Flotte Fahrt mit dem Proben-Tax
Die meisten von uns mussten vermutlich schon einmal als Patient beim Arzt für Vorsorgeuntersuchungen, vor Operationen oder zu Diagnosezwecken Blut oder Urin abgeben. Die Proben kommen in kleine Reagenzgläser, werden beschriftet, ins Labor gebracht und ein, zwei Tage später informiert man uns Patienten über das Ergebnis; wir erfahren also z.B. unsere Blut-, Zucker-, Leber- oder Nierenwerte. Doch wo ist eigentlich dieses Labor, in dem unsere Gesundheit bewertet wird, und was genau passiert dort?
Die Analyse unserer Blut- oder Urinproben übernehmen immer mehr hoch spezialisierte Laborbetriebe, die pro Tag viele Tausend Analysen durchführen. Auch sie können heute von modernster Automatisierungstechnik profitieren. Wie bei vielen anderen Automatisierungsaufgaben spielen auch hier leistungsfähige Kleinstantriebe eine Schlüsselrolle. Sie überzeugen vor allem durch gute Wirkungsgrade, hohes Drehmoment bei kleiner Bauweise, Zuverlässigkeit und geringen Stromverbrauch.
Noch viel Handarbeit
Viele Labore, die medizinische Probenanalysen durchführen, arbeiten heute noch mit manuellen Verteilsystemen. Das heisst, die eingehenden Proben werden zunächst datentechnisch erfasst, dann batchweise in Racks gesetzt, von Mitarbeitern zu den unterschiedlichen Analysestationen getragen und gegebenenfalls auch noch zwischendurch für weitere Analysen umsortiert. Bei Tausenden oder sogar Zehntausenden von Materialproben pro Tag ist das nicht nur eine anstrengende und monotone Tätigkeit, sondern auch fehleranfällig. Die Fehlerbehebung erfordert dann zusätzlichen Aufwand. Weitere Zeit kostet es, wenn einzelne Proben eine Sonderbehandlung erfahren müssen, z.B. weil sie für eine Stufendiagnostik mehrere Stationen durchlaufen sollen. Das Gleiche gilt für die Verdünnung von Proben für bestimmte Analysen oder für die Probenaufteilung für unterschiedliche Analysen, die sogenannte Aliquotierung. Störungen des geordneten Arbeitsablaufs sind hier vorprogrammiert. Erschwerend kommt hinzu, dass der Trend heute dazu geht, vom Patienten für alle notwendigen Analysen möglichst nur eine Materialprobe anzuliefern. Es ist keineswegs eine Entspannung der Situation in Sicht, sondern die Problematik wird sich zukünftig insbesondere durch die Zentralisierung von Laborleistungen noch verschärfen.
Was muss ein automatisches Probenverteilsystem leisten?
Am Einsatz praxisgerechter Automatisierungstechnik, die Mitarbeiter von monotonen Tätigkeiten befreit und Fehlerquellen beseitigt, wird deshalb im modernen Laborbetrieb kein Weg vorbeiführen. Ein automatisches Probentransportsystem transportiert die Proben idealerweise direkt zum entsprechenden Analysesystem und übernimmt dabei quasi nebenbei weitere Aufgaben: Anhand der Identifikation der Probe nach der Anlieferung kann der Weg durchs Labor geplant und optimiert werden, wobei sich viele Parameter berücksichtigen lassen, z.B. die Art des Gefässes, die Aufbereitung, der Füllstand und natürlich die Abfolge der einzelnen Analyseschritte. Für die Dauer der Analyse und die Bewertung sollten dann alle aktuell zu bearbeitenden Proben im Zugriff bleiben, d.h mehrere Hundert Proben sind idealerweise gleichzeitig imVerteilsystem unterwegs. Dann lassen sich Analysen schnell wiederholen oder zusätzlich durchführen und eventuell nachträglich erforderliche Begutachtungen realisieren. Ist die Analytik abgeschlossen, sollten dann die Proben automatisch ausgeschleust, nach einer Aufbewahrung von ein paar Tagen entsorgt oder für eine Langzeitarchivierung gegebenenfalls in geeignete Gefässe umgefüllt werden.
Hohe FlexibilitätDie Anforderungen an ein automatisches Probenverteilsystem sind damit hoch, neben Kapazität und Zuverlässigkeit vor allem auch im Hinblick auf die Flexibilität, und das gleich in zweierlei Hinsicht: Das Verteilsystem muss mit wechselnden Arbeitsaufgaben und Ablaufänderungen zurechtkommen, gleichzeitig aber auch einfach erweiterbar sein, damit beispielsweise neue oder andere Analysegeräte auch nachträglich und ohne grossen Aufwand integriert werden können. Dass diese Anforderungen heute erfüllbar sind, hat GLP Systems (vgl. Kastentext 1) mit der Entwicklung des vollautomatischen Probenverteilsystems lab.sms® bewiesen. Es befördert jede Probe (Specimen) separat, da nur so eine flexible, individuelle und optimierbare Organisation einzelner Proben möglich ist. Es unterscheidet sich deshalb grundlegend von Systemen, die Racks mit fünf oder zehn Specimen fördern.
