Quo vadis 2013?
«Welche Trends gibt es im Markt?» Diese Frage stellen Fachzeitschriften zum Jahreswechsel gern Branchenexperten. Und regelmässig löst diese Frage bei den Befragten Schweigen aus. Denn auf Anhieb können sie meist keine neuen Trends nennen, obwohl sie sich tagein, tagaus im Markt bewegen.
Das überrascht die Wiener Managementberaterin Sabine Prohaska nicht. Denn die meisten Marktveränderungen verlaufen schleichend. Das heisst, die Marktteilnehmer nehmen sie oft nicht bewusst wahr. Erst im Rückblick stellen sie fest, wie viel sich in den zurückliegenden fünf, zehn und gar zwanzig Jahren geändert hat.
Megatrend: flache Hierarchien
Gerade weil die meisten wirklich relevanten Changeprozesse schleichend verlaufen, ist es laut Prohaska aber wichtig, ab und zu innezuhalten und sich losgelöst von der Alltagshektik die Schlüsselfrage zu stellen:
Wie entwickelt sich die Wirtschaft?
Das gilt für alle Unternehmen – speziell jedoch für Dienstleistungsunternehmen wie Unternehmensberatungen und Trainingsinstitute, die letztlich «Zulieferer der Unternehmen» sind. Bei ihnen greift die Frage «Was geschieht in unserem Markt?» zu kurz. Davon ist Peter Schreiber, Inhaber der Vertriebsberatung Peter Schreiber & Partner, Ilsfeld, überzeugt. Denn so sein Credo: Der Trainings- und Beratungsmarkt reagiert nur auf die Veränderungen, die sich in der Wirtschaft vollziehen. Also müsse die Kernfrage für Beratungsunternehmen eigentlich lauten: Welche Veränderungen vollziehen sich bei unseren Kunden und in deren Markt, und was folgt daraus für uns und unsere Arbeit? Denn sonst könnten die Beratungsunternehmen keine Problemlösungen entwickeln, die dem Bedarf ihrer Kunden entsprechen.
Ein Megatrend, den alle befragten Berater konstatieren, ist: Die Hierarchien in den Unternehmen werden stets flacher und ihre Strukturen immer netzwerkartiger. Das heisst, die Hierarchiestufen und die Bereichsgrenzen spielen in der Alltagsarbeit eine immer geringere Rolle – unter anderem, weil die Mitarbeiter immer stärker in offiziellen oder inoffiziellen Projektstrukturen arbeiten und gemeinsam Aufgaben lösen müssen. Dies zeigt sich laut Alexander Walz, Geschäftsführer der Personalberatung Conciliat, Stuttgart, zum Beispiel darin, dass es in vielen Unternehmen die klassische Stellenbeschreibung, die das Aufgaben
DemografiefesteOrganisationen
feld eines Mitarbeiters fixiert, nicht mehr gibt. Stattdessen werden heute meist die Kompetenzen beschrieben, die ein Mitarbeiter braucht, um seine Funktion in der Organisation zu erfüllen – «und zwar nicht nur heute, sondern auch morgen».
Neue Kompetenzen sind gefragt
Aufgrund der veränderten Arbeitsstrukturen brauchen die Unternehmen heute auch teils andere Mitarbeiter als früher beziehungsweise ihre Mitarbeiter benötigen teils andere Fähigkeiten. Thematisiert wird dieser Sachverhalt in Personalerkreisen seit Jahren unter dem Stichwort «Employability », sprich Beschäftigungsfähigkeit – «bis vor zwei, drei Jahren jedoch weitgehend theoretisch ». Doch nun, so der Eindruck von Hubert Hölzl, Inhaber der Unternehmensberatung Hölzl & Partner, Lindau, gibt es «erste Umsetzungskonzepte – auch weil viele Unternehmen aufgrund der Diskussion über den demografischen Wandel erkannt haben: Wir müssen unsere Organisation ‹demografiefest › machen; also heute dafür sorgen, dass wir morgen die Mitarbeiter mit der benötigten Qualifikation haben.»
Diesen neuen Personalentwicklungskonzepten liegen laut Hölzl in der Regel folgende Erkenntnisse zugrunde:
1. Der Change- und somit Lernbedarf der Organisation und der einzelnen Mitarbeiter wird immer grösser, sodass er mit zentral konzipierten Massnahmen allein immer schwieriger abgedeckt werden kann.
2. Der Lernbedarf der einzelnen Mitarbeiter beziehungsweise Mitarbeitergruppen wird immer individueller, sodass er immer schwieriger zentral erfasst und mit standardisierten Entwicklungsmassnahmen befriedigt werden kann.
Daraus folgt: Die Mitarbeiter müssen sich in Richtung «Selbstentwickler » entwickeln, die selbst erkennen, wo bei ihnen ein Lernund Entwicklungsbedarf besteht und entweder in der Lage sind, diesen selbst zu befriedigen oder für sich die hierfür notwendige Unterstützung zu organisieren.
Trend zur Individualisierung der Weiterbildung
Dies erklärt für Hans-Werner Bormann auch den sogenannten Coaching-Boom, den die Fachpresse häufig konstatiert, wobei der Geschäftsführer der WSFBBeratergruppe Wiesbaden jedoch lieber von einer «Individualisierung der Weiterbildung und Personalentwicklung » spricht. Denn faktisch würden unter dem Begriff «Coaching» zahlreiche Förder-massnahmen subsummiert, die alle darauf abzielten, dass die Mitarbeiter die Kompetenz erwerben, weitgehend eigenständig ihre Lernbedarfe zu erkennen und das eigene Lernen zu organisieren. Als Beispiele nennt Bormann neben dem klassischen Training-on-the- Job solche Stichworte wie Mentorenprogramme, Supervision und kollegiale Beratung. Auch diese Massnahmen zum Kompetenzauf- und -ausbau boomen, während das klassische Training an Bedeutung verliert.
