslettern werden die Mitgliederbetriebe auch unter dem Jahr über Schwerpunkte und Neuerungen in den Anforderungen der Technik informiert und auf dem Laufenden gehalten
Auditierung
Viele Branchenlösungen haben in ihrem eigenen Controlling ein sogenanntes System-Audit integriert. Jedes Jahr wird eine bestimmte Anzahl zufällig ausgewählter Betriebe durch ASA-Spezialisten besucht. Dabei wird einerseits die Dokumentation angeschaut, andererseits die Umsetzung in der Praxis überprüft. Der Betrieb erhält so ein Feedback zu seinen Bemühungen und gleichzeitig eine kompetente Beratung vor Ort, bei der auch die nächsten
Schritte und Prioritäten besprochen werden können.
Controlling
Neben diesen Audits wird meist auch ein Controlling über die Absenzzahlen und die Unfallschwerpunkte in den Betrieben gemacht.
ASA-Spezialisten vor Ort
Die Auswertung über die gesamte Branchenlösung erlaubt dann meist sogar ein Benchmarking der teilnehmenden Betriebe
Mehrere Alternativen
Leider bieten nicht alle Branchen ihren Mitgliedern so eine Branchenlösung an. Andererseits sind auch nicht alle Betriebe in Branchenverbänden organisiert. Deshalb gibt es neben den Branchenlösungen auch andere überbetriebliche Lösungen wie Betriebsgruppenlösungen oder Modelllösungen. Der Betrieb kann sich auch für eine individuelle Lösung entscheiden.
Betriebsgruppenlösungen bieten sich in grösseren Betrieben oder Konzernen an, welche über alle Teilbetriebe eine einheitliche Lösung haben wollen. Die Verantwortung der Umsetzung bleibt aber in den Teilbetrieben. Auch in einer Betriebsgruppenlösung braucht es eine Trägerschaft, welche die Lösung koordiniert und für deren Weiterentwicklung verantwortlich ist.
Modelllösungen werden in der Regel von Beratern angeboten. Sie sind ähnlich organisiert wie die beschriebene Branchenlösung. Ausser, dass sie nicht auf einen Branchenverband beschränkt sind, sondern über mehrere unterschiedliche Branchen und Gefährdungen angewendet werden. Da damit viel mehr unterschiedliche Gefährdungen abgedeckt werden, ist meist auch die Betreuung individueller und intensiver.
Dann bleibt noch die individuelle Lösung. Der Betreuungsgrad durch externe ASA-Spezialisten ist bei der individuellen ASA-Lösung am differenziertesten. Auch ein Mitarbeiter des Betriebes kann sich als ASA-Spezialist ausbilden und intern die Funktionen übernehmen.
Empfehlungen der EKAS
Wie auch immer die Lösung gewählt wird, müssen die nachstehenden zehn Punkte irgendwie geregelt sein.
- Sicherheitsleitbild und Ziele
- Sicherheitsorganisation
- Ausbildung, Instruktion, Information
- Sicherheitsregeln
- Gefahrenermittlung, Risikobeurteilung
- Massnahmenplanung und -realisierung
- Notfallorganisation
- Mitwirkung
- Gesundheitsschutz
- Kontrolle, Audit
Die EKAS hat diese Punkte als Empfehlung festgelegt, wie ein Sicherheitskonzept aufgebaut werden soll. Diese zehn Punkte können entweder als Kapitel im betriebsspezifischen Sicherheitskonzept verwendet oder im bestehenden Managementsystem abgedeckt sein. Die Punkte Leitbild, Ziele, Ausbildung, Regeln, Notfallkonzept sowie Controlling sind meist schon in einem bestehenden Qualitäts- oder Umweltmanagementsystem vorhanden. Da lohnt es sich nicht, diese Prozesse spezifisch für die Arbeitssicherheit nochmals zu beschreiben. Es empfiehlt sich, die Aspekte der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes in das bestehende Managementsystem zu integrieren. Die anderen Punkte können dann als mitgeltende Dokumente angehängt werden
Tipps aus der Praxis
In der Praxis hat sich folgendes Vorgehen bewährt:
1. Sicherheitsleitbild
und Ziele Das Leitbild sollte nicht zu lang sein. Wenn schon ein Leitbild des Betriebes besteht, kann der Aspekt der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes integriert werden. Auch die Ziele sollten von der Geschäftsleitung festgelegt, freigegeben und an die Organi-sationseinheiten zur Umsetzung weitergegeben werden. Natürlich gibt es Ziele, welche nur den Arbeitssicherheitsbeauftragten betreffen, wie zum Beispiel «Überprüfung und Aktualisierung des Notfallkonzeptes». Andere wie etwa die «Senkung der Unfallabsenzen um zehn Prozent» liegen weder in der Kompetenz noch in der Machbarkeit des Arbeitssicherheitsbeauftragten.
