Produkt Compliance
Das neue Produktesicherheitsgesetz (PrSG) ist als Nachvollzug der europäischen Produktesicherheitsrichtlinie 2001/95/EG seit über zweieinhalb Jahren in der Schweiz in Kraft und erste Erfahrungen sind nun verfügbar: Was hat sich geändert und was sollten Unternehmen beachten?
Eine grosse Zahl von Produkteherstellern, Produktesystemberatern, Händlern und Importeuren hat sich 2012 zu Anforderungen des PrSG in Seminaren weiterbilden lassen. Dank ihren Fragen kann heute ein erstes Erfahrungsbild gezeichnet werden. Im Vordergrund steht durchwegs das Bestreben, «sichere» Produkte auf den Markt zu bringen. Demgegenüber haben die Behörden eine systematische Marktüberwachung geschaffen und publizieren zunehmend Produkterückrufe. Produkt Compliance ist damit zur wichtigen Unternehmensaufgabe geworden.
Was ist ein Produkt?
Produkte im Sinne des PrSG sind alle verwendungsbereiten, beweglichen Sachen, auch wenn sie in unbewegliche Sachen eingebaut sind, unabhängig, ob Dritten angeboten oder für den Eigengebrauch. Produkte sind auch Einzelteile, die einem Empfänger zum Ein- oder Zusammenbau geliefert werden. Die Inverkehrbringung bedeutet das Angebot, die Lieferung oder das Zurverfügungstellen von Produkten an Konsumenten, Kunden oder Arbeitnehmer.
Voraussetzungen für die Inverkehrbringung
Hauptvoraussetzung zur Inverkehrbringung eines Produktes ist die Erfüllung der «Grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen ». Diese finden sich in der Regel in den EU-Produktericht
Produkte auf Konformität bewerten
linien. In diesem Fall können die harmonisierten Normen angewendet werden, deren Erfüllung eine Vermutungswirkung zur Konformität ergeben. Trifft aber keine dieser Produkterichtlinien oder harmonisierten Normen zu, so muss der Stand der Technik und Wissenschaft ermittelt werden. (Grafik 1)
Das stellt eine klare Verschärfung zum früher geforderten Stand der Technik dar! Bei der hohen Zahl der Normen ist es eine grosse Herausforderung festzulegen, was auf die eigenen Produkte angewendet werden muss. Allein die EU hat in ihrem Amtsblatt rund 5000 harmonisierte EN-Normen publiziert. Damit werden die im Prinzip freiwillig anzuwendenden Normen in einen rechtlichen Status erhoben. Für jedes Produkt ist vor der Inverkehrbringung eine Konformitätsbewertung durchzuführen. Das Konformitätsbewertungsverfahren ist jeweils in den Produkterichtlinien detailliert beschrieben und erfordert bei kritischen Produkten eine Zertifizierung durch akkreditierte Stellen (Certified Body) oder eine Prüfung durch eine benannte Stelle (Notified Body). Im Rahmen der Auslegungsprüfung (Design Examination) prüft die benannte Stelle die Zulassungsfähigkeit eines Produktes; mit der Baumusterprüfung (Product Examination) prüft die akkreditierte Prüfstelle die Konformität eines Produktes gegenüber bestimmten Regelanforderungen, beispielsweise Elektrogeräte bezüglich der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV).
Die Pflichten des Inverkehrbringers
Für die Inverkehrbringung eines Produktes fordert das PrSG, dass der Hersteller eine Gefahrenerkennung und Gefahrenabwehr macht. Dies bedeutet, dass ein Produkterisikomanagement bestehen muss, welches insbesondere die möglichen Gefährdungen im Gebrauch und in der Anwendung des Produktes bewertet. Vor möglichen Gefährdungen ist in der Betriebsanleitung zu warnen. Weiter ist der Inverkehrbringer, das heisst der Hersteller, Händler oder Importeur, zu einer Rückverfolgung verpflichtet, damit mögliche Gefährdungsursachen identifiziert werden können. Neu wird auch eine Produktebeobachtung über die ganze Gebrauchsdauer des Produktes gefordert. Vor möglichen auftretenden Gefährdungen ist zu warnen oder das Produkt aus dem Verkehr zu ziehen. Die Hersteller werden daher nicht darum herum kommen, die mögliche Gebrauchsdauer zu bestimmen und ein Produktebeobachtungssystem auf-recht zu erhalten. Zu diesen Nachmarktpflichten gehören auch die Erkennung einer möglichen zweckentfremdeten Verwendung und gegebenenfalls Warnung.
