Wie KMU ihre Innovationskraft stärken können
In vielen KMU sind die Inhaber die treibenden Kräfte – auch hinsichtlich Innovationen. Doch Einzelkämpfertum hat seine Grenzen. Interdisziplinäre Kooperationen können hier Auswege bieten, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind.
Die wirtschaftliche Berichterstattung feiert gerne die Genialität einzelner Individuen, welche aus überragenden Intuitionen, starkem Willen und gewieftem Handeln Unternehmungen gründen und danach beharrlich zum Erfolg führen. Auch wenn gewisse Übertreibungen mehr mit der Schaffung von Identifikationsfiguren als mit der Realität zu tun haben, wollen wir hier die treibende Rolle der Unternehmer in der Marktwirtschaft nicht abstreiten. Vielmehr möchten wir auf eine zentrale Bedingung hinweisen, damit Innovationen realisiert werden. Wir meinen damit die Zusammenarbeit von Experten unterschiedlicher Fachrichtungen. Zwischen der Intuition für ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung und derer Umsetzung liegt nämlich ein langer Weg, welcher erst noch zu erkunden gilt. Eine solche Aufgabe wäre nicht zu bewältigen ohne die Beiträge vieler zusammenwirkender Fachkräfte, wie es auch etliche Studien belegen. Es gibt zwar Fälle, bei denen diese Mitwirkung Einzelner als Ausführung von Vorgaben verstanden werden muss. Zahlreicher scheinen allerdings die Fälle, bei denen sie ein aktiver Prozess der Mitgestaltung vieler ist. Schliesslich stammen viele Innovationen – insbesondere inkrementeller Art – aus den Beiträgen der Mitarbeiter, und zwar bei Weitem nicht alleine denjenigen aus der Forschung und Entwicklung.
Wenn betriebswirtschaftliches Wissen fehlt
Angesichts der technischen Komplexität und der stetig anspruchsvoller werdenden Marktbedingungen erfordern Innovationen sehr verschiedene Kenntnisse und Kompetenzen. Diese können in der Regel nicht von einer und oft nicht einmal von wenigen Personen beherrscht werden. Somit entsteht die Notwendigkeit, Gruppen von Experten zusammenzustellen, damit sie jeweils zu den unterschiedlichen Aspekten betreffend Realisierung und erfolgreiche Vermarktung einer Innovation beitragen können. Bei Grossunternehmungen kommt es vor, dass gewisse Profile zwar in der Organisation vorhanden, aber entweder bereits in anderen Projekten eingespannt sind oder zu anderen Organisationseinheiten gehören, womit sie nicht ohne Weiteres für neue Initiativen beansprucht werden können. Bei KMU dagegen ist es einerseits aufgrund unzureichender Auslastung, dass gewisse Profile gar nicht vorhanden sind und auch nicht eingestellt werden. Andererseits aber sind sich einige Geschäftsleiter gar nicht bewusst, dass es gewisse Kompetenzen und Kenntnisse im Rahmen eines Innovationsprojektes braucht! Ein häufiger Fall diesbezüglich betrifft betriebswirtschaftliches Wissen, da etliche KMU von Technikern gegründet bzw. geführt werden. Vielleicht ist gerade dies der Grund, wieso sich manche Neuerung im Markt nicht durchsetzt. Wie man sagt, wurde sie womöglich «am Markt vorbei» entwickelt.
Störfaktoren bei Kooperationen
Sind aber die Kompetenzen und Kenntnisse vorhanden, ist es nur «die halbe Miete»: Jeder, der schon an solchen Projekten beteiligt war, kann wahrscheinlich bezeugen, dass die Kooperation mit den «anderen» keinesfalls ein anspruchsloses Bestreben ist. Zusammenarbeit an sich kann eine Herausforderung darstellen, umso mehr dann, wenn sich die Beteiligten durch ihre Ausbildung und Berufserfahrung voneinander unterscheiden. Grund dafür sind die unterschiedlichen Denkweisen – mentale Modelle nennt man sie in der Fachsprache –, welche sich die Spezialisten aufgrund ihrer Ausbildung aneignen und dann über die Jahre ihrer Tätigkeit festigen. Unterscheidende Elemente persönlicher Art – Geschlecht, Alter, Herkunft usw. – erhöhen zusätzlich die Vielfalt und erschweren – leider oft –zusätzlich die Zusammenarbeit. Allerdings bieten weder die Überbetonung noch das Ignorieren der Differenzmerkmale Hilfe. Die Unterschiede herunterzuspielen, bedeutet, sie zu verdrängen. Somit sind sie zwar weg von der Tagesordnung, jedoch sehr wohl präsent im Hintergrund als störende «Geräuschkulisse». Eine Überbetonung – wie sie manchmal die sogenannte politische Korrektheit einfordert – kann ihnen wiederum eine Bedeutung zuschreiben, die sie erst recht zum künstlich erschaffenen Störfaktor aufsteigen lässt.
