«Software bestimmt unser Leben»
Die Informationstechnologie entwickelt sich in rasender Geschwindigkeit. Manchmal so schnell, dass die Qualität auf der Strecke bleibt. In der SAQFachgruppe Informatik pflegt man seit 1983 den fachlichen Austausch, um gerade hier Gegensteuer zu geben. «Software bestimmt immer mehr unser Leben», so lautet das Motto heute, und deshalb lohne sich die Qualität in software-intensiven Systemen umso mehr, wie es weiter heisst.
Heute läuft ohne eine funktionierende IT nichts mehr. Im Gegenteil: Immer mehr Bereiche unseres Lebens werden durch Software bestimmt. Und es entwickeln sich laufend neue IT-basierte Geschäftsmodelle, welche etablierte Branchen in ihren Grundfesten erschüttern – Uber oder Airbnb sind prominente Beispiele dafür, wohin die Reise geht: ein Taxiunternehmen ohne eigene Taxis oder ein Hotelbetrieb ohne eigene Hotelzimmer…
Ein visionärer Entscheid
Das war 1983 natürlich noch anders. Das Internet gab es noch nicht, aber gerade kamen die ersten erschwinglichen PCs auf, welche die Informatik auch für «Otto Normalverbraucher» zugänglich machten. In immer mehr Unternehmen – nicht nur in grossen – wurden sukzessive EDVSysteme eingeführt. Selbstredend entwickelte sich dazu ein Markt für Softwarelösungen sowie IT-Administrationsdienstleistungen. Und da musste natürlich auch über Standards gesprochen werden – entweder innerhalb von Branchen oder auch branchenübergreifend. Karol Frühauf, Berater und Qualitätsmanager für IT, hat die Entstehung der Fachgruppe Informatik miterlebt. Er erinnert sich: «Der SAQ-Vorstand, namentlich Kurt
Bär, hat erkannt, dass die Bedeutung von Software immer grösser wird und hat die Initiative ergriffen, die Fachgruppe zu gründen. An der Informationssitzung gegen Ende 1982 waren wir über 40 zugegen, mehrheitlich aus der Industrie. Dies war ein Beleg, dass der Vorstand mit seiner Sicht der Dinge richtig lag. Es wurde beschlossen, die Fachgruppe zu gründen, und sie wurde 1983 unter Vorsitz von Hans Zimmermann (damals Cerberus AG) aktiv.»
Struktur bis heute erhalten
Im Vordergrund der Fachgruppen- Arbeit stand am Anfang die Grundlagenarbeit und «Aufklärung ». «An einem Workshop in Lugano, anlässlich einer Konferenz zum Thema Software-Qualitätssicherung, haben die anwesenden Mitglieder der Fachgruppe die Struktur bestimmt mit einem Lenkungsausschuss, Vollversammlung und Arbeitsteams. Die Grundlagenarbeit wurde in den Arbeitsteams geleistet. Sie waren ein Gefäss für Erfahrungsaustausch zu aktuellen Themen und erarbeiteten Anleitungen, Checklisten, Terminologie, die allen Mitgliedern der Fachgruppe kostenlos und der breiten Öffentlichkeit gegen ein Entgelt abgegeben wurden.» Die damals beschlossene Struktur hat bis heute Bestand. Der Erfahrungsaustausch zu einem Themenkreis wie z.B. Prozessbewertung liegt gemäss Karol Frühauf weiterhin im Vordergrund. «Neben den Treffen in Arbeitsteams organisieren wir Zug-um-Zug- Abendveranstaltungen. An der jährlichen Vollversammlung der Fachgruppe wird das Jahresthema mit einem Grundsatzvortrag lanciert und im Laufe des Jahres, jeweils in der Nähe eines Bahnhofs (daher der Name) ein Erfahrungsbericht zu dem Thema des Jahres präsentiert. Diese Veranstaltung ist für alle SAQ-Mitglieder offen.»
Meilensteine
Einen eigentlichen Meilenstein in der Geschichte der Fachgruppe markierte die erste SAQ-Konferenz «Software-Qualitätssicherung » im Jahr 1987. «Wir mussten die Konferenz wegen gros sem Interesse wiederholen », erzählt Karol Frühauf. «Insgesamt 470 Personen nahmen teil. Die nächste Konferenz in 1991 bewegte noch 250 Personen, die dritte nur noch 70.» Statt eintägigen Konferenzen wurden dann einige zweitägige
Die Konferenz «Software-Qualitätssicherung » war ein Meilenstein.
Workshops veranstaltet, in denen verschiedene Aspekte eines Themas – z.B. ISO 9001 und Software-Entwicklung – in Gruppen diskutiert und die Erkenntnisse im Plenum präsentiert, in einem Band zusammengefasst und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurden. Und eine weitere Episode nennt Karol Frühauf: «Ein nachhaltiges Ereignis war auch die Europäische Konferenz zur Software- Qualität, die wir in Basel organisiert haben. Nachhaltig, weil es finanziell kein grosser Erfolg war, aber auch weil es in guter Erinnerung aller Teilnehmer geblieben ist.»