2. Sicherheitsorganisation
Die Verantwortung für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz liegt in der Linie. Dies bedeutet, dass im Falle eines schweren Unfalles neben dem Verunfallten auch sein Vorgesetzter sowie dessen Vorgesetzter, bei Bedarf alle Linienvorgesetzten bis zur Geschäftsleitung befragt werden. Zur Unterstützung der Linie und für die Koordination der Arbeitssicherheit im Betrieb wird trotzdem häufig ein Arbeitssicherheitsbeauftragter bestimmt. Seine Stellung sollte wenn möglich (parallel zum Qualitätsbeauftragten) eine Stabsstelle direkt unterhalb der Geschäftsleitung sein.
3. Ausbildung, Instruktion, Information
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen über das Arbeitssicherheitskonzept, ihre Pflichten, Aufgaben und Rechte sowie über die im Betrieb geltenden Sicherheitsregeln informiert sein. Bei den tätigkeitsspezifischen Instruktionen sind die Arbeitssicherheit und der Gesundheitsschutz mit einzubeziehen. Es gibt aber auch grundsätzliche Themen wie zum Beispiel Heben und Tragen oder Stürzen und Stolpern, die unabhängig zur Tätigkeit instruiert werden können. Bei Arbeiten mit besonderen Gefahren (Stapler, Motorsäge, Kranbedienung) ist eine Schulung durch eine ausgewiesene Fachkraft notwendig. Alle Instruktionen und Schulungen sollten nachweisbar dokumentiert werden. Regelmässige Refresher sind sehr zu empfehlen.
4. Sicherheitsregeln
Die Hausordnung ist eine Sicherheitsregel, die fast jeder Betrieb hat. Hinzu kommen je nachdem Regeln, bei welchen Arbeiten persönliche Schutzausrüstung zu tragen ist und wer welche Arbeiten durchführen darf. Betriebsanleitungen von Maschinen können auch Sicherheitsregeln sein. Besser ist jedoch, wenn diese in auf den Betrieb angepasste Arbeitsanweisungen umgeschrieben werden. Auch der Umgang mit Gefahrstoffen sollte klar geregelt werden
5. Gefährdungsermittlung, Risikobeurteilung
Es gibt verschiedene Methoden, die Gefährdungen und Risiken im Betrieb systematisch zu erheben. Gut bewährt hat sich der Einsatz von Checklisten. Bei besonderen Gefahren und wenn das Fachwissen nicht vorhanden ist, müssen ASA-Spezialisten beigezogen werden. Sind keine Regeln zum Umgang mit diesen Gefahren bekannt, ist eine Risikobeurteilung angezeigt
Vorgaben der EKAS
6. Massnahmenplanung und -realisierung
Die aufgrund der Gefährdungsermittlung erkannten Massnahmen sollen priorisiert und umgesetzt werden. Da für die Umsetzung meist andere Leute zuständig sind, obliegt es dem Arbeitssicherheitsbeauftragten, die Umsetzung der Massnahmen regelmässig zu kontrollieren. Auch die Dokumentation der Umsetzung ist ratsam.
7. Notfallorganisation
Zur Notfallorganisation gehören die Erste Hilfe, der Brandfall und die Evakuation. Der Umfang der Vorkehrungen ist stark abhängig von den vorhandenen Gefahren und der Anzahl Beschäftigten im Betrieb. So sind für die Erste Hilfe die Versorgung und Betreuung der Verunfallten bis zum Eintreffen der Ambulanz sicherzustellen. Es empfiehlt sich, dafür mit Spezialisten, ein sinnvolles Konzept zu erstellen.
8. Mitwirkung
Bei kleinen Betrieben findet dank der flachen Hierarchien die Mitwirkung häufig am Kaffeetisch statt. Bei grösseren Betrieben empfiehlt sich der enge Kontakt des Arbeitssicherheitskoordinators mit dem Personalausschuss. Ist kein Personalausschuss vorhanden, kann auch ein sog. Mitarbeitervertreter ernannt werden.
9. Gesundheitsschutz
Unter das Kapitel Gesundheitsschutz gehören die Anforderungen bezüglich Arbeitszeiten, Mutterschutz, Jugendschutz etc. Auch der Link zur Gesundheitsförderung kann hier dokumentiert sein.
10. Kontrolle, Audit
Jedes Managementsystem erfordert eine Kontrolle. Wer Ziele setzt, sollte auch überprüfen, ob er diese erreicht hat. Mit regelmässigen Kontrollgängen, die auch dokumentiert werden, können die wichtigsten Gefahrenpunkte regelmässig überprüft werden. Mit einem Jahresbericht über die Aktivitäten im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz kann gegenüber allen im Betrieb betont werden, was man erreichen wollte, was man nicht erreicht hat und weshalb es nicht erreicht werden konnte.