Sozialpartner als Stakeholder

Wir verdanken den Sozialpartnerschaften etliche Errungenschaften für die Arbeitsbedingungen und die Altersvorsorge der Mitarbeiter. Gewerkschaften und Verbände haben dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Doch sind sie heute noch zeitgemäss? Wäre freiwilliges Engagement der Firmen nicht wesentlich sinnvoller als der Druck von Gewerkschaften? Ein Gespräch mit Roland A. Müller, Direktor des Arbeitgeberverbands, und Arno Kerst, SYNAPräsident, weist den Weg für ein zukunftsweisendes Modell einer Sozialpartnerschaft.

Sozialpartner als Stakeholder

 

 

 

In Deutschland oder Frankreich sind die Gesetzgebungen weniger liberal. Das Mitbestimmungsrecht ist umfassend ausgearbeitet und zwingt Firmen ab einer gewissen Grösse, die Mitsprache von Gewerkschaften oder Betriebsräten zu berücksichtigen. In der Schweiz gibt es nur ein gesetzliches Informations- und Konsultationsrecht in bestimmten Gebieten und den Hinweis, dass Mitarbeitende selbst aktiv werden müssen. Es ist nicht nur in Fachkreisen anerkannt, dass gerade diese Freiwilligkeit in der Schweiz zu den sehr guten Arbeitsbedingungen und dem stabilen Arbeitsfrieden führt.

 

Roland Müller erwähnt, dass unser Schweizer System der Sozialpartnerschaft bottom up entstanden ist, also im Interesse der beteiligten Personen. Die Betriebe sorgen selbst für das Wohlergehen der Mitarbeiter. Es gab zunächst ein Friedensabkommen in der Metallindustrie, das es noch immer gibt. Davon abgeleitet wurde das Schweizer Gesetz mit Minimalforderungen und Ergänzungen der EU-Richtlinien bezüglich Gesundheitsschutz, Massenentlassungen und Betriebsübernahmen. Wer sich aus eigenem Interesse als guter Arbeitgeber profiliert und den Dialog mit Sozialpartnern einschliesst, hat viele Vorteile. Die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern ist viel einfacher und der Lohn steht weniger im Zentrum, weil es eine Auszeichnung ist, dort arbeiten zu dürfen. Da könnten etliche Firmen natürlich viel mehr tun, um attraktiver zu werden.

Sozialpartnerschaften nutzen auch Arbeitgebern

 

In den letzten Jahrzehnten haben sich die Rollen der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände stark verändert. Falls es eine unzeitgemässe Personalpolitik in einzelnen Firmen gibt, haben solche Strukturen im freien Wettbewerb wenig Erfolgschancen, weil der Fachkräftemangel zunimmt und Qualitätslabel wie EFQM oder ISO dies nicht zulassen. Gewerkschaften kämpfen um einen GAV (Gesamtarbeitsvertrag). Dieser gibt den Arbeitnehmenden Sicherheiten, dass z.B. ein Minimallohn gewährleistet ist und gewisse Regeln zum Arbeitnehmer- und Gesundheitsschutz eingehalten werden. Das stärkt nicht nur die Arbeitgebermarke, sondern führt auch zu vergleichbaren Offerten bei Ausschreibungen.

 

Alte Rezepte für neue Lösungen? Der Druck der Gewerkschaften bewirkt manchmal jedoch das Gegenteil, dass ein GAV gar nicht zustande kommt. «Es tut uns manchmal für die Arbeitnehmer leid, wenn wir eine Verhärtung der Fronten feststellen müssen. Der Klassenkampf ist eher eine politische Doktrin und entspricht nicht mehr der heutigen Zeit, Probleme zu lösen. Da sind nicht alle gleich dialogbereit», bestätigt Roland Müller. Für die SYNA ist Streik das allerletzte Mittel und auf Arbeitgeberseite betont Roland Müller: «Vieles, was wir erreicht haben, verdanken wir den Sozialpartnern. Man sitzt und redet so lange, bis Lösungen gefunden werden. Das sind anstrengende Verhandlun-gen, führen jedoch zu stabilen Ergebnissen, die wirklich eingehalten werden. Man muss zwischen der betrieblichen und der politischen Ebene unterscheiden. Auf Betriebsebene laufen die Verhandlungen immer noch positiv und werden Einigungen möglich. Politisch wird z.B. auf UNIA-Seite ein konfrontierender Konfliktansatz gewählt, bei dem der Eindruck entstehen könnte, die Sozialpartnerschaften seien am Ende, was nicht zutrifft.» Ob der Mitgliederschwund der Gewerkschaften mit medialer Aufmerksamkeit gestoppt werden kann, darf bezweifelt werden.

