Achtung Umweltbuchhaltung
Die Verbesserung der Informationen über die Auswirkungen von Produkten auf die Umwelt ist eines der zentralen Anliegen des Aktionsplans «Grüne Wirtschaft» des Bundesrates [1]. Dabei nimmt die Ökobilanzmethodik eine zunehmend wichtige Rolle wahr. Umso wichtiger ist es, dass Bewertungsmethoden, mit denen die Umweltauswirkungen von Produkten, Dienstleistungen und Organisationen quantifiziert werden, aktuell und umfassend sind.
Ende Jahr wurden die neuen «Ökofaktoren Schweiz 2013» publiziert, die auf der Methode der ökologischen Knappheit basieren [2]. Es handelt sich dabei um die vierte Generation von Ökofaktoren für die Schweiz, welche seit der erstmaligen Publikation der Methode vor knapp 25 Jahren den Ökobilanzierenden und Entscheidungsträgern zur Verfügung gestellt werden [3], [4], [5].
Die «Ökofaktoren Schweiz 2013» ermöglichen im Rahmen einer Ökobilanzierung, die Umweltauswirkungen von Produkten, Dienstleistungen, aber auch Firmen anhand ihrer politisch definierten Knappheit zu beurteilen. Die grundsätzliche Idee hinter einer Ökobilanz ist es, Umweltbelastungen, die ein Produkt oder eine Dienstleistung über den gesamten Lebensweg verursachen, in Zahlen darzustellen. Betrachten wir als Beispiel eine Autofahrt, so werden in der Ökobilanzierung neben den Emissionen, die bei der Nutzung des Personenwagens verursacht werden, auch die Bereitstellung des Treibstoffs, die Herstellung, der Unterhalt und die Entsorgung des Personenwagens sowie anteilsmässig auch der Bau, Unterhalt und Rückbau der erforderlichen Infrastruktur (Strassennetz) berücksichtigt. Dabei werden alle relevanten Schadstoffemissionen wie beispielsweise CO2, Methan oder NOX sowie Ressourcenentnahmen (z.B. Rohöl, Kies, Wasser und Kupfererze) über den ganzen Lebenszyklus erfasst und beurteilt.
Methodisches Grundkonzept
So unterschiedliche Umweltbelastungen wie Luftverschmutzung und Wasserverbrauch auf einen Nenner zu bringen, ist eine der zentralen methodischen Herausforderungen von Ökobilanzen. So legt die Methode der ökologischen Knappheit beispielsweise fest, wie schwerwiegend die Umweltauswirkungen einer Substanz im Vergleich zu den Wirkungen anderer Substanzen eingestuft werden. Zentrale Grösse dieser Methode sind die Ökofaktoren, welche die Umweltbelastung einer Schadstoffemission respektive Ressourcenentnahme in der Einheit Umweltbelastungspunkte (UBP) pro Mengeneinheit angeben. Bei der Bestimmung der Ökofaktoren folgt die Methode dem Differenz-Ansatz (engl. distanceto-target), das heisst, es wird die «Differenz zur Umweltzielsetzung» berechnet. In der Regel verwendet die Methode im Gewichtungsschritt (siehe Abbildung 1) einerseits die gesamten gegenwärtigen Flüsse einer Umwelteinwirkung eines Landes pro Jahr (aktuelle Flüsse) und anderseits die im Rahmen der umweltpolitischen Ziele dieses Landes als maximal zulässig erach teten Flüsse derselben Umwelteinwirkung pro Jahr (kritische Flüsse). Je mehr die aktuellen Emissionen respektive der Verbrauch an Ressourcen das gesetzte Ziel überschreiten, desto grösser wird der Ökofaktor. Die «Ökofaktoren Schweiz 2013» wurden mit den aktuellen und kritischen Flüssen der Schweiz ermittelt.
Die Methode stützt sich bei der Abschätzung der Umweltauswirkung auf zwei Grundlagen. Zum einen sind dies wissenschaftliche Daten. Sie werden für die Bestimmung der aktuellen Mengen von Emissionen und Ressourcenentnahmen hinzugezogen. Die Beurteilung von Wirkmechanismen und der relativen Umweltauswirkung von Stoffen innerhalb der gleichen Kategorie (Charakterisierung, siehe Abbildung 1) beruht ebenfalls auf wissenschaftlichen Methoden und/oder Festsetzungen von Fachgremien. Die Einschätzung der Klimawirksamkeit von Treibhausgasen stützt sich beispielsweise auf den vierten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, auch als Weltklimarat bezeichnet [6]). Zum anderen werden nationale oder internationale Bestimmungen und Grenzwerte zur Bestimmung der Toleranzmengen (der kritischen Flüsse) verwendet. Das können rechtlich verbindliche, zwischenstaatliche Übereinkünfte oder von den nationalen politischen Gremien festgelegte Ziele sein. Im Beispiel der Treibhausgase werden zur Herleitung des schweizerischen Ökofaktors das CO2-Gesetz [7] und die «Strategie Nachhaltige Entwicklung» des Bundesrates [8] herangezogen.
Die Ökofaktoren Schweiz 2013
Die Schweizer Ausgestaltung reflektiert die umweltgesetzlichen Ziele der Schweiz und bewertet in der vorliegenden vierten aktualisierten Fassung folgende breite Palette von Emissionen und Ressourcenentnahmen (siehe auch Abbildung 1):
- Wasserressourcen (Süsswasser, nach regionaler Knappheit)
- Energieressourcen (erneuerbar und nicht erneuerbar)
- mineralische Primärressourcen (Abbau von Metallerzen, Kies, Gips etc.)