Hohe Flexibilität bei Transport und Verteilung
Beim Probenverteilsystem der Hamburger Spezialisten wird nach der Anlieferung im Zuordnungspunkt die Identifikation des Specimens mit der Identifikation des fahrbaren Probenträgers verknüpft. Das Verteilsystem kennt also die Probe und «weiss», auf welchem Wägelchen sie aktuell unterwegs ist und welche Analysen notwendig sind. Dabei sind auch nachträgliche Ablaufänderungen unproblematisch, weil ein wahlfreier Zugriff (Random A0ccess) möglich ist. Dazu wird während des Transports an Identifikationspunkten immer wieder die Position der Specimen und die Zuordnung zum Wägelchen überprüft. Über Kunststoffbahnen fahren die Wägelchen mit den Blutproben dann vollautomatisch die jeweiligen Analysestationen an (Bild 1). Die Weichen, die sie unterwegs passieren, werden von der übergeordneten Steuerung entsprechend gestellt (Bild 2).
Jede Weiche schafft durchschnittlich 4.500 Sortierungsprozesse pro Stunde: Es können also 4.500 Specimen in der Stunde erkannt und individuell in eine von zwei Richtungen geleitet werden. Da alle Weichen in der Lage sind, gleichzeitig zu arbeiten, ergibt dies beispielsweise in einem System mit 50 divergenten Weichen eine Sortierkapazität von 225 000 Sortierungsvorgängen pro Stunde oder mehr als 60 pro Sekunde; eine Leistung, die durchaus benötigt wird, da sich viele Specimen vor und nach der Analytik in der Warteschleife befinden und dadurch Weichen häufig durchfahren werden. Die hohe Sortierleistung der Weichen liefert damit eine wichtige Voraussetzung für die organisatorische Flexibilität im Laborbetrieb. Ebenso wichtig für den reibungslosen Ablauf sind die «Wägelchen», mit denen die Proben durchs Labor reisen. Schnelligkeit und Zuverlässigkeit haben hier oberste Priorität.
Kompakte Antriebe für einen schnellen, zuverlässigen Transport
Die kompakten Wägelchen, also die «Proben-Taxis», sind eigentlich recht einfach aufgebaut. Integriert sind Antrieb, Akku, Elektronik und Näherungsschalter, damit die Taxis punktgenau beschleunigen, abbremsen oder stoppen können, z.B. vor den Analysestationen. Bei den Antrieben fiel die Wahl auf bürstenlose Gleichstrommotoren, sogenannte Flachläufermotoren. Die Motoren aus dem umfangreichen Faulhaber-Programm (vgl. Kastentext 2) sind für hohe Zuverlässigkeit und lange Lebensdauer ausgelegt, können also ohne Weiteres in den automatischen Verteilsystemen viele, viele Kilometer zurücklegen, ohne dass Verschleiss zu befürchten ist. Darüber hinaus überzeugen sie auch in dieser Anwendung ,durch ihre ruhigen, rastmomentfreien Laufeigenschaften, was besonders wichtig ist, weil meist offene Blutproben zu transportieren sind. Ausserdem arbeiten die Antriebe leise. Der Seltenerdenmagnet des Rotors und die Faulhaber-Schrägwicklung sorgen zudem für hohe Leistung und Dynamik bei kleinem Bauvolumen (Bild 3).
Die Antriebe, die bei ca. 15 mm Durchmesser und 15 mm Länge etwa 0,3 W und ein Drehmoment von bis zu 6 mNm liefern, treiben über ein durchmesserkonformes Stirnradgetriebe (Untersetzung 1:10) das Rad des «Proben-Taxis» im idealen Arbeitspunkt an. Dank ihrer kompakten Abmessungen liessen sie sich gut integrieren und ihr geringer Strombedarf kam der Anwendung ebenfalls entgegen; die Aufladeintervalle des Akkus sind entsprechend lang. Damit die Wägelchen stets einsatzbereit sind, überwacht die in ihnen integrierte Elektronik ständig den Ladezustand, sodass rechtzeitig nachgeladen wird, bevor es zum Stillstand kommt. Die Elektronik hat aber noch weitere Aufgaben. So ist hier die Identifikationsnummer des «Taxis» hinterlegt und sie wertet die Signale des Näherungsschalters aus. Die Motorelektronik kann dann die Drehzahl der bürstenlosen Gleichstrommotoren entsprechend anpassen, also z.B. die Geschwindigkeit reduzieren oder stoppen.
Interessant auch für andere Anwendungen
Die Lösung hat sich bereits in einem grossen medizinischen Labor in Hamburg im praktischen Einsatz bewährt. Verarbeitet werden hier täglich 3000 hämatologische Specimen mit 19 OnlineAnalysegeräten. Weitere Anwendungen werden folgen. Moderne Kleinantriebe haben damit einmal mehr ihre Vielseitigkeit bewiesen. Das Prinzip «Proben-Taxi» könnte aber durchaus auf andere Anwendungsbereiche übertragbar sein. Ähnliche automatisierte Verteilsysteme sind beispielsweise überall dort denkbar, wo Kleinteile separat unterschiedliche Fertigungs- oder Prüfstationen durchlaufen