 

«Wir vertreten die Anliegen der Arbeitnehmer engagiert, anerkennen aber auch die Bedürfnisse der Arbeitgeber», bestätigt Arno Kerst für die Syna: «Mit dieser Haltung ermöglichen wir Win-Win-Situationen, wodurch Arbeitsbedingungen verbessert, aber auch der soziale Friede und die Arbeitsplätze erhalten bleiben.»

 

 

Dialog ist nun auch die Forderung des EFQM, die sich durch fast alle Assessmentpunkte durchzieht. Es geht darum, dass Firmen beste Lösungen suchen – nicht irgendeine Lösung, die sich später als Rohrkrepierer erweist. Nachhaltigkeit ist gefordert, auch wenn es Shareholdern schwer fällt, dafür auf kurzfristige Gewinne zu verzichten. Gerade das ist die Stärke zukunftsweisender Modelle, dass Innovation keine Verlierer hervorbringen soll und immer mehr auch das Umfeld einbezogen werden muss.

Welche Themen eignen sich für den sozialpartnerschaftlichen Dialog?

 

«Unsere Gewerkschaftsmitglieder kommen mit Fragen zum Lohn, der Arbeitszeit, aber auch den Sozialversicherungen auf uns zu», sagt Arno Kerst. Viel Arbeit fliesst in die individuelle Beratung der Mitglieder, die bei der SYNA zu 40% aus Ausländern bestehen. Sie können sich verbal weniger gut verteidigen und kennen die Gesetzeslage oft zu wenig. Manchmal werden gesetzliche Vorgaben nicht eingehalten oder Arbeitnehmer fürchten um ihren Arbeitsplatz. Andere stecken in langjährigen Temporärverträgen und bei anderen gerät die Work-Life-Balance aus den Fugen – gerade auch wegen der neuen Kommunikationsmittel. Arno Kerst: «Mit einer Firma haben wir vereinbart, dass die Arbeitspläne früher erstellt werden. Wer ausserplanmässig innert 24 Stunden zur Arbeit antreten muss, erhält einen Fristzuschlag. » Roland Müller ergänzt: «Die Planbarkeit hat für Firmen generell stark abgenommen. Sie müssen immer kurzfristiger liefern und verfügen kaum über langjährige Auftragsvolumen. Wichtig ist, wie das den Mitarbeitenden kommuniziert wird und wie sie in die Planung einbezogen werden. Es ist ja erstaunlich, wie viel – auch unbezahlte – Mehrarbeit von den Angestellten derzeit freiwillig geleistet wird wegen der Frankenstärke.» Gerade da beginnt der Dialog mit den Gewerkschaften. Gemeinsame Lösungen sind wesentlich nachhaltiger.

Arbeitsmarktfähigkeit

 

Auch die Arbeitsmarktfähigkeit beschäftigt Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite gemeinsam. Arno Kerst: «Wir stellen fest, dass das Potenzial vieler Menschen nicht genutzt wird. Generell brauchen Menschen ab 40 Jahren Zeit für eine Neuorientierung oder Zusatzausbildung. Arbeitgeber investieren eher in jüngere Menschen.» Roland Müller appelliert aber auch an die Veränderungsbereitschaft der älteren Arbeitnehmer: «Es liegt auch an ihnen, ihre fachlichen und persönlichen Qualifikationen weiterzuentwickeln und damit ihre Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten. » So haben der Schweizerische Arbeitgeberverband und Economiesuisse gemeinsam das

 

Die Planbarkeit für Firmen hat generell abgenommen.

 

Programm «Zukunft Arbeitsmarkt Schweiz» lanciert. Damit wollen die beiden Spitzenverbände einen Beitrag zur besseren Einbindung der inländischen Arbeitskräfte leisten. Insbesondere Ältere, Frauen, Jugendliche und Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen möchte die Initiative verstärkt in den ersten Arbeitsmarkt integrieren.