- Landnutzung (Verlust an Biodiversität, differenziert nach Biomen)
- Treibhausgase (z.B. CO2, Methan, N2O, SF6)
- Ozonschicht abbauende Substanzen (z.B. FCKW, Halone)
- Luftschadstoffe und Partikel
- krebserregende Substanzen in Luft und Wasser
- Schwermetalle in Luft, Wasser und Boden
- Wasserschadstoffe (inkl. hormonaktiver Substanzen)
- Pflanzenschutzmittel
- radioaktiver Emissionen in Luft und Wasser
- radioaktive und nicht radioaktive Abfälle
- Lärm (Verkehrslärm)
Mit der aktuellen Ausgabe wurden die Datengrundlagen der bestehenden Ökofaktoren aktualisiert, neue Ökofaktoren für Verkehrslärm, für persistente organische Schadstoffe und für metallische und mineralische Ressourcen eingeführt sowie die Herleitung der Ökofaktoren für Landnutzung und radioaktive Abfälle an neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst.
Mit der Aktualisierung und Erweiterung der Ökofaktoren hat sich auch die relative Bedeutung der verschiedenen Umweltauswirkungen der Schweiz verschoben (siehe Abbildung 2). Dabei hat der Klimawandel stetig an Bedeutung zugenommen.
Der Ozonschichtabbau hingegen ist in der neuen Version kaum noch von Bedeutung. Die Beeinträchtigungen der Luft- und Wasserqualität erreichten ihr Maximum im Jahr 1997 und nehmen seitdem ab. Ähnlich verhält es sich mit nicht radioaktiven Abfällen. Eine Zunahme des Stellenwerts kann für die Energieressourcen sowie neue Themen wie Landnutzung, mineralische Primärressourcen und Lärm beobachtet werden.
Neu: Bewertung von Verkehrslärm
Der neu eingeführte Ökofaktor für Verkehrslärm beruht auf flächendeckend erfassten Lärmdaten des BAFU [9]. Durch diese neue Datengrundlage ist nun erstmals die Anzahl durch Verkehrslärm stark gestörter Personen erfasst worden. Das langfristige Ziel der Lärmbekämpfung ist es, dass keine Personen mehr von Lärm belästigt sind. Mittelfristig, also bis etwa 2035, wird eine Senkung der Lärmbelastung von je 5 dB(A) für den Strassen-, Schienen- und Luftverkehr angestrebt. Eine Senkung um 5 dB(A) entspricht in etwa einer Halbierung der stark vom Lärm betroffenen Personen. Über die Anzahl stark gestörter Personen, die Zielsetzung des BAFU bezüglich Lärmreduktion bis ins Jahr 2035 und die Verkehrsleistung der einzelnen Transportmittel war es nun erstmals möglich, einen Ökofaktor für Lärm zu ermitteln. Den wichtigsten Verkehrsträgern wie Personenkraftwagen (Pkw), Lastkraftwagen (Lkw), Personenzug, Güterzug und Flugzeug konnte ein Ökofaktor für Lärm zugewiesen werden. Bei einer Auswertung verschiedener Transportleistungen (siehe Abbildung 3) zeigt sich, dass die neu eingeführten Ökofaktoren für Lärmbelastungen bei Bahntransporten zwischen 11% und 30% der Gesamtumweltbelastung ausmachen, bei Strassentransporten sind es zwischen 6% und 12% und bei Flugtransporten liegt der Anteil unter 1%.
Abbildung 3 zeigt die Auswertung verschiedener Verkehrsträger. Die Kategorie Klimawandel berücksichtigt Klimagase, die Luftqualität berücksichtigt Luftschadstoffe wie NOX, VOC, Schwermetalle, krebserregende und radioaktive Substanzen und die Kategorie Bodenressourcen beinhaltet neben der Landnutzung auch das zu deponierende Abfallvolumen. Darin eingeschlossen sind auch radioaktive Abfälle. Der Schienenverkehr verursacht vergleichsweise geringe Luftbelastungen und hat gleichzeitig einen hohen Strombedarf. Mit der Produktion von Atomstrom fällt radioaktiver Abfall an, weshalb die Kategorie Bodenressourcen bei der Bewertung des Schienenverkehrs von hoher Relevanz ist.
Umweltbeurteilung im Sinne eines «true and fair view»
Die Methode der ökologischen Knappheit eignet sich zur Beurteilung von Umwelteinwirkungen von Produkten (Güter und Dienstleistungen) und einzelnen Prozessen, wie sie Sachbilanzdatenbanken (z.B. ecoinvent und andere) zur Verfügung stellen. Die Methode eignet sich auch zur Beurteilung der Umweltleistung einer Organisation im Rahmen des Umweltmanagements, beispielsweise zur Beurteilung der Umweltaspekte und deren Entwicklung gemäss ISO 14001. Durch das Berücksichtigen einer Vielzahl von Schadstoffemissionen und Ressourcenverbräuchen und die Möglichkeit der Vollaggregation erlaubt die Methode der ökologischen Knappheit mit den «Ökofaktoren Schweiz 2013» einen Fokus auf das Gesamtbild der Umweltauswirkungen von Produkten, Dienstleistungen und Organisationen in der Schweiz. Mithilfe der Methode der ökologischen Knappheit können somit die für Entscheidungen relevanten Umweltinformationen bereitgestellt werden, weshalb die Methode für das aus der Finanzberichterstattung übernommene Konzept eines «true and fair view» bezüglich Umweltinformationen ein wichtiges Element darstellt [10]. Die internationale Anwendung der Methode und das Interesse im Ausland an der Entwicklung eigener nationaler Ökofaktoren zeigen, dass ein Bedarf besteht an umfassenden, in der Grundstruktur einfachen und transparenten Bewertungsmethoden.