Was Team-Mitglieder (nicht) wissen
Wie kann man also die vorhandenen Kompetenzen zum Tragen bringen, sprich: wie kann man sie mobilisieren, damit das Endergebnis in Innovationsprojekten von ihren Beitrag profitiert, was der Unternehmung einen Wettbewerbsvorteil und den Mitarbeitern einen Motivationsschub bescheren kann? Patentrezepte gibt es erwartungsgemäss keine. Dennoch wurden in vielen Studien Werkzeuge ermittelt, die als Stütze bzw. Hebel dienen können. Einige davon eignen sich für alle Projekte. Bei anderen wechselt ihre Eignung in Abhängigkeit von den Eigenschaften des Produktes respektive der Dienstleistung, welche im Rahmen des Innovationsprojektes entwickelt werden soll. Wenn wir uns auf die grundlegenden Werkzeuge konzentrieren, so können wir darauf hinweisen, dass eine gern übersehene Hürde bei Innovationsprojekten mit multidisziplinärem Hintergrund diejenige der fehlenden gegenseitigen Wahrnehmung ist.
Einige Studien belegen, dass die Teammitglieder oft gar nicht wissen bzw. falsche Vorstellung darüber haben, was der spezifische Beitrag ihrer Kollegen im Projekt sein kann. Die fehlgeleiteten Vorstellungen rühren daher meistens aus den beruflichen und organisatorischen Vorurteilen, welche alternativ einen besonderen oder kaum einen Wert auf die fachliche Meinung von Kollegen legen, die in einer bestimmten Abteilung tätig sind, die eine gewisse Ausbildung an einer bestimmten Hochschule genossen oder nicht genossen haben usw. Erschwerend können sich weitere Vorurteile betreffend Geschlecht, Alter, Herkunft usw. auswirken. Die Folge davon ist, dass die Beiträge von Kollegen, die bei einer grösseren Anzahl der anderen Projektmitglieder Ansehen geniessen, überbewertet werden, auch wenn sie im spezifischen Projektkontext nicht weiterführen, während diejenigen von Kollegen, die eine Randposition innehaben, ignoriert werden. Vielleicht fällt es leichter, solche Urteile auf die unterschiedliche hierarchische Stellung zurückzuführen: wer hat noch nicht gemerkt, dass leitende Positionen sich mehr Gehör verschaffen? Doch mit der hierarchischen Stellung allein ist das Problem nicht erklärt, denn das Phänomen wirkt sich aufgrund etlicher anderer sozialer Merkmale wie Geschlecht, Alter, Herkunft, Art und Abschluss der Ausbildung usw. aus.
Hierarchie als Hemmschuh
Man könnte meinen, dass KMU vor obigen Problemen gefeit sind, weil sich aufgrund der geringen Belegschaftsanzahl die Mitarbeiter untereinander kennen. Tatsache ist, dass gerade aufgrund dessen eine irregeleitete Gewissheit einsetzen kann. In Innovationsprojekten sollten nämlich Kenntnisse und Fähigkeiten zum Tragen kommen, für die im Rahmen des Alltagsgeschäfts oft gar kein Bedarf besteht. Losgelöst von den Eigenheiten der Einzelfälle bleibt immer das unerwünschte Ergebnis: Potenziell wichtige Beiträge geniessen keine Achtung, weil sie von der vermeintlich «falschen» Person stammen. Das Phänomen
Innovationen erfordern verschiedene Kenntnisse und Kompetenzen.
hat auch eine Kehrseite, die zu denselben Folgen führt. Eine ausgeprägte Risikoaversion kann z.B. Projektmitglieder aus niedrigeren Hierarchiestufen, mit dem «falschen» Geschlecht oder ohne eine besondere Ausbildung usw. hemmen. Sie trauen es sich deswegen nicht zu, ihre Kenntnisse und Erfahrungen im Projekt einzubringen. Dadurch entgehen der Gruppe wichtige Hinweise, welche zu wertvollen Erkenntnissen, ja mitunter sogar zu einem Durchbruch führen könnten. Gibt es in der Gruppe besonders charismatische, kommunikationsstarke oder besonders geachtete Kollegen, verstärkt sich der Effekt: die einen treten dominanter auf, während die anderen in den unbedeutenden Hintergrund gedrängt werden.