Das Engagement des einzelnen Mitarbeiters

 

Es scheint schwierig zu sein, sich als Gewerkschaftsmitglied in einem Betrieb zu outen. Ältere Arbeitnehmende, welche um ihren Job fürchten, machen oft die Faust im Sack, anstatt sich kollektiv zu engagieren, bestätigt Arno Kerst. Jüngere Menschen hingegen würden sowieso schneller den Arbeitsplatz wechseln und steigen auch mit höheren Ansprüchen an die Soft-Factors ins Erwerbsleben ein. Zudem sind kritische Mitarbeiter nicht unbedingt schlechte Mitarbeiter. Gruppendynamisch gesehen sind sie das Salz in der Suppe und wertvoll zur Risikoprävention, da sie wunde Punkte aufdecken. Ein Kollektiv kann sie eher schützen.

Das Kollektiv als Partner

 

Ein Kollektiv sucht gemeinsame, übergreifende Lösungen. Sicher bewirken Einsicht und Freiwilligkeit, dass eine Partizipation eher gelebt wird. Arno Kerst bemerkt jedoch, dass durch Sozialpartnerschaften ohne externe Gewerkschaften eine Abhängigkeit vom Goodwill eines mächtigen Chefs entsteht. Tritt dieser ab, so kann mit dem Nachfolger alles ändern. Wird jedoch ein Regelwerk wie z.B. ein GAV erstellt, überdauert dieser eine freiwillige Aktion und gibt allen Beteiligten mehr rechtliche Sicherheit. Ein Regelwerk kann kontrolliert werden und allenfalls Bestandteil eines Audits sein. Der Nachweis einer Ombudsstelle allein genügt nicht, wenn Kritik sanktioniert wird. Der Einbezug der Mitarbeiter ist letztlich eine sensible Kulturfrage und das Kollektiv hinter dem GAV erhöht die Umsetzung. So überwachen und sichern die Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam durch eine sogenannte paritätische Kommission die Einhaltung des Gesamtarbeitsvertrages.

Zukunftsmodell Schweiz

 

EFQM hat in den acht Grundprinzipien verankert, dass die Ausrichtung an Excellence bedeutet, die Zukunft nachhaltig zu gestalten und durch Mitarbeiter erfolgreich zu sein. Das heisst wörtlich: «Exzellente Organisationen achten ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und schaffen eine Kultur der aktiven Mitwirkung, um einen angemessenen Ausgleich von organisationsund persönlichen Zielen zu erreichen. » ISO 9001-2015 verlangt unter 4.2, die Anforderungen der interessierten Parteien zu kennen und zu aktualisieren. Unter 7.1.6 muss das Wissen ermittelt und erhalten werden und Kundenbedürfnisse müssen intensiv erforscht werden. Wenn die ISONormen als ganzes Regelwerk gesehen werden, das den Firmen Leitlinien für gutes Management gibt, so muss die ISO- Norm 26 000 (Leitfaden gesellschaftliche Verantwortung) beigezogen werden wie auch ISO 9004 (Managementansatz).

 

Es liegt also nicht an den Qualitätsstandards, wenn diese nur von einzelnen Firmen erfüllt werden. Zusatznormen sind vorläufig eher Leitlinien. Werden jedoch gesetzliche Regeln oder ein GAV nicht eingehalten, ist dies ein Grund, um ein ISO-9001-Zertifikat zu entziehen. Es gibt also durchaus eine sinnvolle Zusammenarbeit von Auditoren und Sozialpartnern, denn das Einhalten von Regeln und Kritikfähigkeit des Managements kann erfragt werden.

 

Spielregeln mit den beteiligten Interessengruppen zu erarbeiten, braucht Zeit, Geld und Energie. Zudem darf eine solche Gesprächsrunde nicht in zu grossen Abständen stattfinden, damit nicht unterschwellige andere Probleme das Gespräch torpedieren. Es muss eine Kultur des Diskutierens entwickelt werden, wie dies eine alte schweizerische Art der Problemlösung ist. Wer ausgeklammert wird, geht nach gruppendynamischen Aspekten in Opposition und wird eine gemeinsame Lösung zu verhindern suchen. Darum sollten sämtliche Stakeholder einbezogen werden. Zudem besagt eine alte Gruppenwahrheit, dass klar ausgehandelte Regeln am Anfang die weitere Zusammenarbeit wesentlich erleichtern.

 

Wenn Gewerkschaften nicht mit alten Feindbildern operieren, sondern sich auf lösungsorientierte gemeinsame Prozesse einlassen, und wenn es die Firmen schaffen, ihre soziale Verantwortung wirklich wahrzunehmen, könnte dies unserem Land eine hohe Prosperität sichern und durch beispielhafte Prozesse der Sozialpartnerschaft eine internationale Führungsrolle zukommen lassen.

 

 

 

 

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