Julia Voss, die Geschäftsführerin des Trainings- und Beratungsunternehmens Voss + Partner, Hamburg, bezieht sich auf einen weiteren Punkt, den alle befragten Berater konstatieren: Die Weiterbildung erfolgt heute stets anlassbezogen und bezogen auf konkrete unternehmerische Ziele. Zum Beispiel bezogen auf das Ziel, ein Unternehmen möchte seine Fertigungsprozesse beschleunigen. Oder ein Industrieunternehmen möchte mehr Umsatz mit Serviceleistungen erzielen. Das heisst, die übergeordnete Frage lautet stets: Wie erreichen wir als Unternehmen dieses Ziel – und zwar in der Regel in einer möglichst kurzen Zeit?
Aus Beratern werden Problemlöser
Deutlich spürt diesen Wandel Michael Reichl an den Anfragen, die bei seinem Unternehmen im-prove, Schwäbisch Gmünd, eintreffen. Bis vor vier, fünf Jahren erhielt das auf Dienstleistungsunternehmen spezialisierte Beratungsunternehmen noch oft Anfragen wie: «Wir möchten ein Teamtraining in unseren bayrischen Niederlassungen durchführen. Bitte unterbreiten Sie uns ein Angebot.» Solche Anfragen erhielt im-prove in den letzten Jahren fast nicht mehr. Die Anfragen lauten nun zum Beispiel: «Wir spüren immer stärker die Konkurrenz der Direkt-Versicherungen. Deshalb suchen wir einen Ansatz, wie wir … Könnten Sie uns einen Lösungsvorschlag unterbreiten, wie wir …?»
Das Entwickeln solcher Lösungsvorschläge setzt bei externen Beratern ein verändertes Kompetenzprofil voraus. Sie müssen das Geschäft ihrer Kunden kennen und verstehen. Sie müssen wissen, dass ein Dienstleistungsunternehmen anders als ein Produktionsunternehmen «tickt». Oder dass ein Mittelständler eine andere Kultur als ein Konzern hat. Ohne Branchen- oder Felderfahrung werden Berater immer seltener von den Unternehmen akzeptiert. Dafür ist der Veränderungsdruck zu hoch.
Nur noch schmunzeln kann denn auch zum Beispiel Walter Kaltenbach, Inhaber des auf den technischen Vertrieb spezialisierten Beratungsunternehmens Kaltenbach Training, Böbingen, rückwirkend über die Moderatoren genannten Kärtchen-Pinner, «denen man vor zehn Jahren in Seminaren noch oft begegnete». Sie waren oft geradezu stolz darauf, keine Branchenkenntnis zu haben, weil sie sich nur für das Strukturieren des Lern- und Erkenntnisprozesses verantwortlich fühlten. Solche Trainer würden Unternehmen heute sofort vor die Tür setzen. Das zeigt, wie viel sich im Trainingsbereich geändert hat.
Ähnlich ergeht es zunehmend den sogenannten systemischen Beratern, die sich primär als Prozessberater verstehen. Auch sie stossen in den Unternehmen auf eine immer geringere Akzeptanz.
Inhouse Consultants
Externe Berater können jedoch nie die intime Kenntnis der internen Strukturen und Beziehungen sowie der Prozesse von Unternehmen haben wie deren Mitarbeiter. Deshalb und weil ihr Changebedarf kontinuierlich steigt, setzte sich in den zurückliegenden Jahren bei vielen Grossunternehmen die Erkenntnis durch: Mit externen Beratern allein können wir den Changebedarf in unserer Organisation nicht mehr bewältigen. Deshalb bauten fast alle DAXKonzerne Inhouse-Consulting- Abteilungen auf. Dieser Trend schwappt auf die mittelständische Industrie über. Auch sie erkennt zunehmend: Wir brauchen mehr Changemanagement-Kompetenz im eigenen Haus. Inzwischen bieten die ersten Beratungsunternehmen Aus- und Weiterbildungen zum Inhouse Consultant an. So zum Beispiel die beiden Beratungsunternehmen Kudernatsch Consulting & Solutions und Hölzl & Partner. Ebenfalls boomen Coach-, Change-Begleiter und Train-the- Trainer-Ausbildungen für Führungskräfte und erfahrene Mitarbeiter, die ebenfalls darauf abzielen, die Changemanagement- Kompetenz in den Unternehmen zu erhöhen.
Führung muss sich neu definieren
Eine Hauptzielgruppe dieser Weiterbildungen sind die Führungskräfte. Das liegt laut Julia Voss daran, dass sich deren Funktion in den letzten Jahren gewandelt hat. Ihre Kernaufgabe ist und bleibt es, dafür zu sorgen, dass ihr Bereich seine Funktion in der Organisation erfüllt. Zudem müssen sie jedoch sicherstellen, dass die strategischen Vorgaben auf der Bereichsebene umgesetzt werden. Ausserdem entwickelt es sich zunehmend zu ihrer Aufgabe, Lernprozesse bei Mitarbeitern anzustossen und zu begleiten.