Prozesse, Kosten, Qualität
Qualität und Zuverlässigkeit sind in der Automobilbranche für viele Kunden entscheidende Kaufkriterien und damit von zentraler Bedeutung für den Unternehmenserfolg. Obwohl Kosten für Gewährleistung und Kulanz eine erhebliche Belastung für produzierende Unternehmen darstellen und eine Vielzahl weiterer Kosten durch mangelnde Qualität entstehen, sind die monetären und nicht-monetären Auswirkungen von schlechter Qualität in den meisten Unternehmen nicht hinreichend transparent.
Um die oben genannten Auswirkungen zu verstehen, müssen zunächst die Prozesse, die von der ersten Produktanforderung bis zur Auslieferung des Produktes an den Kunden durchgeführt werden, eingehender betrachtet werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die verschiedenen Prozesse sich untereinander beeinflussen. Diese Zusammenhänge und Wechselwirkungen bilden ein komplexes Gesamtsystem und sind maßgeblich für die Qualitäts- und Nichtqualitätskosten verantwortlich.
Gerade in der Automobilindustrie, mit einer großen Anzahl von Prozesspartnern, zahlreichen technologischen Herausforderungen, einer starken Vernetzung und ausgeprägten Kundenanforderungen, ist das Bewusstsein der gegenseitigen Beeinflussung der Prozesse und der Notwendigkeit von Schnittstellenprozessen von zentraler Bedeutung. Schwächen in den Entwicklungsprozessen führen zu höheren Fehlerraten in der Produktion und im Feld und damit zu höheren Kosten. Die Behebung dieser Fehler, entweder intern vor Auslieferung oder extern nach dem Auftreten beim Kunden, ist wichtig für Kundenzufriedenheit und Sicherheit. Für eine nachhaltige Fehlervermeidung muss aber die Behebung der Fehlerursachen direkt in der Entwicklung, in der Produktion oder in der Beschaffung erfolgen.
Die Wechselwirkungen zwischen Prozessen und Kosten stellen ein komplexes Geflecht dar. Das Management steht vor der Herausforderung, diese Komplexität zu beherrschen und die begrenzten Ressourcen des Unternehmens optimal einzusetzen.
Simulationsmodelle als strategische Entscheidungshilfe
In dem hier beschriebenen Ansatz werden, basierend auf einer Datenanalyse, qualitätsrelevante Kosten und Prozesse eines Beispielunternehmens aus der Automobilbranche identifiziert, strukturiert und in einem Modell abstrahiert. Anschließend wird die Stärke der Abhängigkeiten zwischen Kosten und Prozessen sowie den Prozessen untereinander bewertet. Das Simulationsmodell wird zur Validierung von Szenarien genutzt, aus denen Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können.
Abbildung 1 zeigt Input, Output und Berechnungsvariablen des Beispielmodells. Ausgangspunkt ist der Status quo des Unternehmens, also die gegebene Höhe der vorher ausgewählten, qualitätsrelevanten Kostenarten je Prozess, gegliedert in drei Kostenblöcke (vgl. Abbildung 2), außerdem die Prozessqualitäten sowie die Einflussgrößen von Prozessqualität auf Kosten sowie die Stärke der Einflüsse zwischen den verschiedenen Prozessen untereinander. Die Prozessqualität ist dabei der wesentliche Stellhebel. Die Veränderung der Qualität eines oder mehrerer Prozesse beeinflusst, abhängig von der gegebenen Einflussstärke, die Prozessqualitäten verbundener Prozesse und führt zu veränderten Kosten. Die Entwicklung der Kosten und der Prozessqualität kann für verschiedene Perioden betrachtet werden, da die Bedeutung der Prozesse zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich hoch sein kann. Die Prozessqualität ist im Beispielmodell durch ein relatives Maß dargestellt, die Kosten sind absolute Werte.
Im Ergebnis werden also vier wesentliche Elemente betrachtet, die Kosten der drei Kostenblöcke sowie die Prozessqualität der Prozesse. Bei Verbesserung oder Verschlechterung eines oder mehrerer Prozesse kann die Veränderung der Kosten über verschiedene Perioden betrachtet werden. So könnte beispielsweise analysiert werden, in welchem Ausmaß die Verbesserung der Konzeptionellen Gestaltung die Konformitätskosten erhöht und ob die Nicht-Konformitätskosten sowie die Opportunitätskosten sinken. Betrachtet man die Summe aus diesen Werten, kann eine Kostensenkung bzw. -steigerung identifiziert werden. Außerdem kann die
Prozessqualität anderer Prozesse betrachtet werden. Dadurch könnte das Unternehmen erkennen, ob und wie positiv sich die Verbesserung der Konzeptionellen Gestaltung auf andere Prozesse, wie beispielsweise nachstehende Entwicklungsprozesse, auswirkt, und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen.
Mithilfe des Simulationsmodells wurden beispielhaft Szenarien getestet, die bei der Beantwortung kritischer Fragestellungen zur Erreichung einer optimalen Balance zwischen Qualität und Kosten unterstützen können.
Welche Prozesse sind ausschlaggebend für Qualität und Kosten?
Die Qualität der Produkte und die damit in Verbindung stehenden Kosten hängen von vielen verschiedenen Prozessen entlang der Wertschöpfungskette ab, welche einen unterschiedlich starken Einfluss haben. Mithilfe des Modells wurden die wirksameren Prozesse identifiziert, indem die Qualität aller Prozesse isoliert voneinander verbessert und daraufhin die Auswirkungen auf die Gesamt qualität und die Kosten verglichen wurden.