Mit neuer Leitung in die Zukunft
Seit Anfang 2015 leitet Peter Pedross die Fachgruppe Informatik. Als eine seiner ersten Tätigkeiten hat er eine Art «strategische Auslegeordnung » gemacht, um die Aktivitäten der Fachgruppe weiterzuentwickeln. Viel Wert legt er darauf, dass in ungezwungenem Rahmen zu aktuellen Themen ein fachlicher Austausch stattfindet. «Wir wollen voneinander lernen und von der Menge an vorhandenem Wissen gegenseitig profitieren.» In themenbezogenen Arbeitsgruppen besprechen die Teilnehmer aktuelle Problemstellungen an konkreten Beispielen und tauschen sich über Lösungsstrategien und -ansätze aus. Bei jedem Treffen wird festgelegt ob die Informationen öffentlich sind oder unter Verschluss der Teilnehmer gehalten werden. «Die Öffentlichkeitsarbeit wollen wir weiter verbessern », führt Peter Pedross aus. Dazu gehört auch die Neugestaltung der eigenen Website. Dort heisst es u.a.: «Unsere Arbeitsgruppen sind öffentlich zugänglich. Arbeitsergebnisse und Erfahrungen sind der Allgemeinheit zugänglich. Dies schafft Vertrauen in die Methoden und Techniken in der Entwicklung Softwareintensiver Systeme. Wir ermöglichen unseren Fachgruppen(- Mitgliedern), einzelne Themen von Ghost-Writern journalistisch aufzubereiten, und helfen, diese in Medien weiterzuverbreiten.» Wer weiss, vielleicht werden ja demnächst auch an dieser Stelle die ersten konkreten Resultate dieser Absicht zu lesen sein.
Neue Themen der Gegenwart
Was sind denn heute die wichtigsten Themen, welche die Fachgruppe beschäftigen? «Besonders auf Nachfrage stösst das Thema Prozessmanagement», so Peter Pedross. Seine Sicht, weshalb dies so ist, erläutert er so: «Früher ging es im Qualitätsmanagement vor allem um isolierte Techniken, wie man etwa Reviews oder Tests organisiert. Heute geht es mehr um dynamische Prozesse und Effizienz, um Agilität. Organisationen werden verstärkt gesamtheitlich wahrgenommen, wie es etwa das EFQM-Modell vormacht.» Es sei viel Zeit vergangen, bis man auch in der Informatik an diesen Punkt gelangt sei, so Pedross bedauernd. «Wir müssen also viele der ausgetretenen Pfade neu angehen. Es findet ein Paradigmenwechsel statt: Organisationen werden agiler, Agilität wird in Prozessen immer wichtiger. Das führt dazu, dass wir vieles neu lernen müssen. Es gibt häufig nicht die immer gültige Standardlösung im Stile von ‹das funktioniert einfach so›. Beim Bewältigen dieses Paradigmenwechsels wollen wir seitens unserer Fachgruppe Hilfe bieten.»
Wandel im Qualitätsdenken der IT
Einerseits spielt das Qualitätsdenken in der Informatik eine entscheidende Rolle – Systeme haben schliesslich zuverlässig zu funktionieren. Anderseits: Ist ein Qualitätsmanagement ohne IT heute überhaupt noch denkbar? Kaum. «Für die Beschreibung von Prozessen existieren Software- Systeme, ebenso für das Testing oder für Reviews. Das ist heute Standard.» Doch der Megatrend «Agilität» hat gemäss Peter Pedross auch eine Gegenbewegung ausgelöst: Gefragt ist heute weniger die «Eierlegende Wollmilchsau», sondern einfa
Zukünftig werden Systeme immer mehr unter sich interagieren.
chere Lösungen. «Overengineering ist nicht mehr getragt», bestätigt er. Gerade in den USA sei skalierte Agilität auch für grössere, im regulierten Bereich tätige Unternehmen wie z.B. der Aeronautic und der Automobilindustrie, stark im Kommen. Machen da grosse Informatik-Projekte überhaupt noch Sinn? Durchaus, meint dazu Peter Pedross. Doch der Spardruck zwinge vor allem grosse Organisationen dazu, eigentlich technologisch überholte Systeme immer noch am Laufen zu erhalten. «Dabei wird es immer schwieriger, die Qualität aufrechtzuerhalten», räumt er ein.
Die Schweizer Informatikbranche weiterbringen
Und wo geht die Reise hin? Das Internet of Things mit all seinen Facetten und Konsequenzen dürfte auch die Arbeit der Fachgruppe bereichern. Peter Pedross: «Heute interagieren Software- Systeme immer noch mit dem Menschen. Zukünftig werden Systeme immer mehr unter sich interagieren. Da wird die Qualität der Software immer wichtiger, denn sie ist in diesem Zusammenhang natürlich systemkritisch. » Und ein weiteres Phänomen hält er für spannend: «Vieles, was man heute entwickelt, wird ganz anders genutzt als vorgesehen.» Als Beispiel nennt er etwa auf SMS basierende Bezahlsysteme, die in Afrika einen richtigen Boom erleben. «Afrikanische Apps können in Google Play- oder Apple App- Store vielfach nicht verkauft werden, da die Bezahlmöglichkeiten, z.B. via Kreditkarten, schlicht nicht der Realität in der Bevölkerung entspricht.» Mit diesem Beispiel zeigt er auch, dass es gilt, globale Trends zu erkennen. «Da macht es keinen Sinn, sich innerhalb der Schweiz zu konkurrenzieren. Der Wettbewerb droht aus dem Ausland. Gerade deshalb ist es mir eine Herzensangelegenheit, die Schweizer Informatikbranche weiterzubringen, indem wir zusammenarbeiten. » Mit dem Veranstaltungs- Angebot – übrigens nach wie vor offen für alle Interessierten zum Selbstkostensatz – will er die Grundlagen dafür schaffen. «Und nicht zuletzt wollen wir dem Begriff ‹Qualität› das angestaubte Image nehmen», stellt Peter Pedross seine Absichten klar.