Wir sind doch keine Autobauer

Was sich in der industriellen Fertigung vielfach bewährt hat, wird immer stärker auch im Dienstleistungssektor genutzt: Die Methoden und Prinzipien von Lean Management. Dazu müssen die verschiedenen Lean-Instrumente an die spezifischen Bedürfnisse von Dienstleistern angepasst und stufenweise in einem Unternehmen verankert werden.

Wir sind doch keine Autobauer

 

 

 

Lean Management ist der weltweit erfolgreichste Ansatz für Prozess- und Qualitätsmanagement in der industriellen Fertigung. Ausgehend von Taiichi Onos «Toyota Production System» hat sich ab 1950 der Ansatz auf alle Branchen mit Produktions- und Montageprozessen ausgeweitet. Zahlreiche Operational-Excellence- Programme haben seither bewiesen, dass sich mit einem konsequenten Einsatz von Lean Management nachhaltige Steigerungen von Qualität und Effizienz bei gleichzeitiger Erhöhung der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit erzielen lassen.

Industrialisierung von Service-Prozessen

 

Die populären Lean-Werkzeuge wie Wertstromanalysen, Visual Management, 5S, Standardisierung, Kanban, One Piece Flow und Kaizen – um nur einige der Wichtigsten zu nennen – werden neuerdings auch mit Erfolg in Service- Prozessen angewendet. Ein Beispiel: Die für den Automobilbau bewährten Lean-Prinzipien sind genauso wirksam für das effiziente Verkaufen, Finanzieren oder Reparieren von Autos oder das Verwalten von ganzen Autoflotten. In der Folge ist der Effizienz-Funken auf die reine Dienstleistungs-Industrie übergesprungen. In der Schweizer Finanzbranche setzen beispielsweise UBS, Helsana oder die Six- Group-Standardisierung, Automatisierung und Outsourcing mit

 

Verschwendung im Service

 

Lean-Management-Methoden intensiv um. Damit sind sie nicht allein. Der aktuelle Lean-Services- Report von Allied Consultants Europe (ACE) bestätigt die Aktualität der Methode. Die über 700 befragten europäischen Dienstleistungsunternehmen haben drei Handlungsfelder als ihre grössten Herausforderungen für Effizienzgewinn angegeben:

 

  • Kundenorientierung: Echte Wertschöpfung für effektiv verstandene Kundenbedürfnisse
  • Wertstromorientierung: Ausrichten der Organisation auf End-toend- Prozesse
  • Kontinuierliche Verbesserung: Permanente Optimierung als Führungsaufgabe.

Übersetzung auf die Dienstleistungsbranche

 

Der Erfolg des Lean-Ansatzes besteht darin, die Kundenleistungen und alle dafür verantwortlichen End-to-end-Prozesse (Wertströme) kontinuierlich auf Ineffizienzen zu untersuchen und von diesen zu befreien. Hierzu dient die Suche nach den 7 Verschwendungen, welche sich in Service-Prozessen genauso wie in Produktionsprozessen verstecken. In Service-Prozessen sind sie in der Regel aber schlechter erkennbar und daher schwieriger zu vermeiden. Mit folgenden beispielhaften Fragen können Sie das Po-tenzial in Ihren Service-Prozessen leichter abschätzen:

 

  • Überproduktion: Wie viele Worte, Zeilen oder Dokumente wandern täglich in den digitalen oder physischen Papierkorb und an wie vielen Meetings wird die kostbare Zeit durch fehlende Sitzungsführung oder falsche Teilnehmer verschwendet?
  • Wartezeit: Wie oft warten Sie auf Kommunikations-, Entscheidungsoder Meeting-Partner resp. auf Informationen, um Ihre Arbeit gezielt weiterzuführen? 
  • Bewegung: Wie oft suchen Sie Informationen, werden in konzentrierten Arbeiten unterbrochen, müssen sich in alte Dossiers wieder einarbeiten oder «reisen» weit zu einem Meeting?