Kompetenzen der Aufsichtsorgane
Mit dem Vollzug des PrSG wurde das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) beauftragt. Dieses wiederum hat Kontrollorgane bestimmt, die eine systematische Marktüberwachung betreiben (SUVA, bfu und andere Fachorganisationen). Diese Organisationen haben die Kompetenzen, Produkte zurückzurufen, vor ihnen zu warnen und Sperrungen zu verfügen. Es empfiehlt sich, mit dem entsprechenden Kontrollorgan, welches für die firmeneigenen Produkte zuständig ist, Kontakt aufzunehmen. Produkterückrufe und Warnungen werden beispielsweise durch das Büro für Konsumentenfragen (BFK) publi-
SystematischeMarktüberwachung
ziert. Rückrufe von Produkten, die einer Spezialgesetzgebung unterstehen, werden durch die entsprechenden Bundesämter publiziert, beispielsweise Heilmittel und Medizinprodukte durch Swissmedic oder Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG, BVET).
Wer haftet bei Gefährdungspotenzial?
Das PrSG sieht klare Strafbestimmungen bei vorsätzlicher und fahrlässiger Inverkehrbringung von Produkten, die eine Sicherheits- oder Gesundheitsgefährdung aufweisen, vor. Diese Strafbestimmungen ergänzen die Haftungsbestimmungen für Produkte. Die bisherige Produktehaftung und Vertragshaftung gelten weiterhin unverändert. (Grafik 2)
Deliktische Handlungen sind grundsätzlich nicht versicherbar. Versichert werden können Schäden aus Produktehaftung. Die Vertragshaftung ist nur begrenzt versicherbar. Bei Sicherheitsmängeln eines Produktes wird sich die Behörde an die leitenden Organe des Herstellers, Händlers oder Importeurs wenden und die Sicherheitsnachweise einfordern sowie bei möglichen Rechtsverstössen Strafanträge stellen. Damit ist die Produktesicherheit klar zur Chefsache geworden!
Die Produktesicherheit planen
Die Globalisierung der Entwicklung zur Inverkehrbringung von Produkten hat in den letzten Jahren aufgrund von Produkterückrufen und Skandalen zu einer zunehmenden internationalen und staatlichen Regelung geführt. Jeder Vorfall hat bewirkt, dass die staatlichen Organe die Marktüberwachung verschärft und neue Regeln eingeführt haben. Im Zuge der zunehmenden Regulierung haben auch die normativen Vorgaben wesentlich an Bedeutung gewonnen. Insbesondere wurden die Normen als «Harmonisierte Normen» zu einem faktisch zwingend einzuhaltenden Rechtsinstrument erhoben. Für alle, die sich mit der Inverkehrbringung von Produkten beschäftigen, ist daher die Kenntnis der Zusammenhänge von grosser Bedeutung. Der Zugang zu diesem globalen Zusammenhang der regulatorischen und normativen Anforderungen erfordert eine gesamtheitliche Betrachtung.
Produktesicherheit ist Chefsache
Die Inverkehrbringung eines neuen, wieder aufgefrischten oder wesentlich veränderten Produktes erfolgt in der Regel im Rahmen eines festgelegten Innovations- oder Change-Prozesses. Der Weg zu einem neuen, innovativen und sicheren Produkt führt aber aufgrund von regulatorischen und normativen Vorgaben entlang enger Leitplanken! Diese Randbedingungen gilt es von allem Anfang an zu beachten, um ein zulassungsfähiges und sicheres Produkt auf den Markt zu bringen. Wie kann die Kreativität und die Begeisterung eines Entwicklungs- oder Konstruktionsteams gelenkt werden, damit unter Einhaltung der gesetzten Randbedingungen ein sicheres Produkt entsteht? Wie kann sicher gestellt werden, dass wertvolle und für die Konformitätsprü-fung notwendige Dokumente bereits im Zuge des Entwicklungsprozesses erarbeitet werden?
Spätestens mit der Inkraftsetzung des Produktesicherheitsgesetzes (PrSG) wurde allen klar, dass die Produktesicherheit in erster Linie Chefsache ist. Es ist auch der «Chef», der bei Sicherheitsmängeln des Produktes, die insbesondere zu Personenschäden oder fatalen Ereignissen führen können, zur Verantwortung gezogen wird. Ein verantwortungsvoller Vorgesetzter oder eben das Management eines Unternehmens muss deshalb dafür sorgen, dass die Produkte die regulatorischen und normativen Standards erfüllen.
Wegen der Komplexität der geltenden Vorschriften empfiehlt es sich, einen Spezialisten für das Compliance Management auszubilden oder heranzuziehen. Die Schweizerische Normenvereinigung (SNV) bietet im Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern (HSLU) einen Lehrgang zum zertifizierten Produkt-Risikomanager an. Die Ausbildung eines derartigen Spezialisten umfasst insbesondere die in Grafik 3 dargestellten Module.
Die endgültige Verantwortung für die Inverkehrbringung eines Produktes trägt immer derjenige, der sein Markenzeichen anbringt. Er ist auch verantwortlich für die Konformitätsprüfung und, falls erforderlich, das Anbringen des CEZeichens. Bei Sicherheitsmängeln oder bei Haftung für ein mangelhaftes Produkt wird immer der Inverkehrbringer zur Rechenschaft oder Haftung gezogen. Es gilt daher, sich durch geeignete Massnahmen vor unberechtigten Ansprüchen zu schützen.