Bewusstsein schärfen
Gibt es eine Art «Gegengift» dazu? Die meisten Autoren sind sich darüber einig, dass der erste Schritt zu ihrer Vermeidung das Bewusstmachen der geschilderten Gefahren und Mechanismen ist. Bei KMU ist es dann von grösster Bedeutung, dass die Unternehmensleitung darin die Vorreiterrolle einnimmt, dies umso mehr, wenn sie selber die Organisation gegründet hat. In solchen Fällen ist die Beharrung auf die eigene Meinung bzw. die Tendenz zur Vernachlässigung anderer Meinungen oft ein Grund des Erfolges (und gleichermassen des Scheiterns) und kann – insbesondere nachdem der Erfolg eingesetzt hat – zur Sturheit führen. Ändern sich die Umstände, so kann der sonst bewährte Kurs der Unternehmung in eine Sackgasse führen. Hat dann die Geschäftsleitung den ersten Schritt getan – entweder alleine, zusammen mit einem Coach oder aufgrund einer kollektiven Auseinandersetzung mit dem Thema –, so empfiehlt es sich, das Bewusstsein der Mitarbeiter für die gleichberechtigte Teilhabe an der Gruppenarbeit, insbesondere derjenigen, welche im Rahmen innovationsorientierter Initiativen mitwirken, ebenfalls zu wecken. Geknüpft mit diesem Prozess der Verbreitung dieser Erkenntnisse kann auch der unterstützende Schritt der Definition von Normen eingeleitet werden. Hier geht es nicht um das Niederschreiben von Leitwerten, die sich auf der Webseite der Unternehmung veröffentlichen lassen und sonst kaum eine Auswirkung auf das Geschehen in der Unternehmung haben, sondern um die Erar beitung eines bündigen Verhaltenskodex für ein spezifisches Innovationsprojekt. Selbstverständlich darf der Kodex in anderen ähnlichen Projekten übernommen werden, jedoch nicht unreflektiert! Da die vereinbarten Normen einen begrenzten Geltungsbereich haben, dürfen sie von den sonst in der Unternehmung für das Alltagsgeschäft geltenden Richtlinien abweichen. Einige Beispiele solcher Regeln sind: Meinungen, welche von derjenigen der Mehrheit abweichen, sind willkommen und dürfen nicht ohne Diskussion abgelehnt werden; Nachfragen ist eine Tugend, die von allen aktiv gepflegt werden muss; bevor eine Idee abgelehnt wird, soll sie so weit wie es geht weiterentwickelt werden.
Regeldiktat oder Mitsprache?
Wer soll die Regeln formulieren? Diesbezüglich gehen die Meinungen auseinander. Einige halten an der bewährten Vorstellung fest, dass die effizientere Art die des «wohlwollenden Diktators» ist: Derjenige, der Entscheidungen treffen kann, soll die Regeln aufstellen. Andere weisen darauf hin, dass die Beteiligung der Gruppenmitglieder an der Formulierung der Normen die Chancen ihrer Einhaltung erhöht. Wichtig ist es auf jeden Fall, dass alle Projektteilnehmer befragt werden, was sie von den Normen halten bzw. ihre Bedenken zu den Prinzipien frei äussern können
Es gibt selbstverständlich weitere Werkzeuge, die allgemein für Projekte gelten. Wir wollen hier noch kurz auf ein Werkzeug hinweisen, das nur unter bestimmten Umständen zum Tragen kommt. Wir beziehen uns diesbezüglich auf modular aufgebaute Produkte. Diese ermöglichen, dass sich unterschiedliche Spezialisten nur auf bestimmte Komponenten fokussieren, während andere Teile von Kollegen bzw. externen Partnern verantwortet werden. Somit könnte den Eindruck entstehen, dass die Kooperation unter den Gruppen umgegangen werden kann. Das stimmt sogar in gewisser Hinsicht, jedoch wird es notwendig, einerseits die für alle Teile geltenden Rahmenbedingungen und andererseits die Schnittstellen unter den Komponenten gemeinsam zu definieren. Diese Aufgabe kann vorteilsbringend einem Vertreter der jeweiligen Gruppen überlassen werden, welcher als «Gatekeeper» wirkt und dafür sorgt, dass Informationen, Anweisungen und Anforderungen kanalisiert und gefiltert werden. Die Wahl dieser Schlüsselperson darf nicht lediglich aufgrund ausgezeichneter Fachkompetenz gefällt werden, sondern sollte ebenfalls – vielleicht sogar vorwiegend – andere Kompetenzen mit berücksichtigen. Zwei besonders wichtige sind diesbezüglich das Verhandlungsgeschick und ein gute Portion Verständnis für Zusammenhänge sowohl technischer als auch wirtschaftlicher Art, und zwar über den Rahmen des jeweiligen Tätigkeitsbereichs hinaus. Eine solche Funktion ist dagegen nicht gefragt, wenn das Produkt oder die Dienstleistung integriert ist, sprich: keine getrennte Entwicklung der Bestandteile zulässt. Dazu gehört wohlgemerkt auch die Entwicklung eines Bestandteils von einem komplexeren Produkt, wenn die Komponente durch ein Team von Spezialisten mit unterschiedlicher fachlicher Ausprägung vorangetrieben werden muss.
Wenn man bei solchen «einfachen» Mitteln ansetzt, steigen die Chancen eines Erfolgs bei Innovationsprojekten – und nicht zuletzt wird auch das Arbeitsklima im und ausserhalb des Projekts dadurch verbessert.