Kernprozesse können einen deutlich höheren Einfluss auf die Gesamtkosten bzw. die Gesamtqualität haben als andere Prozesse und stellen dadurch besonders wirksame Stellhebel dar. Sie sind im Beispielmodell überwiegend in den Strategie- und Managementprozessen zu verorten. Zwar entsteht das Endprodukt physisch erst bei der Produktion, doch einige wichtige Entscheidungsprozesse stellen bereits zu Beginn des Produktentwicklungsprozesses die Weichen. Sie beeinflussen die Endqualität des Produktes unmittelbar und mittelbar, weil sie wesentlichen Einfluss auf die qualitätskritischen Entwicklungsund Produk tionsprozesse nehmen. Unternehmen sollten ihre individuellen Kernprozesse identifizieren und diese sowohl bei qualitäts- als auch bei kostenkritischen Entscheidungen stets berücksichtigen.
Was kostet mangelnde Prozessqualität?
Eine wesentliche Herausforderung für Unternehmen ist es, die optimale Balance von Qualität und Kosten zu finden. In der Fachliteratur werden verschiedene Modelle der Qualitätskosten betrachtet. Das klassische Modell geht davon aus, dass bei einem bestimmten Vollkommenheitsgrad die Gesamtkosten minimal werden (vgl. Abbildung 3). Die weiteren Analysen der Simulation basieren auf den Annahmen dieser Betrachtungsweise.
Qualität sollte, rein wirtschaftlich betrachtet, nicht mehr kosten, als durch eine niedrigere Qualität an zusätzlichen Kosten für das Unternehmen entstehen würden, z.B. durch Gewährleistungskosten, Nacharbei oder verlorene Kunden. Wann überwiegen also die Einsparungen den Aufwand für höhere Qualität? Das Beispielszenario zeigt, dass Einsparungen, die zu niedrigerer Qualität in wesentlichen Prozessen führen, die Gesamtkosten stark erhöhen können (vgl. Abbildung 4). Die Kosten, die durch die mangelnde Qualität entstehen, überwiegen die Einsparungen in den Prozessen deutlich. Das Management muss also bei Ausgabensenkung jene Prozesse identifizieren, in denen die Kosten für auftretende Qualitätsmängel nicht überproportional zu den Einsparungen sind und zulasten höherer Gesamtkosten gehen.
Abbildung 5 zeigt beispielhaft eine Wirkkette für das Risikomanagement. Eine niedrigere Prozessqualität im Risikomanagement hat eine Reihe von Auswirkungen, die schlussendlich zu höheren Kosten und niedrigeren Einnahmen führen.
Wie hoch sollten Investitionen in Qualität sein?
Wenn also niedrigere Qualität teilweise erhebliche Mehrkosten verursacht, führt dann die Investition in höhere Qualität immer zwangsläufig zu Einsparungen? Die Analyse der Simulationsergebnisse zeigt, dass dies nur bis zu einem gewissen Punkt gewährleistet ist, nämlich genau dem Optimum des in Abbildung 3 gezeigten Modells. Im Testfall konnte durch die graduelle Verbesserung der Qualität maximal eine Einsparung von 22% erreicht werden (vgl. Abbildung 6). Zusätzliche Investitionen in die Qualität erzielen keine vergleichbaren Einsparungen, die Gesamtkosten steigen. Die weiteren Aufwendungen überwiegen also die Einsparungen. Unternehmen haben hier verschieden große Potenziale. Abhängig von ihrer individuellen Ausgangssituation kommt die Qualitätserhöhung aus reiner Kostensicht aber nur noch dem Kunden zugute. Unternehmen, für die Qualität ein strategisches Ziel darstellt, werden gegebenenfalls über den optimalen Punkt hinaus in Qualität investieren.
Wann sollte in Qualität investiert werden?
Investitionen in Qualität sollten zielgerichtet erfolgen. Damit ist nicht nur der richtige Prozess gemeint, sondern auch der richtige Zeitpunkt. Wie das Beispielszenario zeigt, wirken Prozesse abhängig von den Perioden unterschiedlich stark auf Qualität und Kosten. Während der Einfluss auf die Gesamtkosten durch die Verbesserung des Zielmanagements mit der Zeit abnimmt, zeigt das Produktmanagement genau den entgegengesetzten Verlauf (vgl. Abbildung 7). Dieser Prozess erreicht in späteren Perioden eine höhere Wirkung. Während bei der Verbesserung des Zielmanagements in Periode 3 beispielsweise die Kosten um 0,3% steigen, führt die gleiche Erhöhung der Qualität im Produktmanagement zu Einsparungen von 4,1%. Andere Prozesse wiederum können in diesem Szenario ein anderes Verhalten zeigen. Sie wirken zum Beispiel über alle Perioden gleich stark oder zeigen einen parabelförmigen Wirkungsverlauf. Um die größtmögliche Wirkung für ihre Investitionen zu erzielen, sollten Unternehmen also nicht nur ihre individuellen Kernprozesse identifizieren, sondern auch analysieren, zu welchem Zeitpunkt diese Prozesse ihre größte Wirkung haben.
Ausblick
Die durchgeführten Szenarien zeigen, dass eine umfassende Sicht auf Prozesse und Kosten bei strategischen Entscheidungen im Unternehmen unterstützen kann. Durch die Analyse der internen Strukturen wird nicht nur Transparenz über die eigenen qualitätsrelevanten Prozessund Kostenstrukturen geschaffen. Für das Unternehmen bietet sich auch die Möglichkeit, die eigene Prozess- und Kostenlandschaft objektiv auf Managementebene zu betrachten, Kernprozesse zu identifizieren und zielgerichtete Maßnahmen zur Prozessoptimierung abzuleiten.