 

WirksameInstrumente

 

  •  Überverarbeitung: Wie viele unnötige Arbeitsschritte führen Sie aufgrund von fehlenden Formularen, Copy-Paste-Vorlagen oder schlecht konfigurierten IT-Instrumenten aus?
  • Lager: Wie viele Anfragen oder Dossiers von gestern liegen auf Ihrem Pult und wie viele Projekte dauern länger als drei Monate, bis der erste Nutzen für das Unternehmen sichtbar wird?
  • Transport: Gibt es in Ihrem Unternehmen noch Papier-Dossiers, die als Pendenzen-Sammlung dienen, weitergereicht oder physisch gelagert werden? 
  • Mängel/Fehler: Wie oft wird in Ihrem Prozess eine Rückfrage gestartet oder ein Fehler erst von einer nachfolgenden Stelle erkannt?

In Service-Prozesse umgesetzt

 

Nur wenn Sie alle Fragen mit «keine » oder «nie» beantworten konnten, können Sie davon ausgehen, dass Lean Management in Ihrer Organisation wenig oder kein Potenzial mehr hat. Sollten Sie aber Verschwendungen erkannt haben, stellt sich die Frage, mit welchen operativen Instrumenten diese wirtschaftlich und nachhaltig bekämpft werden können. Mit leichten Anpassungen sind die in der industriellen Fertigung bewährten Lean-Management-Instrumente auch bei Serviceprozessen wirksam. Zum Beispiel:

 

  • Analysieren und Optimieren von übergreifenden End-to-end-Prozessen, um den Kundennutzen zu erhöhen und gleichzeitig Schnittstellen, Durchlaufzeiten und Prozesszeiten zu reduzieren (Wertstromanalyse)
  • Visualisieren von Abläufen, Team-Performance und Verhaltensnormen, um Prozesse besser kommunizieren und führen zu können
  • Nutzen von Kanban-Prinzipien, um die Anzahl offener Tätigkeiten zu reduzieren und Durchlaufzeiten zu senken

 

GezielteAdaption

 

  • Umsetzen der 5S-Ordnungsregeln. um IT-Ablagen, Team-Mailboxen, Bürotische oder gemeinsam genutzte Ablagen und Arbeitsflächen nachhaltig sauber, übersichtlich, einheitlich und vollständig zu gestalten 
  • Hinterfragen aller Sammelvorgänge und Stapelverarbeitungen (Batch) im Unternehmen und Einführen des Flussprinzips zur Förderung von Einzelverarbeitung 
  • Methodisches Befähigen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um mittels Kaizen in Qualitätsteams autonom Verbesserungen umzusetzen.

 

Dabei kommt bei allen Instrumenten ein wichtiges Kaizen-Prinzip zum Einsatz: Suche nicht nach perfekten, sondern nach schnellen und einfachen Lösungen.

Erfolgreiche Einführung

 

Um die Wirkung von Lean Management bei Dienstleistern zu entfalten und den Eigenheiten des Sektors gerecht zu werden, hat sich ein Reifegrad-Modell mit gezielter Adaption der Lean-Instrumente bewährt. In einem Unternehmen können die verschiedenen Bereiche und Prozessgruppen unterschiedliche Reifegrade aufweisen und entsprechend Instrumente unterschiedlicher Stufen parallel zum Einsatz kommen. (Grafik 1)

 

Stufe 1 – Sicherstellung der stabilen Basis: Eine Optimierung sollte erst beginnen, wenn die grundsätzliche Kontrolle über die Geschäftsprozesse besteht und diese ausreichend stabil sind. Bewährte Instrumente hierzu sind Visual Performance Management, Standardisierung, Ordnung und Sauberkeit mit 5S und Wertstromanalyse.

Stufe 2 – Optimierungen durch Mitarbeitende: Auf der erzeugten stabilen Basis kann der Ist-Zustand mit Instrumenten wie Glättung der Auslastung, Flussprinzip, Dojo- Trainings und Qualitätsteams systematisch verbessert werden.

 

Stufe 3 – Kontinuierliche Verbesserung: In der letzten Stufe werden mit einer laufenden Verbesserung der Prozesse die erreichten Ergebnisse sichergestellt. Kaizen-Logik, erweiterte Mitarbeiter-Kompetenz- Matrix, First-time-right-Qualität und selektive Six-Sigma-Optimierungen haben sich hierfür bewährt.

 

Alle drei Stufen werden durch ein gezieltes Leadership-Programm unterstützt. Die Kader werden in den Lean-Prinzipien geschult, sodass ihre einheitliche «Verbesserungssprache » ein standardisiertes Vorgehen bei der Optimierung unterstützt. Mit den Kadern wird eine objektive, eng getaktete Performance- Visualisierung für die Teams entwickelt, und Teamleiter werden in Problemlösungswerkzeugen, Veränderungsmethoden und Lean Thinking geschult. In der letzten Stufe wird die Ausrichtung aller Massnahmen auf die übergreifende Unternehmenseffizienz sichergestellt und die kontinuierliche Verbesserung fliesst in die individuellen Ziele (MBO) aller Kader sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein.

Erfolgsgeschichten aus der Praxis

 

Zwei aktuelle Beispiele aus den Bereichen Assekuranz und Gesundheitswesen belegen den Erfolg und die Wirksamkeit von Lean Services: Die Herausforderungen einer bekannten Krankenversicherung bestanden darin, den Kostentrend umzukehren, die Kundenbindung zu steigern und den Fokus der Führungskräfte vermehrt auf das Management der operativen Leistungserbringung zu richten. Mit einem transparenten Performance- Dialog und täglichen Tachometer- Visualisierungen auf Teamebene (Beispiel: neue Dossiers, geschlossene Dossiers, Rückstand) wurde in einem ersten Schritt Tagfertigkeit erreicht und die notwendige Basisstabilität in den Abläufen sichergestellt. Darauf aufbauend wurden die Führungskader in Lean-Methoden trainiert und die Optimierung der wichtigsten Prozesse mittels Wertstromanalysen realisiert. Im letzten Schritt wurde dann ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess etabliert, mit regelmässigen Kaizen- Meetings und Blitz-Kaizen-Workshops. Die Performance des Versicherungsunternehmens verbesserte sich innert drei Jahren erheblich. Es resultierte eine Reduktion der durchschnittlichen Bearbeitungszeit der Dossiers um 80 Prozent, ausserdem eine Steigerung der Prozessproduktivität um 51 sowie der Mitarbeiterzufriedenheit um 26 Prozent.

 

Ein Akutspital sah sich vor ähnliche Herausforderungen gestellt: Stabilisierung der operativen Kostensteigerungen angesichts des Spardrucks im Gesundheitswesen, Steigerung der Patientenzufriedenheit und Senkung der Personalfluktuation. Unter Anwendung «industrieller Logik» wurden die Patientenpfade von Ein- bis Austritt identifiziert und optimiert. Wertstromund Tätigkeitsanalysen machten Verschwendungen sichtbar und förderten bei den Mitarbeitenden die Veränderungsbereitschaft. Mittels Flussprinzip und Glättung von Auslastungsspitzen wurden Produktivitätspotenziale freigesetzt. Schliesslich wurde das Lean-Denken und -Handeln mit Standardisierung, 5S- und Visual-Performance- Management beim Spitalpersonal verankert. Heute sorgen spitalweit über 40 Kaizen-Teams für die kontinuierliche Weiterverbesserung. Innert zwei Jahren konnten unproduktive Tätigkeiten um 30 Prozent reduziert, die direkte Arbeit am Patienten um 30 Minuten pro Tag und Pflegekraft erhöht sowie Pflegeüberstunden von 1,2 Mio. CHF p.a. eliminiert werden.

Fazit

 

Versicherungskunden und Patienten sehen sich zweifelsohne nicht als Fahrzeuge auf einem Montageband. Und Dienstleister bauen definitiv keine Autos. Aber Lean Management führt auch im Dienstleistungssektor zu mehr Servicequalität, effizienterer Ressourcennutzung und höherer Produktivität bei gleichzeitiger Reduktion der operativen Kosten. Entscheidend hierfür ist, dass die Lean-Instrumente an die spezifischen Bedürfnisse von Dienstleistern angepasst werden, dass sie situationsgerecht in mehreren Stufen eingeführt und an-schliessend nachhaltig verankert werden – und letztlich, dass die Veränderungen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Mittelpunkt sehen und mit diesen eine nachhaltige Effizienz kreieren.

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